Zu weite Grenzen

Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent von ver.di, zur Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Springer und das deutsche Medienkonzentrationsrecht.

«M»: Bertelsmann kontrolliert mit der RTL Group seit Jahren unbeanstandet die stärkste deutsche Privatsenderfamilie. Wieso sehen Kritiker in der geplante Elefantenhochzeit zwischen Springer und der ProSiebenSat.1 Media AG eine Gefahr für die Medienvielfalt?

MARTIN DIECKMANN: Wer sagt denn, dass der Einfluss des Bertelsmann-Imperiums akzeptabel ist? Im Fall Axel Springer kommt aber hinzu, dass die Verbindung der Sendergruppe insbesondere einem so reichweitenstarken Objekt wie Bild einen unvergleichbar großen, und zwar gezielten Meinungseinfluss erlaubt. Die Bild-Kampagnen sind einschlägig, auch ihre Wirkung. Für klassisches Agenda-Setting, darüber hinaus cross-mediale Vermarktungsstrategien bietet der ProSiebenSat.1-Deal eine ideale Plattform.

«M»: Dieser Fall crossmedialer Konzentration, so heißt es, stelle das deutsche Medien- und Kartellrecht vor ganz neue Herausforderungen. Wieso eigentlich?

MARTIN DIECKMANN: Kartellrechtlich spielt nun erstmals die cross-mediale Verstärkung von Marktpositionen eine erhebliche Rolle. Allerdings gelten hier nach wie vor dieselben Regeln zur Bestimmung von Marktmacht. Anders sieht es dagegen medienrechtlich, also auf der Grundlage des Rundfunkstaatsvertrages, aus. Dort wird der bundesweite Zuschaueranteil zugrunde gelegt. Zuschaueranteil und Marktanteil sind aber verschiedene Kriterien – dem Zuschaueranteil entspricht eher die Reichweite, nicht die Auflage eines Printobjekts, während der Marktanteil kartellrechtlich nach verkaufter Auflage bemessen wird. Welche Rückwirkungen nun eine Medienmacht im Senderbereich auf die Stellung eigener Printmedien hat, wird nur kartellrechtlich geprüft. Das ist auch bei Axel Springer jetzt der Fall. Ungeprüft – und daher auch zu regeln – wäre die verstärkte Macht auf den Lesermärkten, und zwar die Reichweite, durch gewachsene Anteile auf den Zuschauermärkten des Fernsehens.

«M»: Welche Befugnisse hat das Kartellamt, welche die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)?

MARTIN DIECKMANN: Das Kartellamt hat Kartelle und Zusammenschlüsse in Bezug auf deren Auswirkungen auf alle betroffenen Märkte zu untersuchen und zu genehmigen, die KEK allein deren Auswirkungen auf die Zuschauermärkte bei bundesweiten privaten Fernsehveranstaltern, um eine zu große Meinungsmacht zu verhindern.

«M»: Mutet eine solche Differenzierung in diesem konkreten Fall nicht reichlich theoretisch an? Immerhin geht es um die Fusion von Europas größtem Zeitungsverlag mit der zweitgrößten Privatfernsehkette…

MARTIN DIECKMANN: … wie gesagt, bei der KEK geht es dezidiert um vermuteten oder wahrscheinlichen Meinungseinfluss. Das ist eine ganz andere Zielvorgabe als im Kartellrecht. Potenzieller Meinungseinfluss kann sich ja auch in problematischem Ausmaß ergeben, wenn es auf den einzelnen Märkten wettbewerbsmäßig einwandfrei zugeht. Insofern ist die KEK näher an der medienpolitischen Problematik dran. Beim Kartellamt darf es nur um die rein wirtschaftliche Seite gehen. Die Differenzierung ist alles andere als theoretisch, sie ist allerdings noch nicht genügend ausbalanciert – beide Systematiken sind miteinander zu verknüpfen, um zu einer effektiven Konzentrationskontrolle in der sensiblen Medien- und Kommunikationsbranche zu kommen. Das ist das Gute an der derzeitigen Diskussion: Die Printmedien geraten endlich in die medienpolitische Diskussion!

«M»: Weder die RTL Group noch die ProSiebenSat.1 Media AG erreichen bislang einen Zuschauermarktanteil von 25 bzw. 30 Prozent, bei dem laut Rundfunkstaatsvertrag „vorherrschende Meinungsmacht“ vermutet wird. Warum also die Aufregung?

MARTIN DIECKMANN: Die Aufregung rührt daher, dass vielen erstmals auffällt, wie großzügig diese Grenzziehungen sind. Solche Größen sind letztlich Ergebnis von politischen Entscheidungen, sie sind – darüber gibt es nirgends Dissens – letztlich voluntaristisch bestimmt. Also ist es eine Frage der politischen Durchsetzung beziehungsweise des politischen Willens, wann, wie oder ob man überhaupt ernsthaft Grenzen ziehen will. Ich halte sie für viel zu weit. Seinerzeit hatte die SPD ja auch noch 20 Prozent gefordert, ist dann aber – nicht zuletzt gegenüber Bertelsmann – weich geworden. Noch etwas zu der sogenannten Aufregung: Klar ist doch, dass gerade bei einem Zeitungskonzern insbesondere die anderen Zeitungsverleger aufgeregt reagieren: Die Pressefusionskontrolle zieht ihrer Einkaufspolitik drastisch Grenzen, und jetzt müssen sie zusehen, wie ein Zeitungsgigant vom Format Axel Springer im benachbarten Medium einfach mal so zulangen darf. Was die Kombination einer Senderkette mit dem Bild-Imperium bedeutet, darüber wissen wahrscheinlich Zeitungsverleger besser Bescheid als so manche Medienpolitiker oder auch Medienjournalisten.

«M»: Der Begriff der medienrelevanten verwandten Märkte ist reichlich unbestimmt und bislang nicht klar definiert. Wie soll überhaupt der Einfluss so unterschiedlicher Medien wie Hörfunk, Online-Angeboten oder gar Werbung auf die Meinungsbildung gemessen werden?

MARTIN DIECKMANN: Gegenfrage: Warum setzt die Politik solche Grenzen wie 30 Prozent Zuschaueranteil – aber nicht 27,92 Prozent? So schwierig ist es nicht, potenziellen Meinungseinfluss zu begrenzen. Wer hier aber versucht, bis ins Detail die einzelnen Gattungen nuanciert zu gewichten, landet auf Gebieten, wo leicht zu handhabende Regelungen nicht mehr gefunden, geschweige denn begründet werden können. Hier wird man summarisch vorgehen müssen, unterschiedliche Gewichtungen sind rein verfassungsrechtlich vorgeschrieben: So geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass der Meinungseinfluss etwa des Fernsehens größer ist als der von Tageszeitungen. Das kann man differenzierend gewichten, nicht aber in unendlichen Verfeinerungen etwa die einzelnen Printgattungen. Wichtig ist jedoch in jedem Fall, dass über Werbeinhalte als Meinungseinfluss diskutiert werden muss. Dies um so mehr, weil Werbung immer näher an redaktionelle Inhalte heranrückt.

«M»: Kartellamtschef Ulf Böge sieht unter anderem die marktbeherrschende Stellung Springers im Bereich der Boulevardpresse als problematisch an. Was haben Bild und BZ mit Pro Sieben oder Kabel 1 zu tun?

MARTIN DIECKMANN: Das Themen-Portfolio der Bild-Gruppe deckt so gut wie alles ab, was zum alltags-, werbe- wie politikrelevanten Agenda-Setting gehört. Das liegt doch angesichts der täglichen Reichweite allein der Bild-Zeitung auf der Hand. Wobei es Dr. Böge natürlich auch um den medialen Verstärker-Effekt geht: Ressourcen des Fernsehens können für die Bild-Zeitung genutzt werden, nicht zuletzt durch cross-mediale Werbung.

«M»: Bergen nicht die vom Kartellamt ebenfalls angesprochenen Verflechtungen Springers mit RTL-Hauptgesellschafter Bertelsmann im Zeitschriftendruck im Kontext der geplanten Fusion noch größere Gefahren? Immerhin droht damit ein wettbewerbsloses Oligopol zweier Senderfamilien auf dem deutschen TV-Markt…

MARTIN DIECKMANN: Es handelt sich nicht um größere Gefahren, das Joint-Venture im Tiefdruck legt nur die Vermutung nahe, dass eine derartige Konzentration auf zwei Hauptwettbewerber, die auf einem anderen Markt kooperieren, schneller Marktabsprachen möglich macht als in anderen Fällen. Analog zur berühmten Deutschland AG entsteht hier ein Amalgam einer Medien AG durch kaum noch zu entwirrende Kooperations- und Wettbewerbsbeziehungen.

