Stimmungsmache mit Halbwahrheiten

Ein Beitrag auf Telepolis sorgt für Wirbel: Mit strittigen Vergleichen werden den Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ungerechtfertigt hohe Gehälter unterstellt. „Dieser Artikel strotzt vor Halbwahrheiten und sachlichen Fehlern“ und diene der „Stimmungsmache“, heißt es in einem offenen Brief von ver.di an den Herausgeber Heise Medien dazu. In einer fundierten Replik setzt sich Ralf Hutter mit den Behauptungen im Telepolis-Artikel auseinander. 

Den staatlichen Rundfunk hässlich gerechnet

Vor ein paar Tagen hat Telepolis einen Grundsatzartikel veröffentlicht, in dem dem staatlichen Rundfunk vorgeworfen wird, viel zu hohe Lohnkosten zu haben. Dass der Text mit älteren Zahlen schon mal weitgehend identisch im Mai 2017 woanders erschienen ist, spricht nicht automatisch gegen ihn, oder für eine Schmutzkampagne. Der Inhalt hingegen schon, vor allem in der ersten Version. Da spricht Viktor Heese sogar von der „Abschaffung“ des Rundfunkbeitrags und wünscht „die grundlegende Politikwende“ (was auch immer das sein soll) und eine „Mitsprache über die Politikinhalte der ARD“, also eine direkte politische Steuerung herbei.

Dem Artikel sind einige Tage nach Erscheinen einige Erläuterungen, „Update“ genannt, hinzugefügt worden, weil es viel Kritik gegeben haben soll. „Es war nicht die Absicht des Verfassers, irgendwelche Neiddebatten oder politische Diskussionen zu entfesseln“, steht da, was ich als Lüge betrachte. Im ersten Artikel steht schließlich sogar: „Die Zahlungsverweigerungen der GEZ-Gebühren sind erst der Anfang, dem bald ‚Neid-Debatten‘ um die Gehälter folgen könnten.“ Heese will sich offensichtlich nicht ernsthaft mit Vorteilen und Stärken der deutschen Öffentlich-Rechtlichen auseinandersetzen, sondern mit undifferenziertem Kampagnenjournalismus ihre Grundlagen angreifen.

Es beginnt schon mit einer Suggestivfrage, die nicht begründet wird: „Werden Gebührenerhöhungen gefordert, um die üppigen Gehalter zu sichern?“ Dass die Gehälter üppig seien, ist also schon Voraussetzung des Artikels, der allerdings genau das belegen soll. Zur Beweisführung ermittelt der Autor die durchschnittlichen Personalkosten beim staatlichen Rundfunk und stellt sie irgendwelchen Werten privater Unternehmen gegenüber. Das Ergebnis: Der Rundfunk ist unverschämt teuer.

Gegen Heeses Ansatz sprechen aber mehrere Argumente. Grundsätzlich überzeugt das Arbeiten mit Durchschnittswerten ebenso wenig wie der Vergleich des staatlichen Rundfunks mit Firmen. Hinzu kommt ein verfälschender Umgang mit den Zahlen.

Nichtssagende Durchschnitte

Die Verwendung des arithmetischen Mittels, landläufig Durchschnitt genannt, ist unbegründet und führt in die Irre. Durchschnittlich 9400 Euro pro Angestelltem gibt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk monatlich aus, errechnet Heese, was sogar zur reißerischen Überschrift gemacht wird. Doch was soll dieser Durchschnittswert? Was sagt er schon aus? Wenn ein Abteilungsleiter ein Monatsgehalt von 20.000 Euro hat, seine neun Untergebenen aber jeweils nur 1000 Euro kriegen, dann kann das als ungerecht, vielleicht sogar skandalös gelten. Durchschnittlich verdienen aber alle in der Abteilung 2900 Euro, das klingt doch nicht schlecht. Im arithmetischen Mittel wirken sich Extremwerte bisweilen stark aus.

Warum errechnet der langjährige Finanzanalyst Heese nichtssagende Werte? Mehr noch: Der Autor relativiert sich sogar selbst, wenn er schreibt: „Der Median könnte bei einer schiefen Gehaltsverteilung (viele verdienen wenig, wenige verdienen viel – Daten liegen der KEF nicht vor) wesentlich niedriger ausfallen.“ Mit dieser Bemerkung wird der Artikel weitgehend hinfällig. Er ist zwar nicht eben kurz, behandelt aber nur Durchschnittswerte, die nichts über das Gehaltsgefüge aussagen. Heese beantwortet eben nicht die von ihm zu Beginn aufgeworfene Frage: „Sind die ARD-Gehälter wirklich so extrem hoch, wie vermutet wird?“ (Wer auch immer da was vermutet). Über konkrete Gehälter, gar die „Gehaltsprivilegien des ARD“ (unverständlicherweise ist die ARD bei Heese wiederholt maskulin) und „Traumvergütungen“, erfahren wir bei ihm nichts.

Bei Heeses Vorgehen wäre es theoretisch möglich, dass der Großteil der Rundfunkangestellten selbst nach seinen Kriterien in Ordnung, Führungskräfte und Sonderabteilungen hingegen exorbitant hoch bezahlt werden. Die Forderung müsste dann sein, die exorbitanten Gehälter einzuschmelzen und das gesparte Geld ins Programm zu investieren oder für die Senkung des Rundfunkbeitrags zu nutzen. Heese hingegen redet über nichtssagende Durchschnitte, um zu rechtfertigen, dass der staatliche Rundfunk als ganzer bei angeblich immer mehr Menschen unbeliebt wird.

Unbegründete Vergleiche mit Firmen

Der Außenvergleich geht ebenfalls fehl, und das aus mindestens drei Gründen. Erstens begründet Heese nicht, warum er den staatlichen Rundfunk mit irgendwelchen Firmen vergleicht. Einer marktorientierten Unternehmensleitung ist es heutzutage tendenziell egal, wie gut ihre Produkte sind, solange damit gute Gewinne gemacht werden können. Qualitätsorientierter Journalismus hat da einen anderen Anspruch, und Qualität kostet nun mal was – unabhängig von der politischen Ausrichtung der einzelnen Beiträge, die durchaus kritikabel sein kann. Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet vor allem ein Netz von regionalen und Auslands-KorrespondentInnen sowie eine breite Themenpalette, und damit hohe Fixkosten.

Zweitens betrachtet Heese nicht mal die Frage, was für Berufsgruppen in den unterschiedlichen Einrichtungen arbeiten. Beim Rundfunk ist das Kerngeschäft Journalismus, in dem stark überwiegend studierte Leute arbeiten, und die Angestellten mit technischen Ausbildungsberufen (Studiotechnikerin, Kameramensch) üben relativ anspruchsvolle Tätigkeiten aus. Bei der von Heese beispielsweise erwähnten Lufthansa hingegen kommen auf ein paar hochbezahlte PilotInnen etliche niedrige Berufsgruppen.

Drittens leuchtet es nicht ein, dass sich staatliche Gehälter an irgendeinem Marktgeschehen orientieren sollen. Vielleicht sind ja viele Löhne in vielen Firmen zu niedrig.

Verfälschender Umgang mit den Zahlen

Das sind aber nur die grundsätzlichen Einwände. Gegen Heeses Umgang mit den Zahlen finden sich schon in den Telepolis-Kommentaren Argumente. So enthält der errechnete Durchschnittswert von 9400 € Abgaben an die Sozialversicherung und Pensionsrückstellungen, die niedrigeren Vergleichswerte von irgendwelchen Firmen dagegen nicht unbedingt– zumindest dann nicht, wenn die Werte auf Umfragen beruhen, wo die Befragten nicht an solche Nebenleistungen ihrer Firma denken. Auch ein Insider-Einblick findet sich in den Kommentaren.

