Verpasste Chancen

Das Aus für die Gratiszeitung „20 Minuten“ in Köln

Das Ende kam schnell, sehr schnell. Zur Mittagszeit des 10. Juli hatte Ekkehard Kuppel ins Crowne Plaza Hotel am Rudolfplatz geladen. Bei Mineralwasser erklärte der aus Zürich angereiste Vorstandsvorsitzende der „20 Min Europa Holding“ der Führungscrew seiner Kölner Dependance: „20 Minuten Köln“ werde umgehend eingestellt.

Um 17.00 Uhr informierten Kuppel und der Kölner „20 Minuten“-Geschäftsführer Norbert Spindler die völlig überraschte Belegschaft vom unmittelbar bevorstehenden Ableben ihres Blattes. Am Tag darauf war alles vorbei: Zwei Jahre nach der ersten Nummer im Dezember 1999 erschien die letzte Ausgabe der Kostenloszeitung. Am Donnerstag und Freitag verabschiedeten sich auch die publizistischen „Abwehrmaßnahmen“ der Verlage Axel Springer und M. DuMont Schauberg, „extra“ und „Kölner Morgen“, von ihren Lesern. Seitdem ist die Domstadt wieder gratiszeitungsfrei. Der „Kölner Zeitungskrieg“ ist beendet.

Bereits am 28. Juni hatten im Rahmen einer Vertriebsrunde beim Kölner Pressegrossisten Esser Gerüchte die Runde gemacht, „20 Minuten“ hätte nur noch wenige Tage vor sich. Unter den Mitarbeitern allerdings konnte sich da noch niemand vorstellen, dass das Ende so nah war. Immerhin waren in den vergangenen Wochen noch neue Räume angemietet, Anzeigen- und Marketingabteilung verstärkt, die Seitenzahl erhöht und nicht zuletzt das Layout der Zeitung von Grund auf erneuert worden. „Natürlich sahen wir das Damoklesschwert über uns schweben, aber ich hätte nie gedacht, dass sie den Laden so überstürzt dichtmachen würden“, sagt Betriebsrätin Vera Kettenbach. Jetzt wird nur noch über den Sozialplan verhandelt.

Die Stimmung in der Belegschaft schwanke zwischen „Enttäuschung, Trauer und Existenzängsten“, berichtet die Redakteurin, die vom „Kölner Express“ zu „20 Minuten“ gewechselt war. Denn die Aussichten für die 49-köpfige „20 Minuten“-Crew, deren Arbeitsverträge noch bis zum 30. September weiterlaufen, stehen zumindest in Köln schlecht: „Für die ist der Kölner Zeitungsmarkt zu!“, weiß Kettenbach. Zu dem Frust kommt auch noch Zorn über eine verpasste Chance. „Wir sind wirklich nicht am Produkt gescheitert“, ist sie überzeugt. „Unsere Wut richtet sich daher gegen die Situation in Köln, gegen die Konkurrenz, die statt mit journalistischen mit juristischen Mitteln gegen ein neues Produkt kämpfte, gegen die Werbewirtschaft, die sich aus Angst vor Neuem mit Anzeigen zurückgehalten hat.“

Stimmung in der Belegschaft zwischen Wut und Enttäuschung

Doch das Scheitern hat noch einen anderen Grund: Ohne dass es die Öffentlichkeit bemerkte, vollzog sich hinter den komplizierten Holding-Kulissen von „20 Minuten“ ein dramatischer Wandel. Das norwegische Medienhaus Schibsted hält nur noch 42 Prozent der Aktien, zwei Prozent gehören dem Management, weitere knapp 28 Prozent halten jeweils die Actienbank-Group und die Risikokapitalgesellschaft Apax. Es wird gemunkelt, dass der Druck der eher medien-unerfahrenen Finanzmakler schließlich die hehren Zeitungsziele der Norweger brach. „Zeitung machen ist eben doch etwas anderes als eine Großschlachterei zu betreiben“, kommentiert dies sarkastisch „20 Minuten“-Gründungschefredakteur Klaus Kelle.

Schon die völlig chaotische Stornierung der bereits fest geplanten bundesweiten Expansion im April dieses Jahres soll auf das Apax-Konto gehen – der Anfang vom Ende. Eine Insellösung Köln könne mittel- und langfristig wirtschaftlich nicht erfolgreich sein, musste nun Kuppel eingestehen. Eine andere Perspektive sei jedoch nicht mehr in Sicht gewesen. Ein „großangelegtes deutschlandweites Projekt“ hätte „einen Ansatz, der den Widerstand der etablierten Player überwindet“, finden müssen. „20 Minuten“ habe ihn jedoch leider nicht gefunden. Aus diesem Grund habe es keinen Sinn mehr gemacht, weitere Ressourcen zu binden. „Wir konzentrieren uns jetzt mit aller Kraft auf die „20 Minuten“-Projekte in anderen europäischen Ländern sowie die weitere Expansion der sehr erfolgreichen Schweizer Ausgabe von â20 Minuten““, so Kuppel.

Neuer Springer-Vorstoß in Hamburg

Während für Schibsted nur die Erfahrung bleibt, dass der deutsche Zeitungsmarkt komplizierter ist, als der skandinavische Konzern erwartet hatte, plant Springer eine interessante Auferstehung seiner „extra“-Zeitung: „Nach den Sommerferien werden wir ,extra“ auf seine Akzeptanz als Kaufzeitung für junge Zielgruppen im Regionalmarkt Hamburg testen“, kündigte „Bild am Sonntag“-Chef Claus Strunz an.

Für voraussichtlich 30 Pfennig und erstellt von der gleichen überregionalen Redaktion um den Ex-MAX-Chefredakteur Jan-Eric Peters, die auch für die Kölner Ausgabe verantwortlich zeichnete, soll das Blatt dann die „Hamburger Morgenpost“ vom Markt verdrängen.


„Mit Bedauern habe ich gestern erfahren, dass die 20 MINUTEN Holding entschieden hat, das Produkt für Deutschland zu canceln. Damit war die Belagerungstaktik der Verlage Springer (Hamburg) und M. DuMont Schauberg (Köln) erfolgreich. Schade ist vor allem, dass auf dem quasi monopolistischen Kölner Zeitungsmarkt nun wieder Burgfrieden herrscht.
Für mich erscheint nicht fraglich, ob in Deutschland Gratiszeitungen weiter erscheinen werden, die Frage ist nur – von wem?
Schließlich lesen laut MAV in Köln über 80 Prozent der Menschen Tageszeitungen, sicher auch ein Verdienst von 20 MINUTEN Köln.“

Andreas Artmann



Andreas Artmann war der erste Redakteur, der von 20-MINUTEN-Gründungschefredakteur Klaus Kelle eingestellt wurde. Er baute als Mitglied der Chefredaktion die Produktion von 20 MINUTEN Köln und die Internetausgabe auf. Zuletzt war er zusammen mit den Art Direktoren Robert Zoller (Schweiz) und Toni Henschel (Schweden) an der Entwicklung neuer Produkte für die 20-MINUTEN-Gruppe beteiligt.

Seit dem 1. April 2001, ist er für den Frankfurter Societätsverlag als Art Direktor auf der Hardthöhe in Bonn tätig und führt einen Relaunch der Zeitschrift Y, dem Magazin der Bundeswehr, durch.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsam gegen Hassrede im Netz

Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Landesmedienanstalten intensivieren ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen Hassrede und strafbare Inhalte im Netz. Ab sofort können alle Medienanstalten in Deutschland Verdachtsfälle von strafrechtlich relevanter Hassrede an die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt (ZMI BKA) melden. Bereits seit Mai 2022 arbeitet die Landesanstalt für Medien NRW eng mit dem BKA zusammen. Bis heute hat die Medienanstalt NRW knapp 700 Meldungen zugeliefert.
mehr »

Presserat berät über Döpfner-Leaks

Die Springer-Berichterstattung der vergangenen Wochen beschäftigt den Deutschen Presserat. Gleich zwei Fälle, die im Zusammenhang mit dem Springer-Verlag und der Bild-Zeitung stehen, muss der Presserat auf seiner nächsten Sitzung am 15. Juni 2023 behandeln. Grundlage für die Verfahren sind Beschwerden über die "Berliner Zeitung" und die "Zeit", die beim Presserat eingegangen sind. Beide Publikationen sollen den Pressekodex verletzt haben: Die "Zeit" den Persönlichkeitsschutz und die "Berliner Zeitung" den Informantenschutz.
mehr »

Gesetz zum Schutz von Whistleblowern verabschiedet

Nach dem Bundesstag hat heute auch der Bundesrat das neue Regelwerk zum Whistleblower-Schutz verabschiedet. Damit wurde endlich – nach anderthalbjähriger Verspätung – die Whistleblowing-Richtlinie der EU umgesetzt. Da dieser Schritt überfällig war, wird das sogenannte Hinweisgeberschutzgesetz zwar begrüßt, steht jedoch nach wie vor in der Kritik, da es keinen umfassenden Schutz für Whistleblower beinhaltet. Das Gesetz soll noch im Juni in Kraft treten.
mehr »

Rote Karte gegen Kahlschlag bei der DW

Beschäftigte der Deutschen Welle (DW) protestierten am Tag der Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen der Deutschen Welle in Berlin gegen den geplanten Personalabbau und die Umstrukturierung in zentralen Bereichen des öffentlich-rechtlichen Auslandsenders mit Standorten in Bonn und Berlin. 250 folgten dem Aufruf von ver.di im Bündnis mit den Personalräten des Medienkonzerns zu einem Fahrradkorso vom Sender zum Kundgebungsort am Pariser Platz.
mehr »