Tote Handys

Die Detailvorschriften in Gesetzen werden von Juristen und Technokraten gemacht, nicht von Politikern. Vermutlich deshalb ist den meisten Bundestagsabgeordneten nicht bewusst, was sie im vergangenen Jahr mit einem weitgehend unbeachteten neuen Gesetz beschlossen haben: Wenn es zu einer wirklich schwer wiegenden Krise oder Katastrophe kommt, werden die meisten Journalisten einfach vom Mobilfunknetz abgekoppelt. An die Medien wurde bei der Neufassung des „Post- und Telekommunikations-Sicherstellungsgesetzes“ entweder gar nicht gedacht – oder sie sollen bewusst stillgelegt werden.


Die Neuregelung versteckt sich in einer kurzen Liste. Sollte es im Krisenfall nötig sein, überlastete Mobilfunknetze für lebenswichtige Kommunikation von Behörden oder Rettungsdienste offen zu halten, kann der Zugang zu diesen Netzen beschränkt werden. Mit ihrem Handy oder Smartphone haben dann nur noch die Kontakt, die als „Bevorrechtigte“ bei den Mobilfunkunternehmen registriert sind. Bis zum 1. April dieses Jahres waren das auch „Aufgabenträger in Presse und Rundfunk“, doch in dem neuen Gesetz werden sie gar nicht mehr erwähnt – nur noch „Rundfunkveranstalter“ gehören zu dem Personenkreis, der diese „Bevorrechtigung“ von Gesetzes wegen bekommt.
Zufall oder Absicht? Immerhin gibt es auch die Möglichkeit, mit einer behördlichen Bescheinigung nachzuweisen, dass man im Krisenfall auf die Handy-Kommunikation angewiesen ist. Doch in der Begründung für den Gesetzesvorschlag werden nur Unternehmen kritischer Infrastrukturen genannt. Von Medien findet sich dort kein Wort.
Das sieht nach Methode aus. Die Bedeutung eines unabhängigen Informationsflusses gerade in Krisensituationen scheint unumstritten, und nicht zuletzt bei den Umwälzungen im arabischen Raum waren westliche Politiker immer schnell dabei, Freiheit für die Berichterstattung unabhängiger Medien zu fordern. Doch im eigenen Land ist damit offensichtlich spätestens dann Schluss, wenn eine echte Krise droht.
Um Verschwörungstheorien keinen Vorschub zu leisten: Das Gesetz wurde im vergangenen Jahr beschlossen, als vom arabischen Frühling oder gar den Londoner Krawallen und den darauf folgenden Überlegungen, Mobilfunknetze vorübergehend abzuschalten, noch keine Rede war. Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Wenn es wirklich Ernst wird in Deutschland, stehen die meisten Journalisten mit einem toten Handy da. Funktionieren wird dann nur noch die Ein-Weg-Kommunikation der Behörden. Zum Beispiel zu den Rundfunksendern, die dann die öffentlichen Bekanntmachungen entgegen nehmen können.

www.augengeradeaus.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »