Zuckerbrot und Peitsche

G+J bietet Mitarbeitern „großzügige Aufhebungsverträge“ per Ultimatum an

Dicke Luft bei Gruner + Jahr: In einem internen Rundbrief an die Führungskräfte des Verlagsriesen am Hamburger Baumwall, einem „Chairman’s Letter“, hat Vorstandschef Bernd Kundrun informiert, dass „Titel, die sich bisher nicht überzeugend etablieren konnten“, eingestellt werden sollen. Es sei „notwendig, dass wir in den nächsten Wochen in all unseren Ländern unser Portfolio um jene Titel bereinigen, die keine Aussicht haben, die Krise zu überstehen.“ 60 Beschäftigten wurde nahe gelegt, „freiwillig“ zu gehen.

Geradezu mitfühlend, aber unausweichlich einfordernd heißt es denn auch in dem Kundrunschen Brief: „Anstehende Personalmaßnahmen sind und wirken für die Betroffenen hart, in der Verantwortung für das Gesamtunternehmen sind sie jedoch unausweichlich.“ Es liegt auf der Hand, dass damit auch Entlassungen gemeint sind, vor allem wenn Print-Objekte geschlossen werden. Um so erstaunlicher, dass Bernd Bucholz, Leiter von G+J Deutschland am Rande der Münchner Medientage Ende Oktober noch Eins drauf setzen muss: „In den Medien wird so getan, als ob es eine Todesliste gibt. Natürlich müssen wir sparen. Aber von einer Todesliste sind wir weit entfernt.“ In der Medienbranche wird indes spekuliert, wer auf keiner Todesliste steht. Gehandelt werden als Sorgenkinder des Hauses: Financial Times Deutschland, Park Avenue, Emotion, Impulse, Capital, Börse Online, Healthy Living und der Stern-Foto-Ableger View. Sie alle passen ins Portfolio von Bucholz, eines Mannes, der sich selbst gerne mit den Worten charakterisiert: „Die, die breitbeinig stehen, fallen seltener um.“ Zwar steht der Zeitschriften-Riese G+J immer noch dicke auf soliden Beinen in der internationalen Medienlandschaft und fährt Gewinn ein, doch die Zahlen waren schon einmal besser. Mit Entsetzen sehen die Kapitaleigner (Bertelsmann 74,9 Prozent, Jahr 25,1 Prozent) ihre etwa zehnprozentige Rendite gefährdet. Laut dem Branchendienst Horizont „erwartet G+J Deutschland einen Umsatzrückgang von rund 30 Millionen Euro, das sind 2,3 Prozent vom Deutschland- und 1,1 Prozent vom weltweiten G+J-Umsatz, bezogen auf 2007.“
Denn auch die immer noch sehr erfolgreichen G+J-Flaggschiffe Stern, GEO und Brigitte segeln nicht mehr so hart am Wind und mussten in den vergangenen Jahren Auflagenschwund und Anzeigeneinbußen verzeichnen. Dennoch: Der Umsatz wird leicht unter Vorjahr, der operative Gewinn leicht über Vorjahr (117 Mio. Euro) liegen, so G+J-Chef Bernd Kundrun bei der Vorstellung seiner Halbjahresbilanz im September. Jetzt allerdings wird für die angekündigten Sparpläne die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise angeführt. Aktuelle Konsequenzen: Sofortiger Einstellungsstopp und keine Neubesetzung von freiwerdenden Stellen.
Doch schon im vergangenen Sommer, lange vor der aktuellen Krise, erarbeitete Kundruns Deutschland-Beauftragter Bucholz die ersten Pläne zu den harten Personalmaßnahmen, die den Betroffenen erst im Oktober zugingen: Auf den ersten Blick recht großzügige Aufhebungsverträge für 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Von einer 50.000 Euro-Abfindung ist die Rede, von Ausgleichzahlungen für die Jahre der Betriebszugehörigkeit, von bezahlter Freistellung ab 1. Januar 2009 für die 1,5-fache Dauer der normalen Kündigungsfrist. Und: Dieses Angebot gilt bis zum 28. November 2008! Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Bernd Köhler ist empört: „Es reicht! Zu unseren Lasten wurde genug gespart. Wir fordern den Vorstand und die Kapitaleigner von G+J auf, auch ihren Beitrag zu leisten und die Renditeerwartungen von zehn und mehr Prozent herunterzuschrauben.“ Gegen den Sparkurs hat der Betriebsrat innerhalb weniger Tage 450 Unterschriften gesammelt, denn die Angst geht um im Betrieb. „Uns wird hier die Pistole auf die Brust gesetzt“, so eine betroffene Mitarbeiterin. „Wir haben kaum Zeit, dieses Angebot richtig zu prüfen und es mit Anwälten zu besprechen.“
Warum dieses kurzfristige Ultimatum, diese knappen Fristen fragt sich auch der Betriebsrat. Die Antwort liefert nicht die Vorstandsetage von G+J, sondern das Internet Medien-Portal meedia in einem Bericht über „die Todesliste an Magazinen, die womöglich den Sparmaßnahmen von Vorstandschef Bernd Kundrun zum Opfer fallen.“ meedia: „Genaues wird wohl erst Ende November bekannt, wenn der G+J-Aufsichtsrat zu dem Thema tagt und Entscheidungen fällt.“ Im Klartext: Bis Ende November noch das Zuckerbrot, danach dann die Peitsche.
Der Aufsichtsrat seinerseits steht vor einem Dilemma: Auf der einen Seite die Renditeerwartungen der beiden Kapitaleigner, andererseits vom Bertelsmannkonzern und der Jahr-Familie zwei grundverschiedene unternehmerische Erwartungshaltungen und Zukunftsorientierungen an den Medienkonzern. Hartnäckig hält sich in der Branche das Gerücht, dass Bertelsmann nicht zögern würde, G+J zu verkaufen, sollte es Bernd Kundrun, der seine Karriere in Gütersloh beim Mutterkonzern startete, nicht schaffen, mit allen Mitteln das stagnierende Geschäft anzukurbeln. Die Möglichkeit: Weg von lesernahen, aber rückläufigen Publikumszeitschriften und hin zu dem immer noch expandierenden, aber eher trockenen Markt der Fachzeitschriften. G+J, so ein Mitarbeiter, passe einfach nicht mehr in die Linie des neuen Bertelsmannchefs Hartmut Ostrowski. Auf der anderen Seite steht die 67jährige Angelika Jahr als eine ausgewiesene Verfechterin für einen Qualitätsjournalismus, mit dem der Verlag G+J groß und bedeutend geworden ist. Doch dieser passe den „smarten Konzernboys“, so der sarkastische Insiderspott älterer Mitarbeiter, nicht mehr in die Zeit.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Mediengeschehen gibt der neue Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Im Frühjahr nun hat das Internet erstmals das Fernsehen als wichtigste Quelle für „News“ abgelöst. Die gedruckten Auflagen der Pressemedien gehen weiter zurück, die Digitalumsätze legen zu. Fest steht außerdem, Zeitungen erhalten keine Zustellförderung. 
mehr »

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »