Mit voller Fahrt auf die Datenautobahn

Bertelsmann zog Bilanz

Der Bertelsmann-Konzern sieht seine Zukunft im Internet – derweil sollen die Stammgeschäfte lediglich „gestärkt“ werden. Auf der diesjährigen Bilanzpressekonferenz wurden nur Superlative verkündet.

Spätestens seit Sepp Herberger wissen wir, daß das nächste Spiel immer das schwerste ist. Auf die Wirtschaft übertragen, wäre somit das nächste Geschäftsjahr das schwerste. Eine Parallele bietet sich auch bei der Analyse sowohl des letzten Spiels wie auch des letzten Geschäftsjahres an: Aufgrund des schlechten Rasens wurde das Spiel vergeigt, will jemand unlängst aus Kreisen der deutschen Nationalmannschaft gehört haben. Bei der Bilanz-Pressekonferenz war es dann das „schlechte Umfeld“, welches das Betriebsergebnis nach unten drückte. Dieses Lied des Jammers klingt aus fast jeder Branche. Nicht so in der Medienindustrie. Auf dem Höhepunkt des Erfolges findet hier sogar ein Trainerwechsel statt: Weil er das 60. Lebensjahr vollendete, mußte Mark Wössner im letzten Jahr den Chefsessel räumen und dem 45-jährigen Thomas Middelhoff Platz machen.

Um im Bilde zu bleiben: Der neue Coach gab bei der Bilanzpressekonferenz Ende September in Gütersloh einen ganz und gar zufriedenstellenden „Spielbericht“ über das abgelaufene Geschäftsjahr 1998/99 ab. Der Konzernumsatz stieg um 12,8 Prozent auf 29 Milliarden Mark. Nur „geringfügig“ stieg dagegen der Gewinn um 2,6 Prozent auf 910 Millionen Mark. Dafür wurde aber auch die „Rekordsumme“ von 4,7 Milliarden Mark an Investitionen getätigt. In dem man zum Beispiel die größte englischsprachige Verlagsgruppe Random House, die Internet-Buchhandlung barnesandnoble.com, den wissenschaftlichen Springer-Verlag und noch ein paar kleinere Firmen gekauft hat. Der Verkauf der CLT-Ufa-Anteile am Pay-TV-Sender Premiere brachte hingegen ein paar Mark zusätzlich in die Gütersloher Kasse. Das Spielergebnis fürs nächste Geschäftsjahr ist vorgegeben: Dann muß bei der Umsatzzahl unbedingt eine drei vor dem Komma stehen. Unterdessen lassen sich die diesjährigen Zahlen nicht mit denen der Vorjahre vergleichen. Bertelsmann hat seine Bilanzierungsmethode den weltweit üblichen EBIT-Regeln (earnings before interest and taxes) angepaßt; so ist der Gewinn vor Zinsen und Steuern plus der Berechnung des Inflationsverlustes ausgewiesen. Dadurch wird das Betriebsergebnis auf einen optisch niedrigeren Wert reduziert.

„Die stillen Helden“

Angesichts der Zukäufe mutet es seltsam an, wenn Berichterstatter davon schreiben, der Medienriese entwickele sich zum Jobwunder oder zur Jobmaschine. Middelhoff verkündete, die Zahl der Beschäftigten stieg um 7100 auf jetzt knapp 65000 Frauen und Männer, die der Konzern weltweit in seinen Lohnlisten führt. Doch immerhin gab Middelhoff nicht nur Zahlen bekannt. Einmal sprach er sogar von den Menschen, die den Erfolg des Unternehmens ermöglichen: Die Beschäftigten des Unternehmensbereichs Industrie und Dienstleistungen – ARVATO genannt (gemeint ist Mohndruck und die Bertelsmann-Distribution) – nannte Middelhoff „die stillen Helden des Unternehmens“; immerhin flossen von hier aus 303 Millionen Mark in die Gewinnkasse des Konzerns. Dieses „Kerngeschäft“ soll Middelhoff zufolge auch weiterhin „gestärkt“ werden.

„Geschwindigkeit statt Größe“

Der Bertelsmann-Konzern sei der Inbegriff dessen, was mit „Konvergenz“ umschrieben wird, sagte Middelhoff. Durch die Möglichkeit, Inhalte zu digitalisieren und zu transportieren, ergeben sich für die Zukunft ungeahnte Möglichkeiten, die Produkte aus Gütersloh unter die Menschen zu bringen. Das Wettbewerbsumfeld der klassischen Medienunternehmen verändere sich immer schneller. So umschrieb der smarte Manager die Ziele des Konzerns mit „Geschwindigkeit statt Größe“: In den nächsten Jahren soll der Multimedia- und Internetbereich „zügig ausgebaut“ werden. Gepuscht mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden Mark soll dieses Geschäftsfeld spätestens in fünf Jahren fünf Milliarden Mark erwirtschaften. Im zurückliegenden Geschäftsjahr wurden bei einem Umsatz von 480 Millionen Mark noch 290 Millionen Verlust gemacht. Um die „Kräfte zu bündeln“, wurde der eigenständige Vorstands- und Unternehmensbereich Multimedia unter Leitung von Klaus Eierhoff eingerichtet. Vorstandsmitglied Michael Dornemann, für CLT/Ufa und somit für die RTL-Fernsehgruppe zuständig, verfährt nach dem Motto „Masse statt Klasse“: Mit den Sendern verdiene man „gutes Geld“ sagte er. Das sei die Hauptsache, „die Inhalte sind mir egal“, so Dornemann zu Fragen nach der Qualität des Senders.

„Bewußtseinsindustrie“

Durchschnittlich sieben Stunden am Tag verbringen die Bundesbürgerinnen und -bürger damit, sich mit den verschiedenen Medien wie Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, CDs und dem Internet zu beschäftigen. Das fand der „Spiegel“ heraus. Im „Bertelsmann-Report“, der Mitarbeiterzeitschrift des Medienkonzerns, konnte man dazu in der diesjährigen Juni-Ausgabe lesen, daß jeder Bundesbürger täglich eine Stunde damit zubringt, Produkte aus dem Hause Bertelsmann zu konsumieren. Der Begriff „Bewußtseinsindustrie“ wird so auf den Punkt gebracht. Um sich im Bewußtsein der Menschen einen dauerhaften Platz zu sichern, darf man nicht kleckern, da muß man klotzen: Middelhoff verkündete, um in der „neuen Welt“ ein Zeichen zu setzen, plane man neben dem jetzigen amerikanischen Firmensitz am New Yorker Broadway einen zweiten Wolkenkratzer zu bauen. Und damit klar sei, so der Vorstandschef, wo die Wurzeln des Konzerns sind, werde man sich um den Wiederaufbau der alten Kommandantur in Berlin bewerben.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »