Freier Journalist klagt gegen Springer

Justitia am Portal Amtsgericht Berlin Neukölln. Foto: Hermann Haubrich

Darf ein Verlag ältere Texte freier Autorinnen und Autoren ohne Genehmigung und ohne Vergütung in Online-Archiven vermarkten? Müssen freie Autor_innen sich für die langjährige Online-Verwurstung ihrer Arbeitsprodukte mit nem Appel und nem Ei abspeisen lassen, im Zweifel sogar mit Null Euro? Um diese Fragen geht es in einem Musterprozess, den der freie Autor Rainer Jogschies mit Unterstützung von ver.di seit einem Jahr gegen den Axel Springer Verlag führt.

„Seit wann arbeitest du denn für Springer?“ Rainer Jogschies stutzte, als ein Kollege ihn mit dieser Frage konfrontierte. Ahnungsvoll ging der renommierte Journalist und Buchautor der Sache mittels Suchmaschine nach. Und staunte nicht schlecht, als er gleich neun von ihm vor Jahren verfasste Texte bei „Rewind“ aufspürte, einem digitalen, bezahlpflichtigen Archiv, das allerdings auch das kostenfreie Herunterladen als PDF ermöglicht. Texte, die er in den 70er und 80er Jahren als Freiberufler für die Musikmagazine „Sounds“ und „Musikexpress“ geschrieben hatte. Nach der Übernahme beider Blätter durch den Jürg Marquard Verlag  1983 und der Fusion der Redaktionen stellten die meisten Altautor_innen die Mitarbeit für die beiden Magazine ein. Dass zur Jahrtausendwende Axel Springer sich auch andere Musikzeitschriften wie den legendären „Rolling Stone“ einverleibte, war allenfalls eine Randnotiz. Jedenfalls bis Jogschies auf die bis in die Gegenwart reichende Vermarktung seiner Texte bei „Rewind“ stieß. Für ihn ein klarer Fall von Urheberrechtsverletzung: Ein Einverständnis zur Publikation dieser Beiträge hatte er nie gegeben. Auf seine Anfrage bei Springer Mediahouse, wie nun damit umzugehen sei, reagierte die Abteilung „Head of Finance and Business Development“ einigermaßen kühl. Ein Anspruch auf Bezahlung für die digitale Nutzung seiner Magazinbeiträge in PDF-Ganzseitenarchiven bestehe keineswegs. Diese Art der Nutzung sei „in der modernen Vertriebsrealität der Verlage üblicherweise mit dem Ersthonorar abgegolten“. Will sagen: Der Autor habe zum Entstehungszeitpunkt der Beiträge vertraglich einem Total Buyout seiner Texte für alle Medien und alle Zeiten zugestimmt. Die Zahlung einer Extra-Vergütung für derartige Werknutzungen, so der Verlag,  sei „nicht marktüblich“, sie betrage vielmehr laut aktueller Rechtsprechung „der Sache nach Euro 0,00“.

Ohnehin gebe es das „Musikexpress“-Onlinearchiv erst seit 2012, sodass die Nutzung der Beiträge „gemessen am Gesamthonorar für sämtliche heutzutage vergüteten Nutzungsarten“ allenfalls „rund Euro 100,00 wert“ sei. Gönnerhaft räumte der Verlag ein, die weiterhin beabsichtigte Nutzung von Jogschies‘ Beiträgen „pauschal mit einer Einmalzahlung für Vergangenheit und Zukunft“ in Höhe von 200 Euro netto zu vergüten.

So billig wollte sich Jogschies nicht abspeisen lassen, zumal es hier nach seiner Auffassung um Grundsätzliches geht. Mit Unterstützung von ver.di reichte er Klage ein: zunächst auf Unterlassung der inkriminierten Praxis, die neun per Google aufgespürten Texte weiterhin ohne seine Zustimmung in Online-Archiven  – egal ob entgeltpflichtig oder frei zugänglich – zu verwerten. Des Weiteren auf angemessenen Schadensersatz sowie auf Auskunft über weitere möglicherweise ohne seine Genehmigung in Springer-Online-Archiven schlummernde von ihm verfasste Beiträge.

Kommt nicht in Frage, konterten Springers Anwälte. Man sei „Inhaberin der erforderlichen Nutzungsrechte“, folglich bestehe kein Schadensersatzanspruch. Das vom Verlag betriebene PDF-Archiv werfe „keine nennenswerten Gewinne“ ab. „Üblicherweise“ zahlten Zeitschriftenverlage daher auch „keinerlei zusätzliche Vergütung für Nutzungen in PDF-Archiven“.

Jogschies´ Anwältin Silke Kirberg stützt sich bei der Schadensersatzforderung auf die von dju in ve.rdi und DJV herausgegebenen „Vertragsbedingungen und Honorare für die Nutzung freier journalistischer Beiträge“. Auf Grundlage dieser Konditionen, so errechnete sie, wäre im Zeitraum 2012-2017 eine Lizenzgebühr in Höhe von 6.591,90 Euro zuzüglich Zinsen fällig geworden. Dies sei „fernab von der Realität“, widersprach Springer. Würden Verlage dazu verdonnert, solche Summen zu zahlen, könnten Online-Archive „generell nicht mehr betrieben werden“.

Aber ganz so sicher scheint sich Springer der Sache nicht zu sein. Zur Güteverhandlung Anfang April dieses Jahres erschien neben zwei Anwälten auch der Abteilungsleiter für Verlagsrecht und Internet-Content. Tatsächlich wirkt es reichlich kühn, pauschal und prophylaktisch die Rechte für Verbreitungsformen zu reklamieren, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Texte noch gar nicht existierten. Schließlich war das Internet selbst für Springer in den achtziger Jahren allenfalls eine entfernte Ahnung am Vertriebshorizont. Offenbar fürchtet der Verlag, dass bei einem positiven Bescheid für Jogschies eine Flut von Anschlussklagen drohen könnte. Auf Drängen des Gerichts erhöhte Springer sein ursprüngliches Vergleichsangebot von 200 auf 400 Euro, später sogar auf 1.000 Euro. Allerdings mit der dreisten Forderung an Jogschies, die weitere Nutzung seiner Texte im Netz zu dulden und sämtliche Prozess- und Anwaltskosten zu übernehmen. Der Autor lehnte ab.  Immerhin hatte selbst das Gericht eine Entschädigungszahlung von 2.000 Euro vorgeschlagen, bei gleichzeitiger Übernahme der Prozesskosten durch Springer.

Am 24. Mai will das Gericht eine Entscheidung verkünden. Wir bleiben dran.

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