Neue Wege zu einem verbesserten Tarifschutz für Freie?

Tarifvertrag über verbesserten Sozialschutz für Freie beim NDR beschreitet neue Wege

Zweieinhalb Jahre haben die Verhandlungen gedauert, mehrfach sah es so aus, als könnte ein Ergebnis nicht erreicht werden. Ende Juni ’96 wurde er dann doch von NDR und den Gewerkschaften unterzeichnet, damit er am 01. Juli 1996 in Kraft treten kann: Der „Tarif- vertrag für befristete Programmitarbeit beim NDR“.

Die Vorgeschichte ist noch länger. Seit Anfang der 80iger Jahre forderte, die RFFU, dann die IG Medien Bestandsschutz für Freie und ein Ende für willkürliche Beschäftigungsbe- grenzungen, die berüchtigte Limitierung, mit der sich Rundfunkanstalten vor Festanstellungs- klagen schützen wollen.

Ziel: Bestandsschutz

Bestandsschutz für Freie soll Schluß machen damit, daß freie Beschäftigung von einem Tag auf den anderen, allenfalls unter Einhaltung von Ankündigungsfristen, entschädigungslos beendet werden kann und daß damit schlagartig wichtige Teile oder die ganze bisherige Existenzgrundlage eines Freien, der oft über Jahre hinweg für die Rundfunkanstalt gearbeitet hat, wegfallen. Freie wurden immer wieder auf den „Ausweg“ der Festanstellungsklage gedrängt, wenn solche Veränderungen anstanden: der Versuch, über das Arbeitsgericht die Feststellung zu erzwingen, daß es sich in Wirklichkeit um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Das hatte in einigen Fällen Erfolg (in der weitaus größten Zahl der Fälle freilich kam es gar nicht so weit). Was die Rundfunkanstalten ihrerseits wiederum dazu veranlaßte, sich durch Beschäftigungsbegrenzungen, durch Limitierung des Verdienstes oder der Einsatzsdauer von Freien, vor solchen Risiken zu „schützen“. Das führt dann zu dem völlig willkürlichen Ergebnis, daß Freie, die eingearbeitet sind, die Fähigkeit und die Bereitschaft haben, bestimmte Leistungen zu erbringen, keine Aufträge mehr bekommen, daß Redaktionen, die mit diesen Freien zusammenarbeiten wollen, die Aufträge an sie nicht mehr vergeben dürfen.

Lösungsversuch: Befristungen

Der Norddeutsche Rundfunk hat versucht, wie andere Rundfunkanstalten auch, sich außer durch Limitierung auch durch Rahmenverträge vor solchen Risiken zu schützen.Er hat befristete Verträge geschlossen, befristet höchstens auf die Zeit, für die auch der Manteltarifvertrag für Angestellte Befristungen zuläßt, damit im Falle einer erfolgreichen Festanstellungsklage die Befristung diese Festanstellung alsbald wieder beendet. Eine große Zahl solcher Verträge mit Freien hätte Mitte 1995 beim NDR nicht mehr verlängert werden können (oder richtiger: Die diesen Verträgen sachfremd vom NDR zugedachte Schutzfunktion vor Festanstellungsklagen hätten sie nicht mehr erfüllen können, weil im Falle einer erfolgreichen Festanstellungsklage die zulässige Höchstbefristungsdauer aus dem MTV überschritten worden wäre). Der Vorschlag des NDR zur Abhilfe war ebenso einfach wie ungenügend. Er wollte die Dauer der möglichen Befristung im Manteltarifvertrag verlängern. Eine ganz und gar unbrauchbare „Lösung“ sagte die IG Medien, denn an sich haben der Manteltarifvertrag, der für Festangestellte gilt, und die für Festangestellte zulässige Befristung mit der Beschäftigung von Freien nichts zu tun. Und außerdem: die Probleme wären damit verschoben worden, nicht gelöst. Die Stellung der Freien wäre ungesichert wie eh‘ und je, nur der NDR hätte sich in der Sackgasse, in die er sich mit seiner Politik manövriert hatte, etwas länger einrichten können.

