Die Betreiber der Filmtheater atmen nach dem Katastrophenjahr 2018 auf. Die Internet-Marktforscher von Comscore verzeichneten einen 15-Prozent-Zugewinn an Besuchen gegenüber dem Vorjahr. Doch die Zukunft des kommerziell ausgerichteten Kinomarktes wird weiterhin in Zweifel gezogen. Arthouse-Kinos setzen derweil mit Erfolg auf das auch von Kommunalen Kinos gehandhabte Zielgruppenmarketing und stärken das Kino als Kulturort.
Dem Kinosaal wird seit den 1960er Jahren kontinuierlich der nahende Tod prophezeit. Zuerst lag es am Fernsehen, dann an VHS sowie Video on Demand und seit einigen Jahren an den Serienproduktionen, die Zuschauer*innen geradezu suchtartig an die Streaming Portale binden. Serienjunkies gibt es in allen Altersgruppen, während laut Filmförderungsanstalt (FFA) 2018 vor allem Besucher*innen jenseits der 50 das Kino aufsuchten. Sie stellten 52 Prozent der Kinogänger. Die 20- bis 29jährigen nur noch 12 Prozent. Für sie scheint die große Leinwand im dunklen Saal nicht mehr das verlockende „Endgerät“ zu sein. Nicht nur über den Flachbildschirm im trauten Heim wird gestreamt, die User*innen konsumieren eifrig via Tablet und Smartphone.
Rettungsprogramme
Steht die nächste Sterbewelle der Kinos an? Auch wenn laut FFA sowohl die Anzahl der Kinos als auch der Standorte steigt, sehen sich Filmtheater im ländlichen Raum mit Recht in ihrer Existenz bedroht. Der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) schlug Alarm, und Monika Grütters, die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM), verkündete ein Soforthilfeprogramm für das Jahr 2019. Insgesamt wurden damit rund 5,2 Mio. Euro für 271 Kinos in Gemeinden bis zu 25.000 Einwohnern vor allem für Modernisierungsmaßnahmen bewilligt. Zusätzlich soll das längerfristig ausgerichtete „Zukunftsprogramm Kino“ Abhilfe schaffen. Von Seiten der BKM werden 2020 bis zu 17 Mio. Euro bereitgestellt. Die Länder sollen in entsprechender Höhe zur Ko-Finanzierung beitragen. Bisher ist offiziell nur NRW aufgesprungen.
Verbesserte Marketingstrategien
Bleibt das Problem mit der Kundenansprache. Die Fördergelder sollen auch der „Stärkung der Kulturarbeit“ von Filmtheatern dienen, denn neue Kassensysteme und Popcornmaschinen reichen nicht aus, um die Jugend zurückzugewinnen. Wegweisend sind die Strategien der Programmkinos, für die laut FFA das Jahr 2018 nicht annähernd so schlecht lief wie für den Gesamt-Kinomarkt. Und das, obwohl ihre Säle fast ausschließlich Arthouse-Filme spielen. Die Mitglieder des Programmkinoverbands AG Kino – Gilde verzeichneten das beste Ergebnis seit fünf Jahren. „Das zeigt, Kino geht doch im Streaming-Zeitalter!“ sagt Felix Bruder, Geschäftsführer der AG. Dies kann heute nur über zielgruppenorientiertes Impact Marketing mithilfe von Kooperationspartnern gelingen. Zusätzlich geladene Gäste wie Regisseur*innen machen den Kinobesuch zum Event. Gunter Deller, Mitgeschäftsführer des oftmals prämierten „Mal seh’n“-Kinos in Frankfurt am Main, ist mit seinen Besucherzahlen zufrieden: „Unsere 4000 Follower auf Facebook haben mit Sicherheit dazu beigetragen. Wir denken gerade darüber nach, für die jungen Besucher auf Instagram zu gehen.“
Andreas Heidenreich, Vorstand des Bundesverbands für kommunale Filmarbeit (BkF) weiß dies zu bestätigen: „Durch Zielgruppenmarketing kann man Vieles verändern. Ein gutes Beispiel ist das Revival der Studentenkinos. Das Kino ist eben ein Erlebnisort mit sozialem Faktor.“ Die nichtgewerblichen Kommunalen Kinos kümmern sich in ihren Programmen bereits seit 1975 um die Filmkultur. Dazu gehören das Filmerbe, das Kino aus nichtwestlichen Ländern sowie der Pflege des politischen Diskurses anhand der Filmkunst. Bereits vor Facebook & Co. haben sie ihre Kinos mithilfe von lokalen Kooperationspartnern zum Kulturort gemacht.
Historisch überholt?
Lars Henrik Gass, Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, betrachtet die kommerziell orientierte Auswertung des Films im Kinosaal dagegen als historisch überholt. „Der Besucherrückgang 2018 markierte nur den Kipppunkt. Das System des Kinomarktes steht schon lange unter Druck. Die Politik versucht das Problem nur schnell mit Geld zu lösen, ohne längerfristig zu denken.“ Gass sieht die Politik dagegen in der Pflicht, für das Kino einen geregelten Musealisierungsprozess einzuleiten. Das Kino werde eine ähnliche kulturgeschichtliche Entwicklung wie die Opernhäuser durchlaufen. „Irgendwann konnten die auch nicht mehr die Kosten der Hervorbringung decken.“
Soll die Politik eine Historisierung des Kinos dem Markt überlassen? Gass betrachtet dies als ein überholtes Geschäftsmodell. Die Kinematheken sollten eigenständige öffentlich geförderte Kulturbauten sein. Schaut man genauer hin, befinden sich in Deutschland fast alle großen Museen, Theater- und Musikhäuser in öffentlicher Hand. Sind die Träger etwa Stiftungen, werden sie großzügig gefördert. Zukünftige Kinokulturbauten sollten die Filmkunst ebenfalls adäquat repräsentieren, meint Gass: „Nicht gewerbliche Kinos wurden bislang oft in den Keller von Museen anderer Kultursparten verbannt, oder man hat sie wie in Berlin in einer Investorenarchitektur fast unsichtbar gemacht.“ Es sei nicht mehr zeitgemäß, über jeden Kulturbau singulär nachzudenken, der extrem hohe und architektonisch- technische Anforderungen mit sich brächte. Die Kommunen sollten vielmehr eine serielle Bauweise entwickeln lassen, die höchsten ökologischen Standards entspricht, äußerte sich Gass in „Neues Deutschland“ sogar konkret zu einer architektonischen Umsetzung der Projekte.
Und die Kinobeschäftigten?
„Für die 860 Millionen Euro, die die Elbphilharmonie gekostet hat, könnten in allen deutschen Großstädten für zehn Jahre Kinematheken gebaut und betrieben werden“, so Gass, der bekräftigt: „und dazu gehört auch eine angemessene Vergütung der Beschäftigten.“ Vergütung und Arbeitsbedingungen sind in der gesamten Kinobranche ein Knackpunkt, sowohl für die Programmmacher*innen als auch für das Servicepersonal. Nur mit den Kinoketten Cinemaxx, Cinestar und UCI Multiplex gelten bundesweite Tarifverträge. Mit wenigen einzelnen Kinobetrieben bestehen regional begrenzte Tarifregelungen. Und unter den rund 100 im BkF organisierten nichtgewerblichen Kinos werden nur 23 von Kommunen betrieben, die eine Vergütung nach TVÖD garantieren.