Großes Stühlerücken bei Axel Springer: Mitte Juni begann der Umzug der ersten Betriebseinheiten in den von Rem Koolhaas konzipierten Springer-Neubau in Berlin. Betroffen sind zunächst die Axel Springer IT, Axel Springer Ideas Engineering und die Vermarktungsorganisation Media Impact. Bis zu 3.500 Beschäftigte sollen hier künftig auf 52.000 Quadratmetern Bürofläche arbeiten.
Der vom niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas und seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) entworfene Neubau war 2014 einem Wettbewerb ermittelt worden. Bislang hatte Koolhaas in Berlin nur mit dem Bau der Botschaft der Niederlande eine Duftmarke gesetzt. Als ehemaligen Journalisten – Ende der 1960er Jahre arbeitete er beim experimentellen Magazin „Haagse Post“ – habe es ihn gereizt, den Übergang ins digitale Zeitalter mitzugestalten, bekennt der Niederländer. Sein Motto: „Die Vergangenheit ist zu klein, um darin zu wohnen“.
Dreieinhalb Jahre nach dem Baustart steht das Projekt jetzt kurz vor der Vollendung: ein schwarz-goldener Kubus mit ausladender Glaswabenfassade, elf Stockwerke hoch, direkt gegenüber den drei alten Gebäuden des Verlags mitten im traditionsreichen Berliner Zeitungsviertel.
Das Gebäude, so heißt es blumig bei „Axel Springer inside“ stehe ganz im Zeichen von „New Work“ und „kultureller Transformation“. Vor allem die zukunftsträchtigen Bereiche werden hier angesiedelt. Im Newsroom im 5. Stock entstehen auf der sogenannten „Welt-Brücke“, die das 45 Meter hohe Atrium überspannt, die Print- und Online-Ausgaben der „Welt“. Auch die beiden TV-Studios von „Welt“-Fernsehen werden dort integriert. Im ersten Obergeschoss wohnen die Vermarkter von Media Impact. Im zweiten Obergeschoss basteln die IT-Spezialisten von SPRING an neuen digitalen Produkten. Das Preisvergleichsportal „idealo“ residiert unter dem Dach.
Vernunft und Avantgarde auf elf Etagen
Die erstmalige Fusion von Digital-, Print- und TV-Redaktion der „Welt“ in einem gemeinsamen Newsroom preist Chefredakteur und Porsche-Liebhaber Ulf Poschardt als ideale Lösung. Das Gebäude verkörpere genau das, wofür die „Welt“ stehe, schwärmt der frühere „Vanity-Fair“-Chef: „Die Stimme der liberalen Vernunft an der Avantgarde-Stelle zum zukünftigen Arbeiten: digital, ästhetisch und intellektuell.“ Bleibt zu hoffen, dass Poschardt an der neuen Wirkungsstätte mehr journalistische Sorgfaltspflicht walten lässt als in seiner Zeit als Chefredakteur des „Magazins“ der „Süddeutschen Zeitung“. Im Skandal um den „Borderline“-Reporter Tom Kummer hatte sich damals herausgestellt, dass Poschardt dessen gefälschte Interviews und Storys ungeprüft publiziert hatte.
Liberale Vernunft, Ästhetik, Intellektualität? Wo solche Qualitäten gefordert sind, hat der Boulevard keine Chance. Will sagen: Die Schmuddelkinder der „Bild“-Familie müssen draußen bleiben, das heißt, im noch zu Kalte-Kriegs-Zeiten entstandenen Axel-Springer-Hochhaus gegenüber. Das war im Herbst 1966 von Alt-Verleger Axel Cäsar Springer höchstselbst eingeweiht worden, an der Stelle des kriegszerstörten Scherlhauses. Entgegen immer wieder kolportierten Darstellungen, wonach der Verleger sein Haus bewusst direkt an der „Mauer“ errichtet habe, war der Grundstein bereits im Mai 1959 gelegt worden. Also bevor man wissen konnte, dass gut zwei Jahre später der „antifaschistische Schutzwall“ die Stadt teilen würde.
Auf geschichtsträchtigem Boden
Allerdings konzipierte der Bauherr sein 19-geschossiges und 78 Meter hohe Verlagshaus bewusst als „Pfahl im Fleische“ der DDR. Später stand vor dem Hochhaus – noch Jahre nach der Entspannungspolitik von Willy Brandt – eine Tafel, auf der im Stile westdeutscher Verkehrsschilder in revanchistischer Manier schlesische und ostpreußische Städtenamen mit Entfernungsangaben prangten: Danzig, Königsberg, Breslau und Stettin. Nur zwei Jahre nach der Einweihung des Verlagsgebäudes gingen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (Wolf Biermann: „Die erste Kugel kam aus Springers Zeitungshaus“) Ostern 1968 Auslieferungsfahrzeuge mit „Bild“ in Flammen auf.
Damals war nicht absehbar, dass 40 Jahre später, am 30. April 2008, nach jahrelangem juristischem Streit ein Abschnitt der Kreuzberger Kochstraße direkt am Sitz des Konzerns in Rudi-Dutschke-Strasse umbenannt werden sollte. Ein später Triumph der linksalternativen „tageszeitung“ (taz), die vor zwei Jahren in ihr neues Domizil an der Friedrichstraße umzog – gerade mal einen Steinwurf entfernt vom ideologischen Gegner.
Eine weitere ironische Volte der Geschichte: Noch vor knapp 20 Jahren gehörte das 10.000 Quadratmeter große Grundstück, auf dem nun der spektakuläre Neubau steht, Springers einstigem Widersacher Leo Kirch. Erst nach dessen Konkurs im Jahr 2002 ging Kirchs 40prozentige Beteiligung an Springer in den Besitz der Deutschen Bank über. Friede Springer stieg durch die Übernahme eines relevanten Aktienpakets zur Hauptaktionärin auf. Seitdem mutierte das einst größte Zeitungshaus Europas zum multimedialen digitalen Marktführer mit Schwerpunkt auf digitalen Rubrikenmärkten. Wie lange Journalismus im Konzern noch eine Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten. Aber Urban Gardening auf der opulenten Dachterrasse ist ja auch ganz schön.