Kohls Stasi-Akten sollen für die Öffentlichkeit unter Verschluss bleiben
Als das Verwaltungsgericht Berlin am 4. Juli sein Urteil im Rechtsstreit zwischen Altbundeskanzler Helmut Kohl und der Gauck-Behörde vor Dutzenden von Medienvertretern aus dem ganzen Land verkündete, sprach es gleichsam zu Betroffenen. Nachdem das Gericht Kohls Klage Recht gab, darf die Gauck-Behörde keinerlei Akten, die die DDR-Staatssicherheit über ihn angelegt hatte, an die Öffentlichkeit, sprich an Journalistinnen und Forscher, herausgeben.
Wird das Urteil allgemeingültig, ist die Konsequenz, dass bei Forschungs- und Rechercheanträgen auf Einsichtnahme in Akten über Personen der Zeitgeschichte oder Amtsträger die Betreffenden ihre Einwilligung geben müssten. Das ist nicht nur der Bruch mit einer fast zehnjährigen, von der Gesellschaft getragenen Praxis, sondern das Ende der öffentlichen Aufarbeitung der ostdeutschen, aber vor allem auch der deutsch-deutschen Vergangenheit. (Übrigens auch für die viel zitierten ehemaligen SED-Opfer, die in Zukunft ebenfalls nur noch ihre „eigenen“ Akten einsehen können.)
Kohl – man muss daran erinnern – war schon immer gegen die Öffnung der Stasi-Akten, selbst wenn es ihm nicht immer opportun erschien, das öffentlich zu sagen. Seit dem Frühjahr 2000 führten er und seine Anwälte den Kampf gegen die Herausgabe dieser Akten – und zwar auch mit Mitteln der bewuss-ten Täuschung. Forschungen über Personen der Zeitgeschichte hätten schon immer nur ehemalige „Täter“ betroffen, behaupteten sie z.B. – wohl wissend, dass auch Akten über Adenauer, Helmut Schmidt, Biermann, Fußballspieler wie Eigendorf oder Sammer für Forschung und Medien herausgegeben wurden.
Wie schon die letzten Monate, konzentrierte sich die Auseinandersetzung auch im Gerichtssaal auf den € 32 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und die widersinnige Formulierung, für Forschung und Medien seien die Akten über Personen der Zeitgeschichte herauszugeben, „soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind.“ (siehe auch M 3/01) Das Gericht zog die Worttreue dieser Formulierung ihrer offensichtlichen Un-Logik vor. Die Kategorie „Person der Zeitgeschichte“ wurde damit kurzerhand getilgt. Die Niveaulosigkeit dieses Urteils beschädigt das Gericht selber.
Die Gauck-Birthler-Behörde – erst unter Joachim Gauck, dann unter dessen Nachfolgerin Marianne Birthler – war Kohl und allen, für die er steht, im Laufe der Auseinandersetzung weit entgegen gekommen: sie gab nämlich keine Tonbänder von abgehörten Gesprächen und deren Wortlautprotokolle mehr heraus, sondern nur noch die von der Stasi zusammengefasste Version dieser Gespräche. Übrigens mit der ebenso anmaßenden wie befremdlichen Begründung, die Zusammenfassungen gäben mehr Aufschluss über die Tätigkeit der Stasi als der Wortlaut der abgehörten Gespräche. Die Behörde begab sich hier schon in die Rolle einer Zensurbehörde, ist es doch Sache des jeweiligen Journalisten oder der Forscherin, vorgelegtes Material selber zu bewerten. Eine weitere bereits praktizierte Zugangsbeschränkung betrifft Unterlagen, bei denen es um „rein westdeutsche Angelegenheiten“ gehe. Zum Beispiel die CDU-Spendenaffäre. Das verkennt nicht nur, dass es massenhaft Zusammenhänge über die innerdeutsche Grenze hinweg gegeben hat, – auch bei der CDU-Spendenaffäre übrigens – sondern dass schon das Wissen des MfS über Westdeutschland ja den Blick in die Akten rechtfertigt: „Wir wollen wissen, was man über uns wusste“.
Das Sperren von Akten im Falle Kohl betraf nicht weniger als drei Viertel von insgesamt etwa 8000 Blatt. Nur etwa 2000 davon wollte die Stasi-Unterlagen-Behörde herausgeben – ein Dreiviertel-Aktenverschluss auf kaltem Wege also, ehe der Rechtsstreit überhaupt entschieden worden war. Interessanterweise sprach das Berliner Verwaltungsgericht sein Urteil pro Kohl übrigens mit dem Hinweis darauf, dass der Streit in der Hauptsache insofern ja bereits erledigt sei, als die Gauck-Birthler-Behörde eine Vielzahl von Unterlagen, wie Tonbänder und Wortprotokolle, sowieso nicht mehr herausgeben wollte. Stellt sich also die Frage, ob die Behörde mit ihrem Entgegenkommen diesem Urteil nicht Vorschub geleistet hat. Das Bürgerkomitee Leipzig hatte das in seiner Kritik an den Restriktionen der Birthler-Behörde jedenfalls so prognostiziert.
Das Urteil des Verwaltungsgerichtes betrifft eigentlich die Klage einer Einzelperson. Dass Kohl, wie seine Anwälte erklärten, ein Grundsatzurteil wollte und dass Innenminister Schily das Urteil auf alle Prominenten-Akten angewendet haben will, dokumentiert, worum es bei dem Rechtsstreit wirklich ging und geht: um ein politisches Urteil im Interesse der alten Westeliten.