«M»: Ist die Erwartung realistisch, dass Kartellamt und / oder KEK die Fusion untersagen?

MARTIN DIECKMANN: Beide, Kartellamt wie KEK, scheinen derzeit gewillt, hier so gut wie alle gesetzlichen Spielräume auszunutzen. Das ist gut so. Aber ob diese Spielräume für eine Untersagung ausreichen, bezweifele ich. Hier wird man abwarten müssen, die Experten aller Fronten sind schon gutachterlich aufmarschiert. Papiere gibt es bereits zur Genüge. Am Ende werden wohl einige Gerichte zu entscheiden haben.

«M»: In der Öffentlichkeit wird schon über mögliche Auflagen spekuliert, unter denen Springer am Ende seine Medienverbundspläne realisieren dürfe. Wird es ausreichen, ein paar Programmzeitschriften zu verkaufen?

MARTIN DIECKMANN: Das hängt halt ganz entscheidend von der Untersuchung und Bewertung insbesondere durch das Kartellamt ab. Dessen Gutachten sind nun einmal sehr differenziert, gehen nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe von Marktstrukturen. Aber wenn es zu einem Einspruch seitens des Kartellamts kommt, dann wird dieser maßgeblich aus Auflagen bestehen. Wie empfindlich diese für Axel Springer sein werden, kann man jetzt noch nicht sagen. Denkbar ist schließlich, dass Eingriffe in die Tiefdruck-Kooperation von Axel Springer mit Bertelsmann und Gruner + Jahr verlangt werden.

«M»: Eine Durchlöcherung der seit fast 30 Jahren bewährten pressespezifischen Fusionskontrolle ist unlängst – auch aufgrund der Widersprüche im Verlegerlager – vorerst gescheitert. Ist nach den Wahlen mit einer neuen Attacke der Großverleger zu rechnen?

MARTIN DIECKMANN: Ach, die … Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass erst einmal für längere Zeit Ruhe herrschen wird. Insbesondere Holtzbrinck hat sich derart dramatisch eine Niederlage nach der anderen selbst beschert, und die Widersprüche im BDZV dürften nicht schwächer als bislang werden. Somit stände ein nicht sonderlich geeinter Verband einer wiederum nicht sonderlich geeinten schwarz-gelben oder großen Koalition gegenüber. Selbst wenn es nochmals zu Rotgrün kommt – der Bundesrat bliebe derselbe und auch die Toberei zwischen namhaften BDZV-Mitgliedern und Politikern aus CDU, CSU und FDP.

«M»: Bei der Debatte um die Konzentrationskontrolle geht es meist um die Entwicklung effizienterer Kriterien und Methoden im Hinblick auf nationale Vorgänge. Ist angesichts global agierender Medienkonzerne nicht mindestens eine europäische Perspektive längst überfällig?

MARTIN DIECKMANN: Das ist richtig, aber man muss genau hinzufügen, wer was regeln soll. Grundsätzlich steht es allen EU-Mitgliedsstaaten nach dem Subsidiaritätsgrundsatz frei, die eigene Medienpolitik zu regeln. Die EU eignet sich also schlecht als Alibi für eine schlechte Konzentrationskontrolle in medienpolitischer Hinsicht. Um zu einer wirksamen EU-weiten Medienkonzentrationskontrolle zu kommen, müssen mindestens zwei Voraussetzungen gegeben sein: Erstens ist die gebotene Autonomie der nationalen Medienpolitiken auszutarieren mit übergeordneten EU-Regeln, was schon schwer genug zu bewerkstelligen sein wird. Zweitens aber müsste es EU-weit einen Konsens über medienpolitisch begründete Eingriffe in Marktmacht von Medienunternehmen geben. Das geht nur, wenn so etwas wie Sicherung der Meinungsvielfalt dem Wettbewerbsrecht übergeordnet wird. Mit der EU ist das derzeit nicht zu machen. Überall, wo medienpolitische Regulierungen von Mitgliedsstaaten den zwischenstaatlichen Handel, also Investitionen, berühren, dürfte die EU-Kommission gegen solche Regelungen vorgehen. Aber, um nicht missverstanden zu werden: Gerade das Beispiel Axel Springer zeigt ja, wie vordergründig die Argumentation gegen „ausländisches Kapital“ ist. Wir haben es mit einem handfest deutschen Meinungsmarkt-Problem zu tun, und das ist – ohne auf die EU oder sonst wen zu warten – hierzulande zu regeln.

Das Gespräch führte Günter Herkel

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