Erhalt der Eigenproduktion

Die Zukunft der Fernsehproduktion beim hr

1992 war eines der schwierigsten Jahre in der Geschichte des Hessischen Rundfunks. Immer wieder war der hr mit Skandalen in der Presse. Die wirtschaftlichen Hochrechnungen zeigten ein drohendes Desaster: Rote Zahlen in zweifacher Millionenhöhe mit stetig steigender Tendenz. Der Intendant Prof. Kelm ließ, ohne die Zielsetzungen mit der Personalvertretung und den Mitarbeiterinnen zu erörtern, von Beratungsfirmen Rationalisierungskonzepte erarbeiten – mit dem Ergebnis: Radikaler Personalabbau und Auslagerung der Produktion. „Es herrscht Krieg im Haus“, mit diesen treffenden Worten wurde eine Personalversammlung im überfüllten Sendesaal des hr eröffnet. Damit war die erste Runde im Kampf um die Eigenständigkeit des Hessischen Rundfunks eingeläutet.

Privat gleich bunter, schöner, wirtschaftlicher?

Ausgelagerte Betriebe arbeiten mit einem Gewinnaufschlag von ca. sieben Prozent und sind außerdem mit 16 Prozent mehrwertsteuerpflichtig. Zusammengenommen entstehen dadurch rund 23 Prozent Mehrkosten für die Programmproduktion. Trotzdem scheut sich der Intendant des mdr und derzeitige ARD-Vorsitzende Udo Reiter nicht, die Auslagerung der gesamten Produktion beim mdr in der Öffentlichkeit als wirtschaftlichen Erfolg zu verkaufen. So werden die Bürgerinnen und Bürger an der Nase herumgeführt, denn nur der Erhalt der Eigenproduktion stellt sicher, daß jede Mark der Gebührenzahler auch für die Programmproduktion eingesetzt wird. Seit langem ist Reiter jedoch nicht der einzige in der ARD, der diese Ansicht vertritt.

Sind staatliche oder öffentlich-rechtliche Betriebe zwangsläufig unflexibel, bürokratisch und schwerfällig?

Mit diesem Argument wird seit Jahren in einem Teil der Presse gegen staatliche und öffentlich-rechtliche Betriebe Politik betrieben. In Wirklichkeit haben privat organisierte Betriebe innerhalb ihrer Strukturen die gleichen Probleme: Schwächen in der Ablauforganisation, veraltete Strukturen, die nicht den Erfordernissen neuer Produktionsmethoden angepaßt wurden; Hierarchien, die jede Kreativität unterdrücken. Heerscharen von Beratungsfirmen durchforsten deshalb in der Privatindustrie Bereich für Bereich, Abteilung für Abteilung. Die Ziele dieser Rationalisierungsmaßnahmen sind klar und eindeutig: Kostenreduzierung zwecks Gewinnmaximierung – drastischer Personalabbau inklusive.

Privat organisierte Medienbetriebe haben nur ein Ziel: Sie wollen mit ihrem Programm „Kasse machen“. Ob private Betriebe tatsächlich wirtschaftlicher arbeiten, wird in der öffentlichen Diskussion erst gar nicht mehr hinterfragt. Was hier jedoch als „wirtschaftlich“ bezeichnet wird, müßte in Wirklichkeit „profitabel“ heißen.

Intendant Kelm wurde Ende 1992 von den Gremien in den Ruhestand entlassen. Mit dem Intendanten Prof. Klaus Berg bekam der hr im April 1993 einen engagierten Streiter für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem. Der Personalrat nahm sofort die Gespräche mit dem neuen Intendanten auf. Zusammen mit Klaus Berg gelang es, eine gemeinsame Zielsetzung für das Vorgehen gegen die drängenden Probleme des hr zu entwickeln. Die unter den finanziellen Bedingungen des hr hochgesteckten Ziele lauten bis heute:

  • Erhalt der Eigenständigkeit des hr als Landessender
  • Erhalt der Eigenproduktion
  • Intensive Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an allen Veränderungsprozessen
  • Arbeitsplatzgarantie, Besitzstandsgarantie, aber keine Aufgabengarantie.

Mit den gewachsenen, hierarchischen Strukturen waren die anstehenden Probleme nicht zu lösen, das war allen Beteiligten klar. Um die Ziele erreichen zu können, mußte der hr zunächst selbst lernen, wie Veränderungsprozesse zu bewältigen sind. Dazu benötigten wir methodische Hilfe von außen. Wichtig in dieser Phase: Eine Beratungsfirma muß die Ziele einer Reorganisation vorgegeben bekommen. Es muß ein klarer, mit allen Seiten abgestimmter Projektauftrag vorliegen. Die angewandten Methoden sind nach den vorgegebenen Zielen auszurichten. Bei der Auswahl einer Beratungsfirma beteiligte sich der Personalrat des hr deshalb intensiv. Die Beratungsfirmen mußten ihre Konzepte im hr präsentieren. Mc-Kinsey oder Roland Berger, bekannt durch Privatisierungs- und Auslagerungskonzepte im öffentlichen Dienst, wären vom Gesamtpersonalrat des hr nicht akzeptiert worden. Die Wahl fiel auf eine im Konsens ausgesuchte Firma, mit einem systematischen und durchdachten Beteiligungskonzept. In den folgenden Jahren wurde eine Erfassung der bestehenden Produktionsmethoden und der darin enthaltenen Probleme durchgeführt. Dies wurde in über 60 hierarchiefreien Workshops mit den MitarbeiterInnen realisiert. Eine grobe Soll-Konzeption wurde entwickelt. Die Feinkonzeption wurde durch eine nur mit hr-Mitarbeitern besetzte Projektgruppe erarbeitet. Die Ergebnisse für die Fernsehproduktion lauten, schlagwortartig zusammengefaßt:

  • Eine neue Ablauforganisation,
  • eine neue Aufbauorganisation,
  • die Einführung eines Produktions-Planungs- und Dispositionssystems,
  • die Organisation des Produktionsbetriebs als Service-Center.

Die Zukunft beim hr: Budgetierung und innerbetriebliche Leistungsverrechnung

Im Zuge des Projekts „Zukunft der Fernsehproduktion“ wurde beim hr beschlossen, die Fernsehproduktion ab dem 1. Januar 2000 in einen kundenorientierten Dienstleistungsbereich – neudeutsch Service-Center – umzuwandeln. Das Ziel: Die Wirtschaftlichkeit der Produktionsbetriebe soll verbessert werden, um damit die Eigenproduktionsfähigkeit des hr auf Dauer zu erhalten.

Was versteht man nun unter einem Service-Center?

In der Programm- und Finanzplanung werden von den Redaktionen zunächst Angaben darüber gemacht, wie sie ihre Sendeplätze füllen möchten. Für die Eigenproduktionen werden die Produktionsmittel und die benötigte Anzahl für die Jahresplanung ermittelt. Jede Leistung, die von der Fernsehproduktion erbracht wird, wird mit einem „marktorientierten“ Preis versehen. Die für Produktionen benötigten Kapazitäten werden den Redaktionen in Geld auf ein eigens eingerichtetes Redaktionskonto eingestellt. Erteilt eine Redaktion künftig einen Auftrag an die Fernsehproduktion, muß sie aus diesem Konto für Produktionsleistungen bezahlen. Der Betrag wird dann dem Erlöskonto der Produktionsbetriebe gutgeschrieben – eine innerbetriebliche Leistungsverrechnung.

Die Vorteile: Mit allen Beteiligten können klare Ziele vereinbart werden; der Produktionsbetrieb kann sich so viel stärker als bisher an den Bedürfnissen des Programms ausrichten. Und jederzeit wird transparent, wer mit welchem Aufwand produziert. Geschieht dies teurer als auf dem freien Markt, müssen Gegenmaßnahmen gefunden werden.

Zusätzlich gilt, daß alle Produktionsleistungen über das Service-Center bezogen werden müssen – ein sogenanntes Angebotsmonopol. Nur das Service-Center kann in Zukunft entscheiden, ob und welche Aufträge zusätzlich an freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungsweise an Fremdfirmen vergeben werden. Durch Marktvergleiche kann der hr seine Wirtschaftlichkeit gegenüber den Gebührenzahlern unter Beweis stellen. In vielen Fällen kann sogar günstiger produziert werden, da der Gewinnaufschlag und die Mehrwertsteuer entfallen. Das Service-Center Fernsehproduktion ist deshalb ein Meilenstein für den Erhalt der Eigenproduktion im Hessischen Rundfunk.

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