Altersdiskriminierung beim WDR?

Schreibmaschinen stehen inzwischen im Museum, aber Menschen wollen im Beruf bleiben. Quelle: Wikimedia Commons

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.

„Eine Redaktion will Dir einen Auftrag geben? Dann sag ihr, dass Du Rente beziehst – damit Du den Job nicht bekommst!“ So lautete, kurz zusammengefasst, die Mail aus dem WDR-Management an eine freie Mitarbeiterin. Für die Adressatin war das einer der heftigsten von vielen Hieben, nach Jahrzehnten, in denen sie für den Sender als Journalistin arbeitete. Eine 67-jährige Wuppertalerin wurde nicht nur vom Regionalstudio kaltgestellt, sondern, „auf Druck von oben“, wie sie berichtet, auch von einer für ganz NRW berichtenden Hörfunksendung. Dort bekam sie das Mitgefühl einer verantwortlichen Redakteurin schriftlich: „Ich bin genauso entsetzt wie Du.“

In den WDR-Regionalstudios wurden in diesem Zusammenhang häufig gebuchte freie Mitarbeiter*innen zu „Perspektiv-Besprechungen“ bestellt, bevor sie das Rentenalter erreichen. Betroffene erfuhren bei diesen Gesprächen unter anderem, dass Aufträge zurückgezogen wurden, die schon erteilt waren und an denen bereits gearbeitet worden war.

Rentenalter beendet Zusammenarbeit

Was hatte sich für die Freien geändert, von denen rund 2.200 so häufig beschäftigt werden, dass sie sogar den Personalrat mitwählen können? Nur langsam sickerten Informationen durch, unter anderem bei der individuellen Beratung des WDR-Personalrats und in einer Freien-internen Gruppe auf Facebook. Ein Artikel des WDR zum Thema, der im Sommer im WDR-Intranet erschienen war, wurde hingegen im November wieder gelöscht. Genaueres gibt der Sender dann erst auf Nachfrage von „M“ preis: Der Beschluss „der Geschäftsleitung“ besage „grundsätzlich, dass die Zusammenarbeit nach Erreichen des Rentenalters endet. Nur in dringenden Ausnahmefällen – etwa, wenn die Person über Spezialwissen verfügt, das im Team nicht ausreichend vorhanden ist – ist es vereinzelt und nur nach Genehmigung der zuständigen Direktion möglich, dass feste oder freie Rentner*innen und Rentner für den WDR arbeiten.“

Wer genau aber hat das wann entschieden? Der WDR präzisiert auch hier erst auf Nachfrage, dass dies im Januar 2024 durch die vier Direktor*innen und Intendant Thomas Buhrow beschlossen worden war. Bei der WDR-Redakteursvertretung läuft die Regelung nun unter einem einzigen Stichwort: Altersdiskriminierung. Das Gremium protestiert in einer Stellungnahme unter anderem dagegen, dass die journalistische Freiheit „durch diese Entscheidung erheblich eingeschränkt“ wird. Aufträge müssten nun auch das Alter der freien Mitarbeitenden berücksichtigen statt nur ihre Qualifikation. „Dies stellt eine erhebliche Beeinträchtigung unserer redaktionellen Unabhängigkeit dar und könnte die Qualität unserer Berichterstattung negativ beeinflussen.“

Kurze Fristen

Während Angestellte sich über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Bis dahin ist es ganz offensichtlich oft erwünscht gewesen, dass sie sich an eine einzige Abteilung oder Redaktion binden. Wer beispielsweise als freie Rundfunkjournalistin für das Studio Münster arbeitet, dem verwehrte es der Apparat indirekt, Berichte bei zentralen Redaktionen am Studio Münster vorbei anzubieten. WDR-Abteilungen hatten den Vorteil des ständigen Kontaktes zu genügend vielen Mitarbeitenden, die alle Abläufe und Anforderungen des Auftraggebers kennen. Und Freie verließen sich auf die Möglichkeit, ihre oft karge Rente ein paar Jahre lang mit der gewohnten und meist auch geliebten Tätigkeit aufzubessern.

Verjüngung von oben

Zudem sorgte der Sender selbst für die Kargheit im Alter, in dem er die Freien seit Jahrzehnten beim Arbeitsumfang deckelt, damit sie sich nicht auf eine volle Angestellten-Stelle einklagen konnten. Doch nun? Mit ähnlicher Wortwahl wie im Intranet verweist der Sender darauf, man müsse „auch eine private Vorsorge für ein Leben nach der Arbeit treffen. Dazu bietet die Personalabteilung des WDR seit je her umfangreiche Beratung an.“

Annette Hager, freie Journalistin für das Studio Wuppertal, hat diese Vorsorge zwar getroffen – und doch: „Anders als geplant kenne ich jetzt meinen letzten Arbeitstag. Dieser Umgang macht mich fassungslos.“ Für sie passt das zu ihrer Beobachtung, dass sich Umgangsformen verschlechtert haben. Es lasse sie an der Führungskompetenz des Senderhierarchie zweifeln, erklärt sie. Vom Honorarrahmen über neue interne Regelungen beim Bildungsurlaub bis hin zu tariflichen Ansprüchen von Freien: All das werde nur noch wie ein Almosen gewährt.

„Altersdiskriminierung pur“

Hager sagt: „Nicht wenige machen sich auf und suchen Alternativen. Auch Jüngere lesen diese Zurückweisungen als Abwehrsignal an sie.“ Ein 66-jähriger Kameramann, der seit 38 Jahren vom WDR-Studio Düsseldorf für fünf Tage pro Monat gebucht wurde, sagt: „Was der WDR da klammheimlich über die Bühne bringt, ist Altersdiskriminierung pur.“

Das Motiv der WDR-Oberen ist eine Verjüngung des Programms und seiner Macher*innen. Das finden viele sehr verständlich und logisch – auch betroffene Ältere. Auch sie kennen die negativen Einzelfälle, beispielsweise den früher angestellten Regisseur und Abteilungsleiter, der weiterhin gerne als Pensionär abwechselnd mit Freien in der Live-Regie von Sendungen sitzt. So drückt er das ohnehin knappe Auftragsvolumen für die mit ihm befreundeten freiberuflichen Kolleg*innen.

Doch Radioredakteur Theo Dierkes hält es ebenso für falsch, eine angebliche Knappheit an jungen Mitarbeitenden nun den Älteren anzulasten, die angeblich die Einstiegsluke in die Arbeit für den Sender versperren. Der Sender sei selbst für eine mögliche Lücke bei Jüngeren verantwortlich – weil er seit etwa 2012 gespart habe. Und „wenn für eine Anstellung als Redakteur*in ein Studium plus ein Volontariat verlangt werden, ist es doch nicht verwunderlich, dass es keine 25-jährigen und Jüngere im Sender gibt.“

Fragen von „M“ zur Altersstruktur der freien Mitarbeiterschaft und der Zahl der „Boomer“-Freien, die in diesen Jahren die Rentengrenze erreichen, lässt der WDR unbeantwortet, genau wie auch die Frage, ob der Sender derzeit tatsächlich Jüngere von der Mitarbeit fernhalten muss, weil ihnen Ältere den Weg versperren. Und ob eine derart radikale Verjüngung der Berichterstatter*innen sinnvoll ist zu einer Zeit, in der die vielen „Boomer“ Zuschauer*innen, Clicker*innen und Hörer*innen sind? Keine Antwort. Ob schon allein die neu errichtete administrative Hürde Abteilungen von der Beschäftigung von alten Arbeitswilligen abhält? Keine Antwort vom Sender.

Fast die Hälfte bezieht Rente

Von Programmdirektorin Andrea Schafarczyk wird berichtet, dass sie schon mal bei Redaktionen anfragen lässt, wie es um das Alter ihrer Mitarbeiter*innen steht. Die Antwort von Theo Dierkes: Von 90 Menschen, die für die Produktion ihrer längeren Radiosendungen beschäftigt wurden, bezogen 40 eine Rente. Fast die Hälfte. Ähnlich ist es bei der Redaktion „Zeitzeichen“. Dierkes hält eine Verjüngung zwar auch für nötig. Er sagt aber auch: „Wir könnten gar nicht so viele junge Autor*innen für das Programm rekrutieren. Die jungen Macher*innen interessiert unsere Thematik ‚Kirche und Theologie‘ gar nicht besonders. Und angestellte wie Freie Mitarbeiter*innen von Regionalstudios haben beobachtet, dass es bei ihnen zwar immer wieder neue freie Mitarbeiter*innen gibt. Doch vor allem die ‚besten Leute‘ strebten nach kurzer Zeit wieder woanders hin, wo die Arbeit für sie attraktiver ist.“

Kontroverses Thema

Bei anderen Sendern scheint der Umgang mit Freien im Rentenalter kein kontroverses Thema zu sein. So schildert es zum Beispiel ein Freienvertreter vom Deutschlandfunk. Alte Freie würden dort ohne Diskussion weiter beschäftigt, wenn sie als Autor*innen dem Sender etwas anbieten. Beim Südwestrundfunk sei es ohnehin selten, dass Freie über das Rentenalter hinaus für den Sender arbeiten, sagt ein ver.di-Gewerkschafter, der es wissen muss. Aber die Lage der freien Mitarbeiter*innen bei dem Sender im Südwesten sei seit dem neuen Tarifvertrag von 2019 auch völlig anders als beim WDR.

Beim SWR gilt: Wenn Freie einmal eine zeitliche Limitierung ihres Status von zwei Jahren bzw. sechs Jahren überschritten haben, haben sie Anspruch auf das Einkommen, das sie bis dahin beim Sender erzielt haben – so lange, bis sie Altersrente beziehen. Beim WDR hingegen ist ein solcher „Bestandsschutz“ nicht vorhanden. Der Anspruch muss jedes Jahr neu gesichert werden. Und er kann vom Sender im Einzelfall jährlich aktiv gedrückt werden, bis diese tarifliche Sicherung verschwindet.

Die abservierte Münsteraner Freie hat nichts gegen die Beschäftigung der neuen Jüngeren. Im Gegenteil, sie würde gerne mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen so auch das Wissen in ihrem speziellen Kompetenzfeld vermitteln. Und viele Redaktionen nutzen nach eigener Aussage die unklare Kommunikation und weiter die Fähigkeiten der Alten, die für sie arbeiten wollen. Ob solche Redakteur*innen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen? Vom Sender gibt es dazu keine Antwort.


Anmerkung:
Die meisten Betroffenen haben darum gebeten, ihren Namen nicht zu nennen. Sie befürchten, sonst als angebliche „Quertreiber“ Aufträge zu verlieren, die sie noch bekommen. Ihre Namen sind aber bekannt.

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