Nun legt Heese wiederholt nahe, es sei schwierig, einen Einblick ins ARD-Gehaltsgefüge zu bekommen. Dabei gibt es ihn längst. Demnach kriegen RedakteurInnen – und gegen die richtet sich ja wohl hauptsächlich der Unmut über die Berichterstattung – je nach Vergütungsgruppe und Stufe (= Berufserfahrung) zwischen 3500 und 9900 Euro Gehalt, wobei die ARD festhält: „Durchschnittlich dauert es 20 Jahre bis zum Erreichen der letzten Vergütungsstufe einer Berufsgruppe.“ Alle anderen Berufsgruppen in den Sendern haben deutlich kleinere Gehälter.

Als Reaktion auf Heeses Artikel hat die Fachgruppe Medien in der Gewerkschaft ver.di einen empörten Offenen Brief an den Heise-Verlag geschrieben und bessere Zahlen vorgelegt. Demnach „betragen die tariflichen Durchschnittsgehälter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwa 5400 Euro“. Jenseits der 10.000 € pro Monat werden nur außertariflich bezahlte Führungskräfte bis hin zu den IntendantInnen mit ihren fantastischen Gehältern bezahlt, wie der erwähnte Einblick ins ARD-Gehaltsgefüge zeigt. Heeses Vergleichszahlen von DAX-Firmen enthalten hingegen nicht die Bezahlung deren Vorstandsmitglieder. Das zeigt eine Übersicht der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), die ver.di dem Offenen Brief hinzugefügt hat. Die Tabelle ist etwas missverständlich, aber der Pressesprecher der DSW erklärt gegenüber Telepolis, dass die Spalte „Gesamtvergütung“ sich nur auf die Vorstandsentlohnung bezieht. Im Durchschnitt wendeten die DAX-Unternehmen laut dieser Aufstellung 67.000 Euro im Jahr pro Angestelltem auf. Im Rundfunk liegt das durchschnittliche Tarifgehalt laut ver.di-Brief bei 65.400 Euro. Dass da zusätzlich hohe Renten den Etat belasten, liege daran, dass eine sehr vorteilhafte Rentenregelung in den 1980ern getroffen wurde, um das Personal davon abzuhalten, zu den neu gegründeten, von Beginn an lukrativer zahlenden Privatanstalten abzuwandern.

Dass sich hier eine Gewerkschaft für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Bresche wirft, beantwortet übrigens eine weitere von Heese dahingeraunte Frage (überhaupt werden seine Zahlen von so manchem Geraune begleitet): „Sind Fragen der Entlohnung im Rundfunksstaatvertrag überhaupt zu finden oder handelt es sich hier um ein Gewohnheitsrecht?“ Antwort: Die Gehälter werden in Tarifauseinandersetzungen zwischen Sendern und Gewerkschaften festgelegt. Der ver.di-Brief erklärt: „Die Gehälter der Beschäftigten und Freien beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden von den zuständigen Gewerkschaften, darunter der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) als Interessenvertretung mit den meisten Mitgliedern aus allen Berufsgruppen, ausgehandelt, sie sind also Ergebnis eines Interessenausgleichs zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten und damit der Tarifautonomie entsprechend Artikel 9 GG. Weder die Politik noch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten haben an dieser Stelle mitzureden.“

Die ARD teilt darüber hinaus auf Telepolis-Anfrage mit: „Das Gehaltsraster der ARD ist anstaltsindividuell, hier gilt eine tarifautonome Vergütungsstruktur. Die Gehaltsentwicklung orientiert sich an der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.“

Verlogener Vergleich mit ProSiebenSat1

Aber à propos lukrativ zahlende Privatanstalten – beim Vergleich der ARD mit ProSiebenSat1 greift Heese zu einem Trick. Er schreibt: „Der Konkurrent ProSiebenSat1 beschäftigt knapp 6.600 Mitarbeiter bei einem Umsatz von 3,8 Mrd. €. Währenddessen die Personalkostenquote bei 16% liegt, verharrt sie bei der ARD über der Marke von 50% (Personalaufwand und Altersversorgung aller fest angestellten und freien Mitarbeiter).“ Aber wieviel zahlt denn ProSiebenSat1 pro Angestellten? Diesen Wert errechnet Heese nicht, denn er passt ihm nicht in den Kram.

