Spielarten politisch-medialer Einflussnahme

Buchrezension: Grundlagen der Medienpolitik. Ein Handbuch.

Medienpolitik in Deutschland gilt der veröffentlichten Meinung, von links bis rechts „als tollpatschig, mit ihrem Gegenstand wenig vertraut und personell überdies kaum kenntlich“. Eine These, die der Kommunikationswissenschaftler, Autor und Regisseur Lutz Hachmeister vor sechs Jahren beim 7. Mainzer Mediendisput vertrat. In den Parteien werde Medienpolitik „kaum von politischen Schwergewichten vertreten“, in der Exekutive sei sie „beiläufige Sache von Ministerpräsidenten, anlässlich von Kaminrunden immer dann heftig thematisiert, wenn parteipolitische Machtaspirationen deutlich berührt werden, das Lobbying der Medienkonzern zu lästig wird oder (…) Führungspositionen in öffentlich-rechtlichen Sendern auszukungeln sind“. Seitdem hat sich wenig zum Guten geändert. Hachmeister selbst mochte da nicht länger zusehen und gründete Anfang 2006 in Berlin das „Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. Soeben legte das IfM unter redaktioneller Federführung seines geschäftsführenden Direktors das erste deutschsprachige Handbuch zu den „Grundlagen der Medienpolitik“ vor.

Geklärt werden sollen Grundbegriffe und Handlungsfelder eines Politikbereichs, das für jede entwickelte Demokratie, derzeit vor allem auch für die Europäische Union, machtpolitisch sensibel ist und bleibt. Es geht um Macht, Besitz an Medienunternehmen und Vermittlung politischen Handelns. Putins autokratischer Anti-Pressefreiheitskurs, Berlusconis langjährige „Telekratie“, neuerdings Sarkozy und seine engen Verbindungen mit Medieneliten und Rüstungsindustriellen – nur einige von vielen Spielarten politisch-medialer Einflussnahme. Zugleich verschwimmen mit dem Siegeszug des Internets die „Parameter für eine an den klassischen ‚Massenmedien’ orientierte Medienpolitik“.
Unter knapp 80 Stichworten verhandeln namhafte Wissenschaftler und Publizisten elementare Grundbegriffe (Kommunikation, Publizistik, Öffentlichkeit), Theoretiker (Kluge, McLuhan, Luhmann), Medienmogule (Hearst, Kirch, Springer), Unternehmen (BBC, Bertelsmann, Time Warner), Länderstudien (China, Japan, USA), Mediengattungen (Kino, Radio, Werbung), Europäische und Internationale Medienpolitik, Instrumente der Medienpolitik (Förderung, Regulierung) und vieles mehr.
Kleine Ungenauigkeiten, Fehler und Unterlassungen können den positiven Gesamteindruck nicht trüben. So etwa, wenn unter dem Stichwort „Verbände“ behauptet wird, ver.di sei „hervorgegangen 2001 aus der Vereinigung der Deutschen Journalistenunion dju, und der Mediengewerkschaft IG Medien“. Etwas unbefriedigend auch, dass zwar die körperliche Abneigung gegen Adorno, die Elisabeth Noelle-Neumann in ihren „Erinnerungen“ beschreibt, zitiert wird, kein Wort aber über die antisemitische Tendenz einiger ihrer Artikel in der NS-Zeitung „Das Reich“ fällt.
Das Handbuch schließt tatsächlich eine Lücke, denn ein solches Grundlagenwerk wurde in der kommunikationspolitischen Debatte bislang schmerzlich vermisst. Zudem verprellt hier kein gestelzter Wissenschaftsjargon. Die unterhaltsame journalistische Aufbereitung der Artikel lädt zum Schmökern ein, wobei die Sach- und Personenregister zusätzlich helfen.


Lutz Hachmeister (Hg.)
Grundlagen der Medienpolitik.
Ein Handbuch.
Deutsche Verlags-Anstalt München
2008, 450 Seiten, 29,95 Euro

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Mediale Verzerrungen erkennen

In Zeiten von sinkendem Vertrauen in die Medien wirbt die Leipziger Medienforscherin Gabriele Hooffacker für mehr gegenseitiges Verständnis zwischen Journalist*innen und ihrem Publikum, indem sie journalistische Standards und wahrnehmungspychologische Einflüsse auf die Berichterstattung anschaulich erklärt. 
mehr »

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »