Weitreichende Entscheidungen in der deutschen Fernsehlandschaft: Das Bundesverfassungsgericht erklärt Sachsen-Anhalts Gebühren-Blockade für verfassungswidrig und stärkt die Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Springer Verlag startet Bild TV, auch als Kampfansage an ARD und ZDF. Bertelsmann beschließt die Fusion von Gruner + Jahr mit RTL. Zugleich eröffnen die privaten TV-Sender mit Unterstützung ehemaliger ARD-Kräfte eine „Informationsoffensive“.
Dass sich das medienpolitische Klima für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verschlechtert hat, ist kaum zu übersehen. Selten vergeht eine Woche, in der nicht Medienpolitiker – vorzugsweise aus CDU-geführten Staatskanzleien – Strukturreformen, mehr Sparanstrengungen und eine Straffung des Programmauftrags anmahnen. Oder auch gleich – wie in den Wahlprogrammen von FDP und AfD – eine Schrumpfkur bzw. die Abschaffung der „Zwangsgebühr“ propagiert wird.
Dabei verschafft das Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli ARD und ZDF immerhin vorübergehend finanzielle Planungssicherheit. Die Sender erhalten eine Atempause, in der sie ihre Rolle in einem zunehmend umkämpften Terrain in Kooperation mit der Medienpolitik neu definieren können. Dass ihnen nach dem Spruch aus Karlsruhe ein „grundrechtlicher Finanzierungsanspruch“ zusteht, ist eine klare Ansage.
Erste Kommentare der in Karlsruhe unterlegenen Parteien deuten jedoch darauf hin, dass damit kein dauerhafter Friede einkehren dürfte. Er könne nicht garantieren, dass es nicht noch einmal zu einer Blockade komme, drohte unverhohlen etwa der uneinsichtige CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Sachsen-Anhalt werde künftig seine Entscheidung zur Veränderung des Rundfunkbeitrages „in der Verantwortungsgemeinschaft mit den anderen Ländern treffen, gegebenenfalls auch im Hinblick auf eine Abweichung von der Empfehlung der KEF“, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrags zwischen CDU, SPD und FDP. Mit weiteren Angriffen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss also gerechnet werden.
Zum politischen Druck auf ARD und ZDF gesellt sich seit kurzem eine verschärfte Systemkonkurrenz inhaltlicher Art. Mit einer „Informationsoffensive“ wollen die beiden großen Privatsender ProSiebenSat.1 und RTL den Öffentlich-Rechtlichen Paroli bieten. Das Ganze mit Unterstützung abgeworbener ARD-Nachrichtensprecher und -moderator*innen wie Pinar Atalay, Jan Hofer (zu RTL) und Linda Zervakis (zu ProSieben). Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die ARD sich darüber einstweilen keine Sorgen machen muss.
Aufdecker oder Showkanone?
Die „Info-Offensive“ von „RTL direkt“ mit Altmeister Jan Hofer erwies sich indes schon nach wenigen Ausgaben als Rohrkrepierer. Es sei „schwer zu sagen, als was sich der ehemalige Tagesschau-Chefsprecher Jan Hofer da eigentlich neu erfinden will: Aufdecker oder Showkanone? Talkmaster oder Teddybär?“, spottete der „Spiegel“. Dasselbe Medium, das zunächst von einem drohenden „Ausbluten“ der ARD gewarnt hatte. Offenbar gar nicht so einfach, im redaktionellen Umfeld von „Die Bachelorette“ und „Bauer sucht Frau international“ ein halbwegs seriöses Profil zu behaupten. Das großspurig als „Nachrichtensendung wie keine andere“ angekündigte Format verlor bereits in der ersten Woche nach Abkühlen des Neugier-Effekts die Hälfte seines Publikums.
Dennoch dürfte der Wettbewerb zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten sich künftig verschärfen. Nach dem Zusammenschluss von RTL Deutschland und Gruner+Jahr strebt Bertelsmann-Chef Thomas Rabe an, die meisten Inhalte der bekannten Printmarken („Stern“, „Geo“, „Brigitte“) crossmedial zusammenzuführen. Ob die Vision eines „Content-Powerhouse“ mit rund 1.500 Journalist*innen entsprechende publizistische Erfolge herbeiführt, bleibt abzuwarten.
Eher absehbar ist dagegen das, was mit Bild TV auf das deutsche Publikum zukommt. Seit dem 22. August existiert die Fernseh-Ausgabe des Boulevardblatts, nach eigenem Selbstverständnis die „Heimat der Helden“. Gemeint seien „die wahren Leistungsträger, die mit den Auswirkungen politischer Entscheidungen zu kämpfen haben“, so Programmchef Claus Strunz. „Bildblog“-Chefredakteur Moritz Tschermak erwartet dagegen einen Sender von der Machart des US-amerikanischen Fox News, der in populistischer Manier vor allem rechte bis rechtsextreme Zielgruppen bedient. Ein Programm, das auf Polarisierung und Krawall setzt und die vorhandenen Spaltungstendenzen in der Gesellschaft vertieft.
Einen ersten Vorgeschmack lieferte der neue Sender bereits am Premierenabend, als nur die beiden männlichen Kandidaten Scholz und Laschet zur „Kanzlernacht“ gebeten wurden. Kandidatin Baerbock musste draußen bleiben. ARD und ZDF, schon vor dem Start von Bild TV regelmäßig Gegenstand tendenziöser Berichterstattung von „Bild“, dürften als Hauptwettbewerber jetzt erst recht ins Visier des Hauses Springer rücken. Davon zeugten die wütenden Attacken, mit denen „Bild“ und „Welt“ das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geißelten. Kostprobe aus dem weitgehend faktenfreien Kommentar von Georg Altrogge, Ex-Chefredakteur von „Meedia“, seit Mai dieses Jahres als Chefkorrespondent bei „Bild“ Julian Reichelts Mann fürs medienpolitisch Grobe: „Die Verfassungsrichter haben ein gefährliches Vakuum geschaffen: den außer staatliche Kontrolle geratenen Staatsfunk.“
Die Wut erscheint verständlich, haben die Karlsruher Richter doch in ihrem Urteil auf die besondere Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwiesen: als Gegengewicht zu den Privaten für ein Leistungsangebot zu sorgen, das nicht überwiegend am Gewinninteresse orientiert ist. Gerade in Zeiten medialer Konzentration und Monopolisierung, angesichts von einseitigen Darstellungen, Filterblasen und Fake News trage der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) eine besondere Verantwortung.
Flexibilisierung des Auftrags
Klar ist aber auch, dass die seit Jahren schwelende Debatte über den Programmauftrag des ÖRR endlich konkrete Gestalt annehmen sollte. Die Rundfunkkommission der Länder wird sich demnächst in zwei Phasen mit den Problemfeldern „Auftrag und Strukturoptimierung“ beschäftigen. In Phase I soll es um die künftige Gestaltung des Auftrags gehen, in Phase II könnten Entscheidungen über mögliche Finanzierungsalternativen (z.B. etwa eine Budgetierung entlang des Verbraucherpreisindex) fallen. Unter dem Stichwort „Flexibilisierung des Auftrags“ könnte die Politik darauf verzichten, per Staatsvertrag bestimmte Programme oder Angebote zu beauftragen. Stattdessen wäre es den Sendern überlassen, wo, wann und wie (linear oder digital) sie welche Programme an die Beitragszahler*innen bringen.
Dass diese Debatte auch in den Sendern nicht konfliktfrei abgeht, belegen bereits die heftigen Auseinandersetzungen um die kürzlich von der ARD-Programmdirektion vorgelegten Pläne zur Reform des Ersten Programms und der ARD-Mediathek. Die absehbare Schwächung des eigenen Informationsangebots durch Kürzungen bei politischen Magazinen und Verlagerung des „Weltspiegel“ auf den späten Montagabend hat intern und extern für massive Proteste gesorgt. Auch wenn die Verantwortlichen das abstreiten: Es entsteht der Eindruck, als sollten zugunsten von „Audience Flow“ und Quotendenken öffentlich-rechtliche Kernkompetenzen beschnitten werden. Eine gefährliche Strategie – und gewiss nicht im Einklang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben.