Medienlandschaft sucht Leuchtturm

Begehrte Trophäen: Der Grimme-Preis. Foto: picture alliance/dpa Fabian Strauch

Am Anfang stand eine Vision von Bert Donnepp, Leiter des Bildungswerks der Stadt Marl: Der Pädagoge betrachtete Fernsehen und Erwachsenenbildung nicht als Konkurrenten, sondern als Partner; Aufklärung über die Medien war für ihn Teil der politischen Bildung. Das einte ihn mit Adolf Grimme, bis 1955 erster deutscher Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks.

Nach ihm hatte Donnepp bereits den seit 1964 vom Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) verliehenen Adolf-Grimme-Preis benannt, am 23. September 1973 wurde der Kulturpolitiker auch Namenspatron des Adolf-Grimme-Instituts. Zum Jubiläum gibt es nicht nur Glückwünsche. Vermutlich würden nicht mal die Marler sagen, dass ihre Kleinstadt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets eine Reise wert sei. Trotzdem pilgern zu Beginn jedes Jahres Dutzende Menschen aus den Bereichen TV-Kritik, Medienwissenschaft und Erwachsenenbildung hierher, um mit dem Grimme-Preis die wichtigste Auszeichnung zu vergeben, die Fernsehschaffende in Deutschland bekommen können. Tatsächlich sind die seit 1964 verliehenen Trophäen mittlerweile der einzige Grund, warum sich das im September 1973 gegründete Grimme-Institut außerhalb der Medienbranche noch einer gewissen Wahrnehmung erfreut. Aber auch innerhalb ist es merkwürdig still geworden, und das nicht erst in den letzten Jahren. Dabei hätte die Medienlandschaft angesichts der enormen Umwälzungen, die die Digitalisierung im Bereich der bewegten Bilder ausgelöst hat, einen Leuchtturm dringend nötig. Das Schweigen aus Marl fügt sich jedoch nahtlos in eine allgemeine Entwicklung: Medien aller Art werden immer wichtiger, doch eine öffentliche Auseinandersetzung findet nur noch punktuell statt.

Das Schweigen aus Marl

Das war mal anders, und „Grimme“ war nicht selten maßgeblich am Diskurs beteiligt; oft hat es ihn sogar selbst initiiert. Warum geschieht das nicht mehr? Frauke Gerlach, seit 2014 Direktorin des Instituts, kann das erklären: „Ganz grundsätzlich ist festzustellen, dass zwar alle nach mehr medienkritischen Diskursen rufen, die Räume dafür aber immer weniger werden. Debatten über medienpolitische Themen anzustoßen wird auch dadurch immer schwieriger. Dies gilt vor allem dann, wenn man Diskurse werteorientiert und wissensbasiert führt und sich nicht an polarisierenden Aufmerksamkeitswettbewerben beteiligt.“ Daher beteilige sich das Grimme-Institut nur dann an öffentlichen Diskursen, „wenn es etwas Substanzielles beizutragen hat“.

Tatsächlich ist das ein springender Punkt: In der Öffentlichkeit werden Debatten zunehmend lautstark und zugespitzt geführt. Wer differenziert diskutiert, findet deutlich weniger Gehör. Aber es existieren ja noch andere Ebenen, auf denen gute Argumente durchaus gefragt sind. Themen gäbe es genug, allen voran die seit Jahren überfällige Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mit einem entsprechenden Entwurf könnte Grimme für einen Paukenschlag sorgen. Juristin Gerlach erhebt Einspruch und verweist auf das Partizipationsprojekt #meinfernsehen2021, an dem man über zwei Jahre zusammen mit dem Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (Uni Düsseldorf) gearbeitet habe. Selbst in der Branche ist dieses Projekt allerdings kaum bekannt.

Und so läuft es am Ende doch wieder auf den Grimme-Preis hinaus, der seit Jahrzehnten allen Umwälzungen der Medienlandschaft trotzt und sowohl die Einführung des Privatfernsehens wie auch die Digitalisierung nicht nur unbeschadet überstanden hat, sondern dank kluger Anpassungen heute mindestens so wichtig und wertvoll ist wie vor knapp sechzig Jahren, als es nur eine Handvoll Fernsehprogramme gab. Nach wie vor, versichert Gerlach, „leisten die Preisentscheidungen mit den versierten Begründungen der Jurorinnen und Juroren einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über die Qualität von Medien und sind Gegenstand öffentlicher Debatten“. Das gelte im Übrigen auch für die Grimme Akademie „mit ihren vielfältigen Aktivitäten wie etwa die Summer School Comedy“. Im Rahmen des Jubiläums gebe es neben einem Fest in Marl viele kleinere Aktivitäten, etwa eine Veranstaltung beim Global Media Forum in Bonn („Geteilt durch Algorithmen – Journalismus in der digitalen Sozialmaschine?“). Statt einer großen Konferenz, so Gerlach, habe man sich bewusst „für diverse spielgruppenspezifische Veranstaltungen entschieden“.

Strukturelle Unterfinanzierung

Es ehrt die Institutsleiterin, dass sie nicht gleich als Erstes auf eine ganz andere Schwierigkeit hinweist: Nicht nur die von Gerlach angesprochenen Räume werden immer weniger. Das Grimme-Institut ist mit den gleichen Problemen konfrontiert wie nahezu alle Kultureinrichtungen: Inflation und Energiekrise hatten zur Folge, dass die nicht beeinflussbaren Kosten gestiegen sind, auch das Personal wird immer teurer. Wenn der zum größten Teil vom Land NRW gestellte Etat (derzeit gut drei Millionen Euro pro Jahr) nicht mitwächst, führt das unweigerlich zu einer strukturellen Unterfinanzierung. Für 2023 hat die Staatskanzlei ihre institutionelle Förderung bereits um gut 320.000 Euro erhöht; im nächsten Jahr rechnet das Institut mit Mehrkosten in Höhe von 430.000 Euro. Derzeit sucht Gerlach gemeinsam mit einer Beratungsagentur „nach Einsparmöglichkeiten und Strategien, neue Erträge zu generieren“. Diese finanzielle Problematik kostet natürlich Kraft und Energie. Auch Gerlach würde sich lieber den Herausforderungen der nächsten Jahre stellen. Sie nennt unter anderem die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und algorithmisch erstellten Medieninhalten sowie von Chatbots wie ChatGPT: „Diese digitalen Instrumente werden die Unterscheidung von Wahrheit, Lüge und Manipulation noch schwerer machen.“ Das Grimme-Institut soll „auch in Zukunft seinen spezifischen Beitrag zur Orientierung und Medienbildung leisten“.

Genau das erwarten die Menschen, die der Einrichtung seit Langem verbunden, aber aktuell enttäuscht sind. Beiträge zur Zukunft der Medien im digitalen Zeitalter, sagt einer aus dieser Gruppe, seien aus Marl schon lange nicht mehr gekommen, dabei wären das Institut und der Preis „nach Geist und Tradition ideale Plattformen für die unabhängige Diskussion über die Zukunft unserer Medien und die Weiterentwicklung der Qualitätsstandards für Medienangebote.“ Wer die Grundsätze und Ideen von Gründervater Bert Donnepp „für richtig und notwendig hält, muss die Aufgaben und Zielsetzungen für das Grimme-Institut neu justieren“. Adressaten dieser Forderung sind die Gesellschafter, allen voran der Deutsche Volkshochschul-Verband, um den es allerdings ebenfalls still geworden ist.

 

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