Website zensiert
Von Knut Steinkopf | Kreative Streiks im Einzelhandel dürfen nicht unter dem Motto „Dichtmachen“ laufen. Das meint der Berliner Arbeitgeberverband Handel (HBB). Über eine einstweilige Verfügung ließ er die Website „dichtmachen.org“ sperren. ver.di nennt das Zensur und legte natürlich Widerspruch ein.
Seit 2007 beteiligten sich bis zu 180.000 Kolleginnen und Kollegen am bislang längsten Arbeitskampf des Einzelhandels. Doch selbst Großdemonstrationen blieben fast ohne mediale Wirkung und konnten keinen ökonomischen Druck aufbauen. Im Juni 2008 war der Nullpunkt erreicht! Es brauchte eine neue Strategie, so dass der Betrieb nicht anscheinend unberührt weiterläuft, weil Leiharbeitskräfte die Arbeit weiterführen und Kunden auch an Streiktagen einkaufen. Es galt, alle Seiten mit zu organisieren und zwar direkt vor den Supermärkten, wo der Streik sichtbar werden kann. In dem neu gegründeten Berliner Netzwerk unabhängiger politischer Gruppen, kritischer Kunden, aktiver Kolleginnen, der Betriebsräte und zuständigen Sekretärinnen und Vertretern der Tarifkommission wurde eine erste gemeinsame Aktionsidee entwickelt: eine beispielhafte Reichelt Filiale de facto dichtzumachen. Der Name für das Netzwerk war schnell gefunden: unter www.dichtmachen.org begann die gemeinsame Mobilisierung. Am 6. Juni 2008 überzeugten 150 Verkäuferinnen und 70 politische Aktivisten mehr als 6 Stunden lang vor der auserwählten Filiale die Kunden, an diesem Streiktag nicht einzukaufen. Trotz der durch die Polizei geforderten Streikgasse betraten so nur wenige die Filiale. Der Umsatz brach erwartungsgemäß ein, das Presseecho war überwältigend und in zahlreichen Video-Interviews und Kommentaren berichteten Kollegen und Kundinnen auf der Website von ihrem Erfolg. Der HBB reagierte prompt und erwirkte eine einstweilige Verfügung.
Das Arbeitsgericht verbietet seit Juni 2008 „den Zugang zu bestreikten Betriebsstätten unverhältnismäßig zu behindern.“ Ein Aufruf zum „Dichtmachen“ komme einem Aufruf zur Blockade gleich und wird ver.di bei Androhung von 250.000 Euro Strafe untersagt. So versuchen die Arbeitgeber, wirksame Streiks juristisch zu verhindern. ver.di erwartet nun die Aufhebung der Verfügung im Hauptsachverfahren. Die massive Reaktion des HBB zeigt, dass wir eine erfolgreiche Streikstrategie entwickelt haben: Gewerkschaft vernetzt, aktiv, kreativ und mit medialem Resonanzraum – das wirkt! Unsere Internetseite musste vorerst offline gehen. In der Zwischenzeit dokumentieren wir die Aktion auf unserer neuen Seite http://zusammen-streiken.de und ermuntern zur Nachahmung und Weiterentwicklung.
Freiheit statt Angst
Von Karin Wenk | Es ist höchste Zeit für die Verteidigung der Grundrechte auf die Straße zu gehen. Dazu ist am 11. Oktober in Berlin Gelegenheit. Die Überwachung durch Staat und Wirtschaft nimmt in Deutschland und inzwischen auch europaweit durchaus bedrohliche Formen an. Vorratsdatenspeicherung und Fluggastdatensammlungen sind zwei markante Beispiele dafür (M 6–7/2008). Die Demonstration unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ richtet sich auch gegen das neue BKA-Gesetz, das im Herbst beschlossen werden soll. Es sieht eine Aufrüstung des Bundeskriminalamtes zu einer zentralen, exekutiven Polizeibehörde mit der Befugnis zum geheimen Ausspionieren von Privatcomputern vor. Eine drastische Folge für Journalisten: Der Informantenschutz wird ausgehebelt. Das BKA erhält weitreichende bisher nicht gekannte Rechte, so etwa von Journalisten die Herausgabe von Recherchematerial und umfassenden Auskünften zu verlangen. Das kann notfalls mit Zwangsgeld, Beugehaft und Redaktionsdurchsuchungen durchgesetzt werden. Juristen weisen daraufhin, dass keine Rede mehr davon sei, dass Ermittlungen gegen Journalisten nur bei sehr schweren Straftaten durchgeführt werden dürfen. Es werde unterstellt, dass BKA-Ermittlungen generell Straftaten von erheblicher Bedeutung betreffen. Dabei dürfen die Fahnder abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Strafverteidigung und dem Geheimhaltungsinteresse des Journalisten an seinen Informationen. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich auszumalen, wie das wohl jeweils ausgeht! Die Arbeit von Journalisten wird mit derlei Befugnissen massiv behindert, die Pressefreiheit wird weiter beschnitten.
Der 11. Oktober wird ein internationaler Aktionstag sein. Bereits 15 Länder weltweit haben ihre Teilnahme angekündigt. Grund des einhelligen Protestes ist, dass die Politik ihre Überwachungs- und Kontrollvorhaben zunehmend in internationalen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen durchdrückt. Der internationale Protest richtet sich unter anderem gegen die geplante Totalerfassung aller Flugreisenden in der EU, die geplanten Datenauslieferungen an die USA, biometrische EU-Ausweispapiere und die Vorratsspeicherung der Telekommunikationsverbindungen und Standorte sämtlicher 455 Millionen Europäer.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, zu dem auch ver.di gehört, ruft auch dazu auf, sich am 20. September in München der Demonstration „Freiheit Weiß-Blau – Stoppt den Überwachungswahn“ gegen das verschärfte Bayerische Versammlungsgesetz (S. 28) anzuschließen. Informationen über den 11. Oktober unter: www.FreiheitstattAngst.de.