ProSiebenSat.1-Vorstandschef Bert Habets schlägt den Aufbau einer gemeinsamen Streaming-Plattform öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter vor. Es gehe nicht um einen Wettbewerb der beiden Systeme, sondern um den gemeinsamen Wettbewerb „gegen die Flut der Desinformation“, sagte Habets auf einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) am 22. März in Berlin. ARD-Vorsitzender Kai Gniffke signalisierte Gesprächsbereitschaft.
Habets agiert erst seit dem 1. November 2022 als ProSiebenSat.1-Boss. Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in dieser Funktion überraschte er mit einem Kooperationsangebot an die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. „Wir brauchen reichweitenstarke Medien, die Informationen verlässlich aufbereiten“, sage Habets. Im Interesse der Demokratie sollten alle Wettbewerber „an einem Strang ziehen“. Erforderlich sei eine gemeinsame „Anlaufstelle für unser Publikum“. Es gehe um eine „Plattform, der die Menschen vertrauen können“.
Die Idee einer branchenverbindenden Streaming-Plattform sei nicht neu, räumte Habets ein. Der Zeitpunkt sei aber „günstiger denn je“, denn „mit der vollständigen Übernahme von Joyn haben wir die Weichen für ein zentrales digitales Angebot schon gestellt“. Damit habe man die Entwicklung eines Streaming-Dienstes „Made in Germany“ selbst in der Hand. „Wir positionieren Joyn als einen frei zugänglichen Streaming-Anbieter für die ganze Familie“, so Habets. Ohne Bezahlschranke, fokussiert auf lokale Premium-Inhalte.
Joyn verkörpere bereits eine Aggregator-Plattform. Man lade „alle social-media-Kreativen, Industriepartner, Produzenten, aber auch andere Sender und Publisher“ zum Mitmachen ein, zeigte sich Habets offen für Gespräche. Er kündigte an, das Joyn-Angebot erweitern zu wollen. Gemeinsam mit anderen könne man für Vielfalt und Qualität stehen und einen „verlässlichen Gegenpol“ gegen die Flut der Desinformation bilden.
Zuvor hatte Habets sich zu einem zukunftssicheren dualen System bekannt und zugleich eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angemahnt. Wer aus Beitragsgeldern finanziert werde, müsse Rechenschaft über seine Haushaltsführung abgeben. Es sei wichtig, dass die Politik die entsprechenden Weichen stelle. Den kürzlich ernannten Zukunftsrat begrüßte er als „guten ersten Schritt“. Er hoffe, dieser Rat sei mutig genug, „out oft the box“ zu denken.
Gniffke: „Großartiger Gedanke“
ARD-Chef Kai Gniffke nahm das Gesprächsangebot auf. „Das duale System gerät aus den Fugen“, sagte er. Neben der nationalen privaten Konkurrenz gebe es jetzt auch noch „Netflix, Disney, gigantische Multis – da gehe die Waage in Richtung ganz, ganz schräg“. Angesichts dieser Entwicklung halte er die Habets Aufforderung zur Kooperation für einen „großartigen Gedanken“.
Solle man zulassen, dass „eine Handvoll großer Konzerne mit ihren Algorithmen und ihrer gewaltigen Finanzkraft den kompletten Medienmarkt dominieren und auch deutschen Verlagshäusern schamlos in die Tasche greifen?“, so Gniffkes rhetorische Frage. Es könne nicht sein, dass der demokratische Diskurs „ausschließlich ausländischen Tech-Konzernen überlassen werde, die nach Kapitalverwertungsinteressen handeln oder – noch schlimmer – eine politische Agenda haben“.
Ein positives Verhältnis zu Öffentlich-Rechtlichen und Privaten beschwor dagegen Sabine Frank, Head of Government Affairs and Public Policy von You Tube, in der Debatte über „Vielfalt, Qualität und fairen Wettbewerb“. Man unterstütze doch die Sender dabei, zu ihrem Zielpublikum zu kommen. Die „Tagesschau“ habe schließlich einen You-Tube-Kanal mit einer Million Abonnenten und Milliarden Abrufen, was zeige, dass Qualitätsinhalte gefragt seien. Man sei also „viel näher beieinander, als die ersten Aussagen von Professor Gniffke vermuten ließen“, so Frank leicht ironisch.
Für Gniffke ist entscheidend, dass „wir als deutschsprachige Medienhäuser es schaffen, uns auf gemeinsame technische, handwerkliche und ethische Standards zu einigen“. Ziel müsse sein, sich „gegenseitig den Traffic zuspielen“ zu können, „damit die Menschen nicht nur in sozialen Medien ganz weniger international agierender Konzerne ihre mediale Heimat finden, sondern in einem Ökosystem deutschsprachiger Medienanbieter“.
Der ARD-Chef hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, in den kommenden Jahren massiv in die Entwicklung von Technik zu investieren, um den großen Streaming-Plattformen Paroli bieten zu können. Erster Wunschpartner beim Aufbau einer solchen Plattform ist für ihn das ZDF. Das Zweite steht diesem Ansinnen allerdings einstweilen skeptisch gegenüber.
Für ProSiebenSat.1-Vorstandschef Habets ist das Publikum nicht an getrennten Plattformen öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter interessiert. Dies müsse der Ausgangspunkt von Gesprächen über künftige Kooperationen sein. Gniffke hielt dagegen, die Zuschauer*innen wünschten zwar einen komfortablen Zugang zu den Inhalten. Aber dem Publikum sei nicht egal, ob es öffentlich-rechtliche oder private Inhalte konsumiere. Die Zuschauer*innen wollten schon Inhalte, bei denen sie sicher sein könnten, dass sie „frei von wirtschaftlichen Interessen, frei von politischen Interessen“ seien.