Für 2017 gibt ProSiebenSat1 gegenüber Telepolis schriftlich an: Einschließlich Sozialabgaben und „Aufwendungen für Unterstützung“ hatte der Sender Personalkosten von 660 Millionen Euro – bei einer „durchschnittlichen Beschäftigtenzahl“ von nicht einmal 6500. Das bedeutet Ausgaben von über 102.000 Euro pro Durchschnittsangestelltem – ohne Vorstand. Der Sender schreibt: „Als Beschäftigte gelten nicht die Vorstandsmitglieder beziehungsweise Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder.“

Es ergibt sich also ein ähnlich hoher Durchschnitt wie die von Heese für die ARD errechneten 113.000 Euro. Aber da sind, wie gesagt, die Führungspersonen enthalten. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen höheren journalistischen Anspruch, was Abdeckung der Fläche und der Themen angeht. Mehr noch, die ARD weist gegenüber Telepolis darauf hin: „Anders als die ARD, die ihr Programm zu einem großen Teil selbst herstellt, lässt ProSiebenSat1 vor allem extern produzieren (Auftragsproduktionen). Diese Kosten schlagen nicht als Personalaufwand zu Buche.“

Immenser Spardruck schon jetzt

Es ist falsch, anzunehmen, der Rundfunk verprasse massenhaft Geld an Personal. Auch wer nur freiberuflich Beiträge zuliefert, kann mittelfristig einen Einblick in die Sparmaßnahmen, Stellen- beziehungsweise Schichtstreichungen, Arbeitsverdichtungen und (zum Teil sogar illegalen) Honorarknausereien bekommen. Der Spardruck ist immens, und er wird an etlichen Stellen an die Nicht-Angestellten weitergegeben, so dass die finanzielle Grundlage für freiberuflichen Journalismus kleiner wird.

Zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit für internen Protest gegen Kürzungen: Beim Deutschlandradio (das nur einen sehr kleinen Teil des Rundfunkbeitrags bekommt, an dieser Stelle aber trotzdem als Beispiel gut genug ist) führten der Spardruck und die Konsequenzen für die Programmgestaltung und vor allem die freiberuflich Arbeitenden im vergangenen Juni zur Feststellung der Angestelltenvertretungen im Berliner Funkhaus, die Stimmung dort sei „so schlecht wie nie“. Und die Gewerkschaft ver.di kam kürzlich in einer Analyse zu dem Schluss, dass der Auslandssender „Deutsche Welle“ auf zum Teil illegale Weise „schwerpunktmäßig auf prekäre Beschäftigung setzt“, und sich für die im staatlichen Rundfunk immer zahlreicher arbeitenden „Freien“ seit 1974 „erschreckend wenig getan hat“, wodurch die Sender billiger wegkämen.

Die Deutsche Welle wird nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, aber wir sehen insgesamt, dass die relativ zu Beginn dieses Textes bei der Kritik der Durchschnittswerte ausgesprochene generelle Vermutung zutrifft: Es gibt überbezahlte Leute beim Rundfunk. Diese Kritik ist seit langem bekannt. Allerdings werden wir persönlich von den 17,50 Euro Rundfunkbeitrag nicht viel sparen, wenn wir eine relativ kleine Zahl hoher Gehälter reduzieren. Über die Grundlegitimation des staatlichen Rundfunks an sich ist damit auch nichts gesagt. Und wenn jemand Mist abliefert, ist es egal, ob er 4000 oder 9000 Euro im Monat bekommt, beides ist viel zu viel. Heeses Generalangriff, der bei Telepolis entschärft erschienen ist, aber in der ersten Version von der „Abschaffung“ des Rundfunkbeitrags spricht, entbehrt also jeglicher inhaltlicher Logik.

Angriff der besitzenden Klasse

Heese rechnet sich den Rundfunk absichtlich hässlich. Seine vielen sachfremden Ausführungen kommen offensichtlich von der betriebswirtschaftlichen Perspektive, beziehungsweise der dahinterstehenden gesellschaftspolitischen Stimmungsmache. Deutlich wird das schon am kapitalistischen Vokabular. Die ARD wiederholt als „Konzern“ zu bezeichnen, ist sachlich völlig überflüssig. Heese beklagt beim staatlichen Rundfunk „eine nur leicht sinkende Beschäftigtenzahl“, freut sich aber über „Rationalisierungsprogramme”. Und er hat sich, in eigenen Worten, „als Wertpapieranalyst jahrzehntelang auch mit der Personalkostenproblematik in den Geschaftsberichten von DAX-Unternehmen auseinandergesetzt“. Personal verursacht Kosten und somit ein Problem – das ist die Perspektive der Firmenleitung, nicht der Angestellten oder der an einem hochqualitativen Produkt Interessierten. Heese schrieb den Originaltext ja auch für einen Firmenverband.

Stoßrichtung wie Vokabular des Artikels zeigen: Es geht um eine gesellschaftspolitische Intervention. Aus Heese spricht der Wirtschaftsbürger. Das Französische kennt den Unterschied zwischen Bourgeois und Citoyen, die auf Deutsch beide mit „Bürger“ übersetzt werden können. Ersterer steht für das wirtschaftliche Eigeninteresse, also den Bürger als Wirtschaftssubjekt, letzterer für den Staatsbürger mit Interesse am Gemeinwesen, also das, was wir Zivilgesellschaft nennen. Der Wirtschaftsbürger denkt betriebswirtschaftlich, kann sich das, was er braucht, kaufen, und lehnt deshalb jegliche finanzielle Bevormundung, und sei sie für alle gleich, ab. Der Citoyen hingegen freut sich über soziale Errungenschaften, selbst wenn sie ihm nicht einen materiellen Vorteil bringen.

Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk ist eine solche Errungenschaft (und er ist in der Bevölkerung viel höher angesehen als andere Medien, wie zum Beispiel eine repräsentative Umfrage von 2015  zeigt, die auch der seitdem erfolgte Aufstieg der AfD nicht allzu sehr konterkarieren dürfte). Zwar ist es in einer Gesellschaft der materiellen Ungleichheit immer ungerecht, von allen das gleiche Geld zu verlangen wie beim Rundfunkbeitrag. Allerdings sind in Deutschland Erwerbslose von diesem Zwang ausgenommen. Und 17,50 € im Monat ist sehr wenig Geld für Fernseh- und Radiosender mit einem umfassenden Anspruch. Schließlich bieten sie bundesweite wie regionale Programme, regelmäßige Sendungen über Barockmusik ebenso wie den neuesten Schund aus den Charts. Die Summe wird pro Wohnung gezahlt, was kinderreiche Familien also nicht stärker belastet und Menschen mit wenig Geld, die in Wohngemeinschaften wohnen, nur einen Teil der Kosten aufbürdet.

Auch die Sozialversicherung ist eine Zwangseinrichtung, gleichzeitig aber eine Errungenschaft. Selbst Arme müssen da einzahlen. So sind sie für Zahnbehandlungen versichert, obwohl sie vielleicht in ihrem Leben noch nie ein Zahnproblem hatten. Dafür sind sie in einem Maß abgesichert, das sie sich alleine nicht leisten könnten und bei freier Wahl oft auch nicht leisten wollen würden.

