Scharfe Konturen

HDTV ante portas. Jeder dritte bundesdeutsche Haushalt verfügt bereits über einen Flachbildfernseher mit dem Logo „HD Ready“ oder „Full HD“. ARD und ZDF starten im Februar 2010 den HD-Regelbetrieb. Bereits im November legen die ersten Privatprogramme im HD-Format los. Für Verdruss sorgen geplante Verschlüsselungsverfahren und ungeklärte technische Empfangsprobleme. Verbraucherschützer warnen vor teuren Fehlinvestitionen und raten zum Abwarten.

„Das IFA-Wort des Jahres heißt zweifellos HD Ready. Fernseher und Beamer, auf denen nicht der neue Sticker als Zeichen der Tauglichkeit für hoch auflösende Bilder prangt, dürften bald im Händlerregal stehen wie Blei. Schließlich befindet sich der einheimische Markt in einer Übergangsphase. HDTV, das hoch auflösende Fernsehen der Zukunft, wirft unverkennbar seine Schatten voraus.“ So stand es in einer Pressemitteilung der Internationalen Funkausstellung – im Jahr 2005. Jahrelang wurde HDTV als unmittelbar vor der Einführung stehend angekündigt. Jetzt, so scheint es, hat die TV-Zukunft tatsächlich begonnen.
Dass die Fernsehbilder in HD halten, was die neuen Flachbildschirme versprechen, davon konnten sich technisch entsprechend gerüstete TV-Zuschauer im August bei der Ausstrahlung der Leichtathletik-WM aus Berlin durch ARD und ZDF überzeugen, als Usain Bolt und Ariane Friedrich bei ihren Sprints und Sprüngen in superscharfen Konturen und brillanten Farben glänzten. Bis zum Jahresende werden insgesamt 19 Millionen HD-fähige Empfangsgeräte in deutschen Wohnungen stehen, prognostizierte Gerhard Schaas, Vorsitzender der Deutschen TV-Plattform, auf der IFA 2009. Der Haken: Zwar steht bereits jetzt in fast jedem dritten Haushalt ein HD-fähiger Flachbildfernseher. Aber laut Branchenverband Bitkom verfügen wenig mehr als zwei Prozent dieser Haushalte zugleich über ein geeignetes Empfangsgerät. Nach anderen Schätzungen sind es derzeit maximal 680.000 Zuschauer, die eine entsprechende Receiverbox oder ein HD-fähiges internes Gerätemodul besitzen. Je nach Übertragungsart wird ein solcher Receiver entweder für den Kabel- oder den Satellitenempfang benötigt. Oft steckt der Teufel im Detail: Unlängst ergab ein Markttest der Stiftung Warentest, dass nur drei von 17 geprüften Geräten digitale HD-Signale via Satellit empfangen konnten. Die meisten TV-Konsumenten wissen über solche Details nicht Bescheid. Allenfalls die Erkenntnis, dass das Röhrengerät ausgedient hat, ist mittlerweile Gemeingut.
Blockiert wurde die Expansion von HDTV bislang auch durch die zögerliche Haltung der Sender und das Fehlen von überzeugenden attraktiven Inhalten. Das ändert sich nun massiv. Allein durch das HD-Paket der Bezahlplattform Sky (früher Premiere) hat sich jetzt schon die Zahl der HDTV-Programme in Deutschland fast verdreifacht. Nach der überzeugenden Generalprobe bei der Leichtathletik-WM und einem Showcase zu Weihnachten wollen ARD und ZDF pünktlich zu den Olympischen Winterspielen in Vancouver im Februar 2010 die HD-Regelausstrahlung starten. Auch beim privaten Free-TV tut sich einiges. Anfang 2008 hatte die ProSiebenSat.1 Media AG ihre bereits im Oktober 2005 gestartete HD-Initiative erst einmal gestoppt – offiziell wegen Zuschauermangels. Ab Januar 2010 versucht man mit Sat.1, Pro Sieben und Kabel 1 einen neuen Anlauf für Satellitenkunden.

