Wüstenstrom
Von Mario Müller | „Ich will Ströme in der Wüste machen“, sagt der Prophet Jesaja in der Bibel. Aber was will Wüstenstrom, eine ominöse evangelikale Gruppierung aus Tamm bei Ludwigsburg, die sich auf Jesaja beruft? Wie es aussieht, will sie kritische Stimmen mundtot machen.
Die alttestamentarischen Rachegelüste der Wüstenstromer und ihrer Gefolgsleute bekam auch der Bremer Journalist Eckhard Stengel zu spüren. Stengel hatte in einem Bericht über den Jugendkongress „Christival“ die Meinung geäußert, Wüstenstrom wolle Homosexuelle umpolen – und handelte sich eine Klage auf Unterlassung ein. Der Verein sah sich als Opfer übler Nachrede. Schließlich betreibe er keine Umpolung, sondern berate „ergebnisoffen“. Das Landgericht Frankfurt am Main gab dem Antrag von Wüstenstrom auf einstweilige Verfügung statt, wie in solchen Fällen üblich ohne mündliche Verhandlung. Dabei hätte eine kurze Recherche im Internet genügt, um die Tammer Haarspaltereien zu erkennen: Die Gruppierung läßt keinen Zweifel daran, dass sie Homosexualität für Sünde hält und eine Veränderung der sexuellen Neigungen anstrebt. Stengel legte denn auch Widerspruch ein, mit Erfolg. Anfang Mai entschieden die Richter nach mündlicher Verhandlung gegen die Unterlassungsklage: Die Verwendung des Begriffs Umpolung liege auf „Meinungsebene“ und überschreite nicht „die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik“.
Wüstenstrom behauptet nun, „einen Prozess habe es nicht gegeben“. Und legt Berufung ein!
Stengel sieht sich indes auf Wüstenstroms Internet-Seiten an den Pranger gestellt. Es wäre nicht das erste Mal, dass evangelikale Eiferer ihrerseits die Grenzen zur Schmähkritik streifen.
So wurde die Autorin eines kritischen Artikels in der Zeit mit „Drohanrufen und gehässigen Mails aus dem Spektrum christlich-konservativer Sekten verfolgt“, wie das Blatt im März schrieb. Dabei muss Wüstenstrom, anders als nach der Veröffentlichung von Stengels Bericht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, nicht einmal direkt zu Leserbriefaktionen aufrufen. Die Gefolgsleute wissen auch so, was zu tun ist. So erhielt der SWR, wie der zuständige Redakteur berichtet, nach zwei kritischen Fernsehsendungen über Wüstenstrom zahlreiche „feindselige“ E-Mails mit gleichlautenden Textteilen. Zufrieden ist man in Tamm dagegen mit der Stuttgarter Zeitung. Sie habe sich von den „diffamierenden Schlagworten“ in Stengels Artikel distanziert und „ihr Bedauern ausgedrückt“, schreibt Wüstenstrom. Das wäre allerdings wahrlich bedauerlich.
Verfassungsbeschwerde
Von Karin Wenk | Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verletzt in hohem Maße und in einer speziellen Weise die Rechte von Gewerkschaften und ihren Mitgliedern. ver.di hat deshalb unabhängig von bereits vorliegenden Klagen, die sie unterstützt, Mitte Juni eine weitere Verfassungsbeschwerde eingereicht. Im Kern sieht ver.di neben der Pressefreiheit und der Telekommunikationsfreiheit die Koalitionsfreiheit gefährdet, die Artikel 9 III des Grundgesetzes beinhaltet. Sie räumt das Recht ein, sich zu organisieren, um gemeinsame Interessen vertreten zu können – so wie es in einer Gewerkschaft der Fall ist.
Mitglieder nehmen Kontakt mit ihrer Gewerkschaft auf, für eine berufliche Auskunft, um über politische Themen zu diskutieren, Tarifforderungen und Arbeitskampfstrategien abzustimmen. Andere nutzen die kostenlose Rechtsberatung. Den Arbeitgeber geht das nichts an. Und der Anrufende muss sich sicher sein, dass dieser auch nichts davon erfährt. Auch die Pressefreiheit der bei ver.di angestellten Journalisten sowie die externe und interne Pressearbeit der Organisation ist davon berührt. Das heißt, die gesamte interne Kommunikation und Willensbildung der Gewerkschaft ist durch das Gesetz für Unbefugte leichter zugänglich als zuvor. Dem Missbrauch wird Vorschub geleistet. Außerdem organisiert ver.di den gesamten öffentlichen Dienst einschließlich der sogenannten inneren Dienste und die Unternehmen der Telekommunikationsbranche. Hier ist dann der Weg besonders kurz von der Datenerhebung bis zur missbräuchlichen Einsichtnahme.
Der Gesetzgeber vollziehe mit der massenhaften Speicherung von Daten auf Vorrat eine „Kehrtwende“, begründet ver.di den Gerichtsgang. Sämtliche Grundprinzipien, die bisher bei der Datenerhebung galten, wie etwa die konkrete Zweckbestimmung, werden über den Haufen geworfen. Gefordert wird eine Rückbesinnung auf die Prinzipien des Datenschutzes. Mit dem flächendeckenden Speichern auf Vorrat erhöht sich das Missbrauchspotenzial von Datensammlungen um ein Vielfaches. Private Telekommunikationsunternehmen werden zum Vollzug des Gesetzes eingesetzt. Die jüngsten Vorgänge bei der Telekom belegen eindrucksvoll – und hoffentlich justitiabel, wohin das führen kann. Sie gaben neben vielen Anrufen von ver.di-Mitgliedern den letzten Anstoß für die Verfassungsbeschwerde. Basis ist jedoch ein zuvor erstelltes Gutachten durch den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling, das einen Grundgesetzverstoß durch ein derartiges Datenvorratslager bestätigte.