Nutzlose Detox-Fußpflaster, ein Arzt, der ätzendes Chlordioxid verkauft: Das Online-Magazin „MedWatch“ klärt über gefährliche Heilungsversprechen auf, gibt Patient*innen Tipps und beleuchtet Hintergründe der Gesundheitsbranche. Geschäftsführerin und Chefredakteurin Nicola Kuhrt ist stolz, dass es dem 2017 gegründeten Portal, das „den Pharmaherstellern auf die Finger klopft“, gelingt, redaktionell unabhängig zu bleiben.
Kuhrt hat das Webmagazin zusammen mit Hinnerk Feldwisch-Drentrup gegründet, der damals auch als freier Wissenschaftsjournalist arbeitete. Beide erlebten als Autor*innen von überregionalen Medien wie „Zeit“, „Spiegel“ oder dem ARD-Magazin „Panorama“, dass ihre Berichte bei Medizinskandalen gefragt waren, sie aber selten in weiteren Beiträgen über die Hintergründe berichten konnten. Das berichtet Kuhrt im Gespräch mit M. Als 2014 beispielsweise verunreinigte Wirkstoffe aus Indien in Medikamenten entdeckt wurden, verpuffte die Erregung schnell und kaum jemand interessierte sich für die Lieferketten, die das ermöglichten. Deshalb beschlossen die beiden, ihre Hintergrundrecherchen selbst zu veröffentlichen und starteten mithilfe eines Grow-Stipendiums von Netzwerk Recherche und von Crowdfunding ihr Magazin als gemeinnützige UG, die sich für Verbraucherschutz einsetzt.
Körper-Entgiftung mit Detox-Fußpflastern oder angeblich in Vitamin E getränkte Anti-Aging-Kissen – so manches Mittel, über das sie berichteten, wurde inzwischen vom Markt genommen, erzählt Chefredakteurin Kuhrt. 2019 weisten sie nach, dass ein Arzt das gesundheitsgefährdende Chlordioxid in seiner Praxis an Eltern verkaufte. Der Mediziner wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Nach „MedWatch“-Berichten darf sich der Maschinenbauer Roland Bracht, der mit seiner Frau durch Gesundheitsvideos zu Arthrose bekannt wurde, nicht mehr „Schmerzspezialist Nummer 1“ nennen. Die Fachjournalist*innen recherchieren die medizinische Wirksamkeit, entlarven Werbefakes und kritisieren unzureichende gesundheitspolitische Regelungen. Im Schnitt erscheint jede Woche ein neuer Beitrag.
Gesundheitsinformationen für Geflüchtete
Im vergangenen Jahr, als der Ukrainekrieg begann, startete das 15-köpfige Redaktionsteam eine Artikelreihe mit Gesundheitsinformationen für Geflohene in Deutschland. Kuhrt: „Das war sehr wichtig für uns, wir konnten direkt helfen.“ Die Teammitglieder treffen sich alle zwei Wochen zu einer Redaktionskonferenz per Zoom, um Themen abzusprechen. Alle Autor*innen erhalten ein Honorar, „das sogar höher ist als bei manchem Onlinemedium“, sagt Kuhrt. Sie selbst hat eine Teilzeitstelle und ihre Redaktionsleiterin erhält eine Pauschale. Außerdem habe „MedWatch“ eine spezielle Rechtsschutzversicherung, um die Autor*innen im Fall einer Klage abzusichern.
Das Magazin finanziert sich durch fast 300 Unterstützungs-Abos und Spenden von Leser*innen, aber auch durch Stipendien, Preisgelder und Leistungshonorare. So erhielt „MedWatch“ 2020 den mit 15.000 Euro dotierten Bundespreis Verbraucherschutz und verdiente 2018/19 mit einem Gutachten zu gefährlichen Gesundheitsinformationen 41.000 Euro.
Digitale „Sprechstunde“
Die Redaktion bietet zwei Newsletter an – einen für die Unterstützer*innen mit Zusatzinfos über Recherchen – und ist in den sozialen Medien aktiv. So sei ihre Kollegin Marie Eickhoff „unheimlich erfolgreich auf Instagram – mit Reels zu Medizin-Influencern und den Gefahren von Nahrungsergänzungsmitteln“, berichtet Nicola Kuhrt. Eickhoff hat jetzt zusammen mit Marius Penzel den Peter Hans Hofschneider Recherchepreis 2023 erhalten.
Während Instagram jüngere Menschen anspricht, wird die Website mit durchschnittlich 40.000 Klicks pro Monat vor allem von über Dreißigjährigen besucht, darunter „viele chronisch kranke Menschen, die bei ihren Recherchen zu uns finden“, so Kuhrt. Ihr Wunsch sei jedoch ein noch breiterer Rezipient*innenkreis. Leser*innen können alle sechs bis acht Wochen an einem digitalen Treffen teilnehmen. In der „Sprechstunde“ geht es dann etwa um die Aufgaben des Gesundheitsausschusses oder um Krankenhausessen. Demnächst will „MedWatch“ auch einen Workshop anbieten – mit juristischen Tipps, wie Menschen, die auf dubiose Heilversprechen hereingefallen sind, vielleicht ihr Geld zurückbekommen.