Weg vom Kopftuchklischee

„Knüppel im Kreuz – Kind im Bauch“ betitelte der „Spiegel“ 1990 einen Artikel über die unterdrückte „ Kopftuchtürkin“. Zwanzig Jahre später ist sie immer noch der Prototyp der Migrantin in deutschen Medien. Aber mittlerweile gibt es neben dem Opfer viele andere Typen, die ein positiveres, facettenreicheres Bild von Migrantinnen zeigen. Und es gibt immer mehr Journalistinnen mit Zuwanderungshintergrund. Bewegt sich etwas in Medien und Köpfen?

Ende der 80er Jahren waren die türkischstämmige Schauspielerin Renan Demirkan in der ZDF-Serie „Die Reporter“ oder die in Indien geborene Moderatorin des ARD-„Weltspiegel“ Navina Sundaram noch Ausnahmeerscheinungen in deutschen Medien. Das gesellschaftliche Klima damals spiegelt sich in einem Leserbrief, den die Weltspiegel-Redaktion erhielt: „Sehr geehrte Herren! Es ist ein Skandal, dass diese Sendung von einer Ausländerin moderiert wird. Es ist weiter ein trauriges Zeichen, dass sich bei Euch kein Mann findet, der das macht. Diese Dame soll doch in ihr Kaffernland gehen.“
Inzwischen ist Deutschland Einwanderungsland. Die Medien stellen sich darauf ein und einige suchen gezielt Personal mit Migrationshintergrund. Einige Beispiele: Die Frankfurter Rundschau stellte 1999 Canan Topcu ein, um besseren Zugang zur türkischen Community zu erhalten. Seit 2004 gibt es eine „Integrationsoffensive“ beim WDR, um Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu gewinnen. Das ZDF entschied sich 2007 bewusst für die Irakischstämmige Dunja Hayali als neue Moderatorin für die „heute“-Nachrichtenredaktion. Die angestrebte „Normalität“ ist dennoch nicht erreicht. „Jeder fünfte Einwohner im Land besitzt einen sogenannten Migrationshintergrund, aber nur jeder fünfzigste Journalist“, kritisiert Marjan Parvand, Vorsitzende des Vereins „Neue deutsche Medienmacher“.
In der Tat sind Migranten und Migrantinnen im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil in den Medien weiterhin stark unterrepräsentiert. In Zeitungsredaktionen stellen sie nach einer Erhebung des Soziologieprofessors Rainer Geißler Ende 2008 nur 1,2 Prozent des Personals. Lediglich bei der Datenauswertung der Altersgruppen hat er nach Geschlecht unterschieden. Danach machen Frauen bis 35 Jahre mehr als die Hälfte der migrantischen Mitarbeitenden in den Redaktionen aus.
Die jüngeren Migrantinnen scheinen also – zumindest zahlenmäßig – auf dem Vormarsch zu sein. Das lassen auch zwei wissenschaftliche Fallstudien vermuten, die bei der Erhebung der Repräsentation des Personals mit Zuwanderungshintergrund erstmals explizit zwischen Männern und Frauen differenzieren. Nach meiner Befragung in Frankfurter Medien 2005 liegt der Anteil des migrantischen Personals insgesamt bei drei bis 16 Prozent. Dabei kommt auf drei Migranten eine Migrantin. 2009 stellte Katharina Fritsche in ihrer Magistraarbeit fest, dass in den Berliner Radioredaktionen dagegen die Frauen unter den Medienschaffenden mit Migrationshintergrund dominieren, die insgesamt auf 10,1 Prozent kommen. Migrantinnen haben aber in seltensten Fällen Führungsaufgaben und stellen das Gros der Freien.
„Normalität“, die gesellschaftliche Vielfalt spiegelt, fehlt nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in den Medienbildern, die Menschen unterschiedlicher Herkunft oder verschiedenen Geschlechts nicht gleichberechtigt präsentieren. So ist eine geschlechtersensible Sprache in deutschen Medien immer noch die Ausnahme. Wen wundert es da, dass Zugewanderte bis Ende der 70er Jahre pauschal als (männliche) „Gastarbeiter“ präsentiert wurden, obwohl Frauen bereits ab 1965 als Arbeitsmigrantinnen nach Deutschland kamen? In den 70er Jahren setzte man „Migrantin“ – als Anhängsel ihres Mannes – gleich mit der türkischen Hausfrau, die als „Opfer patriarchalischer Unterdrückung“ galt, analysiert Christine Huth-Hildebrandt, Frankfurter Professorin für soziale Arbeit.

Zumeist negative Darstellung

Als „Gastarbeiter“ in den 80er Jahren sprachlich zu „Ausländern“ oder wohlmeinend schönredend zu „ausländischen Mitbürgern“ mutierten, erschienen Migrantinnen als „kulturell rückständig“ im Gegensatz zu den „emanzipierten“ deutschen Frauen. Nach Huth-Hildebrandt wurden sie als Folie benutzt, um im beginnenden Integrationsdiskurs „Fremdheit“ zu markieren, d.h. das Anderssein der Ausländer und das „hierarchische Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten erklären und festschreiben zu können.“ Das bestätigt die Soziologin Stanislawa Paulus in einer Studie zu muslimischen Frauen in Fernsehdokumentationen öffentlich-rechtlicher Sender aus den Jahren 2000 bis 2006: Das „Motiv der Kopftuch tragenden Muslima“ fungiere „als Sinnbild eines Modernitätsdefizits und einer damit verbundenen unüberbrückbaren Differenz zur Mehrheitsgesellschaft.“
Inzwischen kursieren unterschiedliche Medienbilder von Migranten und Migrantinnen, die je nach Sozialstatus, Herkunft, Geschlecht variieren. Männer werden eher aktiv und bedrohlich dargestellt – zunächst im Zusammenhang mit Kriminalität, Gewalt, Drogenhandel. Seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 dominiert das Bild des „Terroristen“ – vor allem von zugewanderten Männern aus arabischen Ländern. Frauen erscheinen dagegen vor allem als schutzbedürftige Opfer im Kontext von Prostitution, Menschenhandel, in der „Kopftuchdebatte“ als unterdrückte Muslima. Gemeinsam ist beiden Geschlechtern eine zumeist negative Darstellung im Zusammenhang mit Islam, Parallelgesellschaft, Asyl. So weigert die Bundesregierung sich zurzeit, Flüchtlinge aus Nordafrika aufzunehmen – mit dem Argument, sie belasteten das deutsche Sozialsystem. Daneben gibt es aber zunehmend mediale Präsentationen von erfolgreich Integrierten, deren ökonomischer und demografischer Nutzen für die deutsche Gesellschaft betont wird.
Das sind Ergebnisse verschiedener Studien über Zugewanderte in den Medien – zumeist vermeintlich geschlechtsneutral als „Migranten“ gefasst. In ersten Arbeiten seit Mitte der 90er Jahre findet sich zwar auch eine Thematisierung der Doppeltdiskriminierung von Migrantinnen qua Herkunft und Geschlecht, die später auf andere Differenzsetzungen wie Schichtzugehörigkeit erweitert wurde. Doch Forschungsgelder für größere systematische und repräsentative Untersuchungen zum Themenkomplex flossen erst in diesem Jahrtausend.

Musterbeispiele für Integration

So konnte die Berliner Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg 2008 das Projekt „Migrantinnen in den Medien“ starten, das vom nordrhein-westfälischen Integrations-Ministerium gefördert wird. Lünenborg analysierte mit ihrem Team erstmalig auf breiter empirischer Basis die Repräsentation von Migrantinnen in deutschen Tageszeitungen und befragte junge Frauen mit und ohne Zuwanderungshintergrund zu Bildern von Migrantinnen in ihren Köpfen und den Medien. Nach den Befunden dominiert zwar weiterhin das Bild des hilfsbedürftigen Opfers. Aber es gibt auch andere Rollen. So tauchen Migrantinnen in der alltagsnäheren Lokalberichterstattung von Tageszeitungen ganz gleichberechtigt als „Nachbarin“ auf – z.B. im Kollegenkreis oder als Fan des örtlichen Fußballvereins. Eine weitere durchweg positive Rolle ist die der „Erfolgreichen“, die – auch vor allem im Lokalen – als „Musterbeispiel für Integration“ präsentiert wird. Erste Ergebnisse sind in dem gerade erschienenen Buch „Migrantinnen in den Medien“ publiziert (s. Interview S. 12/13).
In der Berliner Studie nannten die befragten Migrantinnen immer wieder ein Vorbild, das bei ihnen allen unumstritten war: Die TV-Moderatorin Nazan Eckes, deren Eltern aus der Türkei stammen. Auf sie seien sie stolz, sie biete positive Identifikationsmöglichkeiten. Eckes ist eines von insgesamt 32 Mitgliedern des Bundesbeirates für Integration, der am 23. Mai 2011 erstmals unter Vorsitz von Staatsministerin Maria Böhmer zusammenkam. 2010 sagte Eckes in einem Interview mit der Neuen Westfälischen: „Es ist unmöglich, wenn man in zwei Kulturen aufwächst, sich festzulegen. Ich finde diese Zwischenwelt ganz schön, darin fühle ich mich wohl. Heute, wo sich Kulturen und Religionen vermischen, kann man überall zu Hause sein. Und ich bin es dort, wo ich mich menschlich und beruflich entfalten kann.“
Doch in einer solchen kosmopolitischen Zwischenwelt können nur wenige leben, denn berufliche und menschliche Entfaltungsmöglichen sind immer noch ungleich verteilt – entlang sozialer, ethnischer, geschlechtlicher, kultureller, religiöser Grenzziehungen. Eine Hürde für qualifizierte Migranten und Migrantinnen ist z.B. ihr Aufenthaltsstatus. So müssen internationale Studierende innerhalb eines Jahres nach ihrem Examen eine Stelle finden, um in Deutschland bleiben zu können und haben keine Chance, sich wie deutsche Staatsangehörige hartnäckig mehrmals zu bewerben. Auch sind KandidatInnen mit Migrationshintergrund oft älter als deutsche, weil sie im Bildungssystem höhere Hürden zu überwinden haben oder aus finanziellen Gründen länger für die Erfüllung der Qualifizierungsvoraussetzungen brauchen. Bei Frauen verzögert die Familienphase zuweilen die berufliche Karriere.
In Anbracht dieser Benachteiligungen hilft nur eine starke Lobby. Die Interessen und Forderungen von Migrantinnen decken sich einerseits mit denen deutscher Frauen, anderseits mit denen von Männern, die auch eine Zuwanderungsgeschichte haben. Bis in die 90er Jahre wurde die doppelte Diskriminierung der Migrantinnen in den Medien qua Geschlecht und Herkunft von deutschen Frauen kaum thematisiert. Zunächst setzten sich einzelne Gleichstellungsbeauftragte wie Pari Niemann beim NDR in Hannover für die Belange von Migrantinnen ein, dann leisteten auch Journalistinnenverbände Lobbyarbeit. Der Journalistinnenbund veranstaltete 2002 eine Tagung zu Gender und Diversity. Die Medienfrauen von ARD und ZDF forderten bei ihrem Herbsttreffen im November 2003 erstmals, MigrantInnen in Sendungen und Personalpolitik stärker zu berücksichtigen.
In der Berliner Befragung kritisieren die jungen Migrantinnen eine „mangelnde Solidarität unter Frauen“. Ihre nicht-deutsche Herkunft scheint für migrantische Journalistinnen bisher ein stärkeres Band zu sein als ihre Geschlechtszugehörigkeit. So gab es seit den 90er Jahren auch verschiedene Anläufe, eine gemeinsame Interessenvertretung von männlichen und weiblichen Medienschaffenden mit Migrationshintergrund aufzubauen. Einige Beispiele aus dem breiten Spektrum dieser Initiativen: Zusammen mit anderen internationalen Studierenden des Dortmunder Instituts für Journalistik initiierte Pantea Bahrami 1996 das Migranten Medien Zentrum MMZ, das über zehn Jahre lang Projekte wie „NRW gegen Rassismus“ und größere Veranstaltungen zu MigrantInnen und Vielfalt in den Medien organisierte.
1999 gründete der Schauspieler Tayfun Bademsoy in Berlin die Agentur „Foreign faces“ – als Lobby für Kollegen und Kolleginnen mit ausländischen Wurzeln, die in deutschen Produktionen mitwirken. Als er 2004 als Geschäftsführer ausschied, leitete Rudolf Oshege die Agentur unter dem Namen „International Actors“ weiter. 2005 schlossen sich Akteure aus Film und Fernsehen, Kultur, Medien- und Migrationsforschung in der Bundesinitiative Fernsehen und Integration zusammen – unter ihnen neben Tayfun Bademsoy andere renommierte Schauspieler und Drehbuchautoren wie Hussi Kutlucan und Feridun Zaimoglu. Inzwischen ist es ruhig geworden um die beim Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) angesiedelte Initiative, die sich für Unterhaltungsformate einsetzt, in denen die Lebensverhältnisse der zugewanderten Bevölkerungsgruppen authentisch dargestellt werden.

