Es sind schwierige Jahre für die Menschheit: Eine Pandemie mit gravierenden Effekten für das Alltagsleben, die Folgen der Klimaerwärmung, Kriege in Europa und anderswo. Wie immer sind Kinder am meisten von den Auswirkungen solcher Krisen betroffen. Auf der größten Messe der Welt für Kinderprogramme, der MIP JUNIOR, die in Cannes stattfand, war das eines der wichtigen Themen: Denn die Nachfrage hat sich bei der jüngsten Mediennutzerschaft durch die Geschehnisse in der Welt verändert.
Die französische Zeichentrickserie „Es war einmal…“ ist in unserem Nachbarland so etwas wie ein nationales Kulturerbe. Aber nicht nur dort – fast überall auf der Welt hat die Reihe, die in 80 Sprachen synchronisiert wurde, seit 1978 Generationen von Kindern begeistert. Jetzt wurde in Cannes auf der MIP JUNIOR, ein Ableger der weltgrößten TV-Messe MIPCOM, die neue, achte Staffel vorgestellt. „Wir wollten das Format modernisieren, es zeitgemäßer konzipieren“, erklärte Hélène Barillé zur Neuauflage nach 15 Jahren. Sie ist die Witwe von Albert Barillé, dem Schöpfer von „Il était une fois“, der als Vater des animierten Edutainments gilt
Drei alte Staffeln, so wurde an er Cote D‘Azur bekannt gegeben, werden voraussichtlich noch in diesem Jahr in einer technisch restaurierten Version auf ZDFneo laufen. Tilman Rautenstrauch von der NDR-Tochter OneGate Media bestätigte in Südfrankreich: „Wir haben in den deutschsprachigen Territorien in den letzten drei Jahren 45.000 Staffeln auf DVD verkauft.“
Revival eines Klassikers
Dass „Es war einmal…“ jetzt ein Revival erlebt, hat wohl auch mit den krisengeschüttelten Zeiten zu tun, vermutet die Witwe von Albert Barillé: „Die Menschen finden Zuflucht in den Marken, denen sie vertrauen, und die Kinder hören mehr auf die Ratschläge ihrer Eltern, denn unsere wirkliche Zielgruppe sind Familien.“
Diesen Ansatz bestätigt auch Ignacio Segura de Lassaletta: „Inhalte, die Sicherheit und Qualität versprechen, sind mehr denn je gefragt, aber diesen Fokus verfolgen wir im Kids-Bereich sowieso.“ Der Spanier ist Geschäftsführer von DeAPlaneta Entertainment, einem der weltweit führenden Produktions- und Distributionsunternehmen weltweit, wenn es um Programme für Kinder geht. Auch „Es war einmal…“ wird von ihnen in Spanien vertrieben. Eine Überraschung gelang dem Unternehmen zum Auftakt der Messe: Sie verkaufte die neue Staffel ihrer Erfolgsserie „Hexe Lilli“ an den Privatsender Super RTL. Bisher war das Format in Deutschland beim Kinderkanal verortet. „Auch hier sollen den Kindern letztlich Eigenschaften wie Selbstvertrauen sowie Mut vermittelt werden, was sicher auch eine gewisse Resilienz fördert“, beschreibt der zuständige Geschäftsführer für die deutschsprachigen Gebiete von DeAPlaneta Lars Wagner den Reiz der Serie, deren neue Staffel in Südfrankreich neben Deutschland direkt nach Spanien, Belgien, Portugal sowie voraussichtlich Italien und Polen verkauft wurde. „Egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat: Kindersender haben immer eine hohe Verantwortung für ihre Zielgruppe“, ergänzt der Geschäftsführer von Super RTL Thorsten Braun die Entscheidung, ein Format zu bringen, dass bisher bei der Konkurrenz lief. Er verweist zudem auf seinen Audio-Ableger „Toggo Radio“, wo aktuelle Themen wie etwa der Nahost-Konflikt aufgegriffen werden: „Dabei berichten wir nur sehr vorsichtig über die vielen Opfer des Konfliktes.“
Unterhaltung bedeutet Verantwortung
Mit einer ähnlichen Zielrichtung betonte eine der wichtigen Akteurinnen im Zeichentricksegment, die Chefin von Paramount und Nickelodeon Animation Ramsey Naito, auf der MIP JUNIOR an ihre internationale Kollegenschaft gerichtet: „Kid‘s Entertainment ist nicht bloß ein Beruf, es ist in diesen Zeiten eine Berufung. Als es vor einigen Jahren eine Welle von Hassverbrechen gab, haben wir versucht, auch das in unseren Inhalten aufzugreifen, aber natürlich so, dass es nicht verstört und unterhaltsam verpackt ist.“ Sie wies außerdem auf „Dora the Explorer“ hin, die animierte „Latina Heldin“ sei ein Beispiel dafür, wie man Diversity und Umweltthemen miteinander verbindet und als tiefgründige Unterhaltung im Internet transportiert. Dora-Clips werden im Netz millionenfach abgerufen.
Digitaler Kinderspielplatz
Überhaupt ist das Netz zum wichtigsten Kinderspielplatz geworden, wenn es um den Medienkonsum geht. „TikTok ist unsere größte Konkurrenz geworden“, bekannte eine Senderverantwortliche. Und das könnte dann wieder ein Vorteil des linearen Fernsehens sein. „Hier können die Eltern darauf vertrauen, dass ihre Sprösslinge tatsächlich nur die Inhalte zu sehen bekommen, die für sie geeignet sind, das ist auf einigen anderen Plattformen nicht immer der Fall“, so de Lassaletta.
Für Deutschland jedenfalls kam erst kürzlich eine Studie des Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen zu dem Ergebnis, dass sich Eltern neben Vielfalt bei den Genres Inhalte wünschen, die die Lebensrealität der Kinder wiedergeben. Das haben die Verantwortlichen bei Super RTL ebenfalls festgestellt. Braun: „Durch die Lockdowns waren Eltern lange Zeit mit ihren Kindern isoliert. Es herrschte plötzlich ein höherer Bedarf an Aufklärung durch kindgerecht gestaltete Informationen, etwa rund um das Thema Händewaschen.“