Die überregionalen Blätter wildern in fremden Revieren und nehmen den Sonntag ins Visier
In den Chefetagen deutscher Tageszeitungen sieht man den Marktanalysen Jahr für Jahr mit Sorge entgegen. Seit geraumer Zeit werden die Prognosen immer düsterer: Die Kundschaft der klassischen Medien wird zunehmend älter.
Größte Problemzone ist der Nachwuchs: In der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen mussten die Zeitungen in den letzten Jahren deutliche Verluste hinnehmen. Gerade regionale Tageszeitungen werden von jungen Leuten offenbar als Lektüre ihrer Eltern betrachtet. Die zunehmende Mobilität bringt zudem mit sich, dass sie sich für die Berichterstattung über eine Region, in der sie sich vielleicht nur vorübergehend aufhalten, nicht weiter interessieren.
Doch auch die überregionalen Qualitätszeitungen sind betroffen. Der Anteil von Lesern über 50 ist bei „Welt“, „Frankfurter Rundschau“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Süddeutsche Zeitung“ zwar nicht so groß wie bei den meisten regionalen Tageszeitungen (dort beträgt er in der Regel über 50 Prozent), liegt aber deutlich über 30 Prozent. „Älteste“ Tageszeitung ist die „Welt“: Gut 43 Prozent ihrer Leser sind über 50 Jahre.
Entsprechend groß sind seit einiger Zeit die Bemühungen, diese Entwicklung auszugleichen. Bei der „FAZ“ weigert man sich zwar nach wie vor beharrlich, das bleihaltige Layout der Titelseite mit einem Foto aufzulockern, doch die „Welt“ zum Beispiel hat sich ein sehr junges Gesicht verpasst. Außerdem versuchen zumindest drei der vier Qualitätszeitungen, sich mit Hilfe regionaler Schwerpunkte neue Lesergruppen zu erschließen. Die für „FAZ“-Verhältnisse ungewöhnlich lockeren so genannten Berliner Seiten zum Beispiel haben die Stellung der „FAZ“ auf dem Berliner Markt deutlich gefestigt. Die „Welt“ hingegen will sich mit einer „Regionalisierungsoffensive“ in Ballungsräumen wie Hamburg, Berlin, München und Bremen etablieren (siehe M 4/01). Mit dem Münchener Auftritt verstieß Springer allerdings gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Jahrzehnte lang haben die großen überregionalen Tageszeitungen die jeweilige Heimatregion der Konkurrenz respektiert und nie im fremden Revier gewildert.
Anfang nächsten Jahres will der Süddeutsche Verlag dem Springer-Vorbild nacheifern und eine eigene Regionalausgabe für Nordrhein-Westfalen herausgeben. Die Ausgangsüberlegungen sind fast identisch. In NRW, so „SZ“-Chefredakteur Hans Werner Kilz, befänden sich „über die Hälfte der hundert wichtigsten deutschen Unternehmen, es gibt eine lebhafte und spannende Universitäts- und Kulturszene“. Trotzdem liegt die „SZ“ hier hinter „FAZ“ und „Welt“. Gerade im heftig umworbenen studentischen Bereich dürfte der Süddeutsche Verlag ein potenzielles Publikum sehen. Direkte Konkurrenzsituationen will Kilz ausdrücklich vermeiden, um die regionalen Verlage nicht zu verärgern. Doch dafür ist es schon zu spät: Die WAZ-Mediengruppe (Essen), der Verlag M. DuMont Schauberg (Köln) und der Rheinisch-Bergische Zeitungsvertrieb (Rheinische Post/Girardet, Düsseldorf/Wuppertal) haben ihre Zustellungsvereinbarungen gekündigt; die Zeitungsboten der Verlage werden die „SZ“ in Nordrhein-Westfalen nicht mehr ausliefern. Für den Süddeutschen Verlag dürften sich dadurch Mehrkosten in Höhe von schätzungsweise 1,5 Millionen Mark ergeben.
Bei der „FAZ“ gibt es zwar auch Pläne für „Münchener Seiten“, doch das Nahziel ist ein anderes: Ab Herbst soll die „Sonntagszeitung“ bundesweit erscheinen. Die Startauflage wird mit 250.000 Exemplaren zwar gut doppelt so hoch sein wie der regionalen Sonntags-„FAZ“, der „Rhein-Main-Zeitung“, sie liegt aber immer noch deutlich unter der verkauften Auflage der „Welt am Sonntag“; auch der Umfang fällt mit 64 Seiten niedriger aus. Inhaltlich wird man die Zeitung vermutlich irgendwo in der Mitte zwischen „FAZ“ und „Welt am Sonntag“ ansiedeln können. „FAZ“-He-rausgeber Frank Schirrmacher kündigte zumindest an, das Sonntagsblatt werde zwar ein „leichteres Produkt“ als die „FAZ“ sein, den „Zeit“-Leser aber nicht unterfordern. Die fünfzigköpfige Redaktion, darunter viele namhafte Redakteure, die unter anderem der „Süddeutschen Zeitung“ abgeworben wurden, soll neben aktueller Berichterstattung vor allem die Bereiche Sport, Reise, Computer und Modernes Leben bearbeiten.
Leid Tragende dürfte vor allem die „Zeit“ sein. Die umfangreiche Wochenzeitung aus dem Holtzbrinck-Konzern erscheint zwar bereits donnerstags, wird aber gern am Wochenende gelesen. Mangels qualitativer Wettbewerber hatte die „Zeit“ den Sonntag als Lesetag bislang für sich allein. Natürlich steht der Traditionstitel „Zeit“ vor allem für Hintergrundberichte; trotzdem ist die Zeitung am Sonntag zwangsläufig hoffnungslos veraltet. Gerade die aktuelle Sportberichterstattung in der „FAZ-Sonntagszeitung“ dürfte die „Zeit“, die sich schon seit einigen Jahren gegen eine schwindende Auflage stemmt, Leser kosten. Weder ein komplett neues Design noch eine inhaltliche Reform konnten die Auflage der „Zeit“ so richtig stabilisieren. Schwacher Trost für die „Zeit“: Die Hamburger brauchen sich über Vertriebsstrukturen keine Gedanken machen. Dieser Aspekt dürfte der „FAZ“ derzeit mehr Kopfzerbrechen bereiten als die inhaltliche Ausrichtung. Beim Sonntagsvertrieb hat der Springer-Verlag dank seiner 30.000 selbstständigen Kleinsthändler gerade in ländlichen Gebieten praktisch ein Monopol. Hoffnungen der „FAZ“, ihre „Sonntagszeitung“ im Huckepack-Verfahren mit „Bild am Sonntag“ und „Welt am Sonntag“ ausliefern zu lassen, hat Springer schon im Keim zerstört.
Tilmann P. Gangloff arbeitet als freier Medienfachjournalist in Allensbach.
Leserzahlen überregionaler Tageszeitungen
1993 |
1993 |
2000 |
2000 |
|
(14-29 Jahre) |
(gesamt) |
(14-29) |
(ges.) |
|
Die Welt |
20,8 % |
620.000 |
17,4 % |
529.000 |
FR |
27,2 % |
623.000 |
19,1 % |
496.000 |
FAZ |
24,5 % |
966.000 |
18,2 % |
893.000 |
SZ |
27,4 % |
1.087.000 |
20,5 % |
1.148.000 |
Quelle: Media-Analyse