Der Angriff auf die Fundamente solcher Einrichtungen für die Allgemeinheit kommt daher nur von Angehörigen der besitzenden Klasse. Wiederholt schreibt Heese, was „der Bürger“ angeblich tue und wolle. In der ersten Version des Artikels nennt Heese den staatlichen Rundfunk vier Mal „Monopolist“, auch das klingt nach beleidigtem Unternehmer. Mit derselben unpassenden Beschimpfung könnte er beispielsweise die Polizei belegen. Aus welcher gesellschaftlichen Position Heese spricht, zeigt sich übrigens auch darin, dass er kürzlich in Telepolis, wie so viele andere Medien seit Jahren, kritisierte, dass die Deutschen wenig in Aktien investieren, also in Wetten, bei denen die meisten Menschen das Risiko nicht abschätzen können.

Anti-egalitäres Gedankengut

Der staatliche Rundfunk war jahrzehntelang in weiten Teilen sozialdemokratisch geprägt, was als ein Grund dafür gilt, dass Kanzler Helmut Kohl den privaten Rundfunk einführte. Wer aus der Perspektive des unternehmerisch denkenden Wirtschaftsbürgers argumentiert, muss fast zwangsläufig dann auch Kohls Stoßrichtung einnehmen und ein einigermaßen egalitäres politisches Gedankengut bekämpfen, das in einer mächtigen gesellschaftlichen Einrichtung großen Einfluss hat. Dazu passt Heeses Gerede von „der Politikwende“ und der „Mitsprache über die Politikinhalte der ARD“.

All das wird heute offen von der AfD verfolgt. Sie tut zwar so, als kämpfe sie für alle Deutsche, wirtschaftspolitisch verfolgt sie aber vor allem die Interessen der Besitzenden. Sie ist nicht nur in ethnischer und geschlechterpolitischer Perspektive eine anti-egalitäre Partei. Es ist deshalb kein Zufall, dass Heese mit der AfD Köln zusammenarbeitet und „Wirtschafts- und Börsenexperte“ des an junge Leute gerichteten Magazins „Arcadi“ ist, das 2017 von AfD-Aktivisten gegründet wurde und der „Identitären Bewegung“ nahesteht. Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat es sogar „Werbung für zwei Neonazi-Shops“ gedruckt.

Der staatliche Rundfunk muss ständig kritisiert werden, vor allem in seinen Inhalten, aber auch in seinen Mittelverwendungen (etwa die ausgedehnten Online-Aktivitäten) und Strukturen, wozu auch der Einfluss der großen Parteien gehört. Objekt einer Fundamentalkritik sollte er deswegen nicht werden. Seine umfassende Meinungsmacht eignet sich gut als Projektionsfläche für Verschwörungsfantasien. Deshalb wird er da, wo er journalistische Mindeststandards erfüllt, von Faschisten und anderen Nationalisten bekämpft, für uns vielleicht am wahrnehmbarsten in Österreich und Polen. Was wir brauchen, ist konkrete Kritik – übrigens auch daran, dass mit dem Rundfunkbeitrag so wenig für sogenannte Bürgermedien getan wird – im Sinne des Wohlergehens aller und einem Auge auf die Arbeitsbedingungen, nicht plumpe Angriffe wie die von Viktor Heese.


Der Beitrag von Ralf Hutter wurde am 12. Januar von Telepolis veröffentlicht. In M Online erscheint er leicht überarbeitet.

Die Chefredaktion von Telepolis und heise online hat inzwischen mitgeteilt (und dies auch über den Kommentar von Viktor Heese gestellt), dass sie zukünftig nicht mehr mit dem Autor zusammenarbeiten werde. Denn: „Auch nach der zwischenzeitlich erfolgten Aktualisierung des Beitrags entspricht dieser nicht den journalistischen Qualitätsanforderungen von Heise Medien.“

 

 

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