Buchtipp: Hörfunk auf zwei Säulen

Der lokale Hörfunk in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist ein Unikum in der bundesdeutschen Radiolandschaft. Vor fast 32 Jahren – am 1. April 1990 – startete mit Radio Duisburg das erste nach dem sogenannten „Zwei-Säulen-Modell“ konzipierte Lokalradio. Der bei Springer Fachmedien jüngst erschienene Sammelband ist eine kritische Bestandsaufnahme dieses weltweit einzigartigen Modells.

Seine Wurzeln verortet Norbert Schneider, der bis 2010 als Direktor der Landesanstalt für Medien (LfM) NRW die Geschicke des Radio-Modells begleitete, im Umfeld der damals noch regierenden Sozialdemokratie. Der privatwirtschaftliche Hörfunk in NRW „strahlt neben seinen Programmen auch die gespaltene Haltung der SPD zum Privatfunk aus“. Schließlich hatten die Sozis diesen Privatfunk lange bekämpft, aus Furcht vor einer allzu drastischen Kommerzialisierung des Mediums.

Das Zwei-Säulen-Modell erschien folglich als Kompromiss zwischen Gewinn- und Gemeinwohlorientierung, zwischen dem Bedürfnis einer Gesellschaft nach Medienvielfalt und lokaler Kommunikation einerseits sowie den geschäftlichen Interessen potentieller Radiobetreiber andererseits. Es sollte eine starke lokal recherchierende Redaktion absichern, zugleich aber den örtlichen Tageszeitungsverlagen keine Konkurrenz machen. Als Spiritus Rector outet Schneider Erich Schumann, „der beide Herzen in einer Brust trug: das eines mächtigen Verlegers (der WAZ-Zeitungsgruppe) und das eines mächtigen Sozialdemokraten“.

So entstand das Zwei-Säulen-Modell, in dem wirtschaftliche und publizistische Verantwortung aufgeteilt sind. Für die Finanzierung des Programms ist eine Betriebsgesellschaft zuständig, die die Werbezeiten vermarktet. Bis zu 75 Prozent der Anteile dieser Gesellschaft halten Tageszeitungsverlage des jeweiligen Verbreitungsgebietes, die restlichen Anteile sind Kommunen vorbehalten. Die Programmverantwortung liegt bei Veranstaltergemeinschaften, die als Vereine organisiert sind und aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen bestehen.

Der Sammelband versammelt rund zwei Dutzend Einzelbeiträge von Akteur*innen aus Medienpolitik, Wissenschaft, Verlagen, Gewerkschaften und Radiopraxis. Man habe „keine Festschrift“ abliefern wollen, erklären die Herausgeber Bettina Lendzian, Mattias Kurp (beide leiten den Fachbereich Journalismus und Kommunikation der Kölner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft) und Udo Milbret, freier Journalist und Lehrbeauftragter an der FH Dortmund. Vielmehr gehe es um eine Standortbestimmung nach 30 Jahren: „Wo hat sich das System bewährt, wo liegen seine Stärken, wo zeichnen sich Alterserscheinungen ab?“

Aktuell stellt sich die Frage nach der Zukunft des Lokalfunks, vor allem vor dem Hintergrund wirtschaftlichen Drucks durch Corona und dem wachsenden – auch digitalen – Konkurrenzdruck neuer Player. Um die analogen Frequenzen für ein landesweites UKW-Programm in NRW hatten sich bis Mitte vergangenen Jahres 13 Veranstalter mit 14 Programmen beworben. Die Entscheidung darüber soll noch im Frühjahr 2022 fallen. Bislang sendeten Radio NRW und die Lokalsender faktisch ohne lokale und regionale Konkurrenz. Damit ist es bald vorbei.

Matthias Kurp/Bettina Lendzian/Udo Milbret (Hrsg.):  Journalismus auf zwei Säulen. Drei Jahrzehnte Lokalfunk in Nordrhein-Westfalen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2021/22, 226 Seiten.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Buchtipp: Irgendwas mit Film

„Irgendwas mit Film“ ist längst nicht mehr der Traumberuf früherer Jahre, weil sich rumgesprochen hat, wie unattraktiv die Arbeitsbedingungen sind. Die Produktionsunternehmen wollen das Nachwuchsproblem mit verschiedenen Initiativen lösen, die sich nicht nur an junge Leute, sondern auch an Ältere richten. Gerade Mitglieder der Altersgruppe 50plus werden zum Quereinstieg animiert. Mit ihren an die fünfhundert verschiedenen Tätigkeiten hat die Branche eine enorme Vielfalt zu bieten. In dem Interviewbuch berichten 45 Filmschaffende von ihren Erfahrungen.
mehr »

Beschäftigte von ARD-Sendern streiken

ver.di hat die Beschäftigten der ARD-Rundfunkanstalten NDR, WDR und SWR für den 12. März zu Streiks für Einkommenserhöhungen aufgerufen. Die ARD-Verhandler*innen verweigern bisher Angebote für Tariferhöhungen. Sie zögern die Verhandlungen hinaus, zuletzt in der zweiten Verhandlungsrunde beim Südwestrundfunk in Stuttgart am 9. März. Frühestens für Ende April wurde im SWR ein beziffertes Angebot in Aussicht gestellt. Auch in  anderen ARD-Sendern gibt es bisher keine Verhandlungsfortschritte, heißt es in der Pressemitteilung.
mehr »

Buchtipp: Democracy Dies in Darkness

Wer sich über Nachrichtenagenturen, ihre Arbeitsweise, ihren Umgang mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz, ihre internationalen Kooperationen und Grundsätze informieren will, der wird in dem Buch „Democracy Dies in Darkness – Fake News, Big Tech, AI: Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?“ von Clemens Pig viel Lesenswertes finden. Der Autor ist Geschäftsführer der Austrian Press Agency (APA) und hat dieses Buch zum 175jährigen Bestehen der österreichischen Nachrichtenagenturen verfasst. Den Titel „Democracy Dies in Darkness“ hat Pig dem Cover der Washington Post seit 2019 entlehnt.
mehr »