In die Debatte einmischen

Die zurzeit wohl stärkste Lobby für Medienschaffende mit Migrationshintergrund ist der Verein „Neue deutsche Medienmacher“, der 2008 entstand. Bundesweit aufgestellt, zählt er mittlerweile über 300 Mitglieder. Er will sich „in die Debatten einmischen und für eine ausgewogenere Berichterstattung und mehr Kolleginnen und Kollegen mit einem so genannten Migrationshintergrund einsetzen – nicht nur vor und hinter der Kamera, dem Mikrophon und an den Redaktionstischen, sondern auch in den Planungsstäben, Führungsetagen und Aufsichtsgremien,“ heißt es auf der Website. So unterstützen die Neuen Medienmacher mit einem Mentorenprogramm die überwiegend migrantischen Studierenden, die beim Bildungswerk Kreuzberg crossmedial für Radio, Fernsehen und Online ausgebildet werden. Der Verein sucht Leute, die in den kooperierenden Redaktionen in relativ hohen Positionen sitzen und bereit sind, als Mentor oder Mentorin aufzutreten.
Auch in Gewerkschaften finden Medienschaffende mit Migrationshintergrund Unterstützung. 2006 wurde im Journalistenverband Berlin-Brandenburg das „Interkulturelle Netzwerk“ gegründet, das „einen Erfahrungsaustausch und die Entwicklung von Forderungen für mehr Interkulturalität in den Medien ermöglichen“ sollte. Koordinatorin Minou Amir-Sehhi organisiert Roundtablegespräche – am 25. Mai z.B. mit Sawsan Chebli, Grundsatzreferentin für Interkulturelle Angelegenheiten des Berliner Senats. Die mittlerweile in der Gewerkschaft ver.di aufgegangene IG Medien hatte bereits 1994 versucht, einen Arbeitskreis Medien und Migranten zu etablieren, der aber wieder auseinander fiel. Etwas Ähnliches gebe es bei ver.di „ jetzt leider nicht“, beschreibt Migrationsbeauftragte Sonja Marko den Status quo und fügt hinzu: „Die Journalisten und Journalistinnen mit Migrationshintergrund sind in der Personengruppe der Freien oder im Fachbereich Medien organisiert. Der Beruf ist für sie wohl eher handlungsleitend als ihr Migrationsstatus“. Das sei im Kampf gegen Diskriminierung hier möglicherweise auch „die hilfreichere Variante“.
So gibt es viele verschiedene Wege zum gleichen Ziel: Menschen in ihrer Individualität zu respektieren – jenseits sozialer, ethnischer, geschlechtlicher, kultureller, religiöser Zuordnungen oder wie es Sonja Marko ausdrückt: „Ich bin ich!“

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