Programmlicher Mehrwert fehlt

Die RTL-Gruppe startet mit ihren hochaufgelösten Vollprogrammen RTL und Vox schon am 1. November. Für beide Senderfamilien übernimmt SES-Astra auf der Satellitenplattform HD+ die Vermarktung der für den Empfang der verschlüsselten Programme notwendigen Smartcards. Fünf Hersteller wollten nach Brancheninformationen im Oktober Receiver mit entsprechenden Smartcards in den Handel bringen. Kostenpunkt: nicht unter 100 Euro. Als Ausgleich für diese Investition wollen die beteiligten Privatsender ihre HD-Programme ein Jahr lang kostenlos ausstrahlen, frei nach der Dealer-Devise: Der erste Schuss ist umsonst. Danach soll eine Gebühr in bislang unbekannter Höhe fällig werden; im Gespräch sind fünf Euro pro Monat.
Skeptiker zweifeln, ob die Zuschauer bereit sind, nur für verbesserte Bildqualität zu zahlen. Denn die ausgestrahlten HD-Programme sind identisch mit den unverschlüsselten Digital-Versionen in normaler Bildqualität. Ein programmlicher „Mehrwert“ wird nicht geliefert. Die Branche hofft aber, dass allein die numerische Zunahme von HD-Programmen den Absatz von Empfangsgeräten beschleunigt. HDTV sei „die treibende Kraft der Digitalisierung“, verkündete SES-Astra-Präsident Ferdinand Kayser im Umfeld der IFA. Schon Anfang 2010 würden den deutschen Zuschauern insgesamt 16 HD-Kanäle zur Verfügung stehen. Eine Zahl, die sich bis 2015 „durchaus verdoppeln“ könne. Kritiker monieren, bei HD+ handle es sich in Wirklichkeit um ein verkapptes Pay-TV-Angebot. Um eine Art Pay-TV light, mit dem die von Finanz- und Werbekrise gebeutelte Free-TV-Branche quersubventioniert werden solle. Ein Verdacht, der von den Sendern und Astra zurückgewiesen wird. „Die HD-Programme, die über HD+ ausgestrahlt werden, sind Free-TV-Programme“, beteuerte Astra-Mann Kayser im Berliner Branchendienst „promedia“. Pay-TV sei schließlich ein auf das Programm bezogenes Entgelt, bei HD+ dagegen falle ein „Entgelt für den Zugang“ an.
Die Landesmedienanstalten sehen das offenbar anders. „Free-TV muss Free-TV bleiben“, meint Axel Dürr, Sprecher der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Zwar müssten zusätzliche Verbreitungskosten der HD-Inhalte refinanziert werden. Es dürfe aber nicht sein, dass künftig Inhalte, die bislang frei empfangbar waren, nur noch exklusiv Abonnenten von HD+ zugänglich gemacht würden. ARD und ZDF sind ähnlicher Ansicht. Es gebe ein „großes Durcheinander im Markt“ warnte ZDF-Intendant Markus Schächter. Das Angebot von HD+ sorge für „neue Verunsicherung“.
Die Einführung des hochauflösenden Fernsehens in Deutschland dürfe nicht „durch verbraucherunfreundliche Vorhaben gefährdet“ werden, wetterte der stellvertretende ARD-Vorsitzende Fritz Raff. ARD und ZDF würden ihre Programme „jedenfalls weiterhin unverschlüsselt und ohne Zusatzkosten anbieten“. Die private Konkurrenz reagierte erbost. Marc Schröder, Geschäftsführer von RTL Interactive, nannte die Kritik an der geplanten Empfangsgebühr für HD-Programme „scheinheilig“. Schließlich hätten sich ARD und ZDF in der laufenden Gebührenperiode 244 Millionen Euro zusätzliche Gebührengelder für die Umsetzung von HD genehmigen lassen.
Da ist was dran. Aber mehr noch als Nutzerentgelte für zusätzliche HD-Privat-Programme könnten andere Vorhaben der Privaten für Verstimmung bei den Zuschauern sorgen. Verbraucherschützer monieren, dass die neuen HD+-Receiver die HD-Programme nicht oder nur zeitlich befristet – etwa 72 Stunden lang – aufzeichnen können. Auch gegen das Überspringen der Werbung beim zeitversetzten Fernsehen wollen die Privaten vorgehen. Eine Investition in HD rentiere sich nur bei einem Schutz des TV-Signals und des bestehenden Geschäftsmodells, stellte RTL-Mann Schröder klar. Mit dem Kopierschutz kommen die Sender vor allem den Forderungen der Filmwirtschaft entgegen. Zugleich sagte Schröder „allen Mechanismen, die unserem werbefinanzierten Geschäftsmodell die Basis entziehen“ – vor allem dem Überspringen der Werbeblöcke bei der Aufzeichnung mit Festplattenrekordern – den Kampf an. Denn nur das werbefinanzierte System erlaube „die programmliche Vielfalt, die wir derzeit im deutschen TV-Markt genießen“.

Kein billiges Vergnügen

Angesichts des bald beginnenden Weihnachtsgeschäfts scharren Industrie und Sender bereits mit den Hufen. Mit attraktiven HD-Inhalten versucht auch die Deutsche Telekom den Absatz von schnellen Internet-Anschlüssen zu steigern. Wer eine VDSL-Leitung hat, kann bei „T-Home Entertain“ über das Internet-Protokoll (IPTV) gegen eine Zusatzgebühr zum Beispiel die Fußball-Bundesliga („Liga total“) in HD-Qualität sehen. Neben den bereits genannten öffentlich-rechtlichen und privaten HD-Angeboten sowie einigen frei empfangbaren Programmen wie Arte HD und Anixe HD erhofft vor allem HD-Pionier Sky den großen Durchbruch. Entsprechend massiv rührt das Pay-Unternehmen Sky derzeit die Werbetrommel für seine sieben hochauflösenden Kanäle, darunter unter anderem die Zugpferde Sky Sport HD und Eurosport HD. Ein nicht gerade billiges Vergnügen: Die Abo-Preise für diese Programme bewegen sich zwischen 26,90 Euro und 59,90 Euro pro Monat. An die 300.000 HD-Boxen will Sky bis Ende September verkauft haben. Boxen, mit denen die HD-Anbote von RTL und Sat.1 nach aktuellem Stand nicht empfangen werden können. Die HD+-Receiver wiederum sind derzeit nicht in der Lage, die Sky-Programme zu empfangen. Angeblich verhandeln beide Seiten seit geraumer Zeit über eine verbraucherfreundliche Lösung, bislang aber ohne Ergebnis. Angesichts solcher Widersprüche mahnte Jürgen Doetz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) bei den Verbänden der Elektronikindustrie mehr Beratung und Transparenz für die Verbraucher an. Es sei dem Zuschauer nicht zuzumuten, sich ohne Begleitinformationen „im Dickicht aus Technologien und Standards“ – etwa bei Aufklebern wie „HD Ready“ und „Full HD“ zurechtzufinden.
Verwirrung herrscht in diesem Zusammenhang um die technische Kompatibilität der Conditional Access Systeme. Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde die Technik des so genannten Common Interface (CI) entwickelt. CI-Schnittstellen erweitern den Funktionsumfang von Digitalreceivern und ermöglichen beispielsweise den Empfang von verschiedenen Pay-TV-Programmen ohne, dass sich mehrere Boxen neben dem TV-Gerät stapeln. Einige Funktionen, die von Programmanbietern heute gefordert werden, sind darin noch nicht realisiert. Daher wurde eine Folgegeneration – CI Plus – entwickelt. „Diese CI-Plus-Schnittstelle wird zunehmend in integrierte HDTV-Flachbildschirme eingebaut und ist die zukunftssichere Variante des Common Interface“, sagte Dietrich Westerkamp vom Vorstand der Deutschen TV-Plattform im Interview mit dem Fachblatt „Digital Expert“. Auch die Astra-Satellitenplattform HD+ setzt daher auf den neuen Standard CI Plus. Zuschauer, die sich demnächst die angekündigten HD-Programme von RTL, Vox, ProSieben, Sat.1 und Kabel 1 auf die Mattscheibe holen wollen, dürften dann enttäuscht werden. Denn die bis Ende September verfügbaren HD-Receiver sind noch mit dem alten CI ausgestattet. Für solche Geräte, so Westerkamp, werde an einer Lösung gearbeitet, die sie in die Lage versetzen soll, auch HD+-Programme wiederzugeben. Diese Lösung – zumeist eine neues Modul – könne aber voraussichtlich „nur für einige bereits existente Geräte“ angeboten werden. Zugleich dämpfte er allzu großen Optimismus von „Altgerätebesitzern“. Ein „Software-Update“, das ein herkömmliches CI an die CI Plus-Funktionalität anpassen könne, sei nicht zu erwarten. Hersteller wie Technisat, Humax und Loewe hatten entsprechende Aufrüstmöglichkeiten für ihre Geräte angekündigt. Trotzdem bleibt abzuwarten, welche Überraschungen – im Guten wie im Bösen – das Fernsehen der Zukunft für die Zuschauer bereithält. Auch bis zum digitalen Switchover, also der vollständigen Abschaltung des analogen TV-Signals, wird es wohl noch eine Weile dauern. Das findet zumindest Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ein solcher Schritt müsse sorgfältig geplant werden, sagte sie auf der IFA. Sie wolle sich nicht Millionen von Protestbriefen einhandeln von erbosten Menschen, die dann weder Ton noch Bild empfangen könnten.

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