Gegenvorschlag

Deswegen der Gegenvorschlag der IG Medien: Eine Lösung kann nur gefunden werden, wenn am Grundproblem angesetzt wird:

  1. Die Beschäftigung von Freien im Rundfunk ist rundfunktypisch, sie ergänzt, aber ersetzt nicht feste Beschäftigung. Sie ist ihrem Wesen nach auf einzelne Aufträge hin befristet, aber durch die Zusammenarbeit in einer Vielzahl solcher Aufträge kann die Beschäftigung auch eine dauernde sein, kann sie auch das ganze Berufsleben dauern.
  2. Freie müssen auch frei sein, das heißt, sie müssen auch andere Aufträge annehmen können ohne Konkurrenzklausel, und sie dürfen nicht in Dienstpläne und Weisungsrecht eingebunden werden. Wo die ausschließliche weisungsgebundende Arbeit gewünscht wird, ist die Festanstellung der richtige Weg.
  3. Freie benötigen aber auch sozialen Schutz: Je länger und je mehr sie für einen Autraggeber arbeiten, um so stärker.Ein solcher Schutz muß zwei Zielrichtungen haben. Er muß der und dem Freien, wenn die Rundfunkanstalt keine Aufträge mehr erteilt oder die Auftragsvergabe erheblich einschränkt, einen finanziellen Ausgleich gewähren. Und er muß für die Rundfunkanstalt einen Anreiz geben, nach Möglichkeiten zu suchen, die Beschäftigung doch fortzusetzen. Und schließlich soll nach langjähriger Beschäftigung (25 oder 15 Jahre – je nach Lebensalter) eine Beendigung nicht mehr möglich sein.
  4.  Die tarifliche Präzisierung dieser Beschäftigung als Freie und ihrer Aufgaben und Rechte sowie ihre verbesserte soziale Absicherung soll Rechtssicherheit für diese Beschäftigungsform schaffen, auch für die Rundfunkanstalten. Das heißt, der Ausweg der Festanstellungsklage als Notbremse wird rechtlich schwieriger zu begehen, aber dafür sollen die sachwidrigen und bürokratischen Beschäftigungsbegrenzungen, wie Limitierung der Beschäftigung, fallen.

Freie Mitarbeiter als eigenständige Beschäftigungsform

Dieser Vorschlag entstand zwar aus den bisherigen Erfahrungen mit der Beschäftigung von Freien und aus der bisherigen Diskussion über verbesserten Schutz für Freie, aber er stellte doch eine kleine Revolution dar: Er hat zur gedanklichen Grundlage, freie Mitarbeit als eigenständige Beschäftigungsform im Rundfunk neben der Festanstellung zu akzeptieren und nicht Freie von vornherein als verhinderte Festangestellte zu betrachten, deren einziger Sinn und Trachten darauf gerichtet ist, eine fest Planstelle zu ergattern. Er zog die Konsequenz daraus, daß mit der Beschäftigung von Freien durch Rundfunkanstalten und andere zwar viel Mißbrauch getrieben wird, daß aber andererseits eine Mehrzahl dieser Freien diese Beschäftigungsform auch bewußt gewählt hat und keineswegs in der vagen und rechtlich unsicheren Möglichkeit der Festanstellungsklage das Ziel seiner freien Tätigkeit sieht. Klarstellung der Rechtsstellung des Freien, um mißbräuchliche Verwendung dieser Form einzuschränken, eigenständiger Sozialschutz für Freie in einer dieser Beschäftigungsform adäquaten Weise und Abbau unsachlicher Beschäftigungsbegrenzungen. Das war die Konsequenz, die die IG Medien den NDR-Vorstellungen entgegensetzte.

Der NDR tat sich schwer mit diesem Weg. Die Bedenken überwogen: ein ängstliches Schielen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in der Vergangenheit, anstatt souverän die Möglichkeiten zu nutzen, die tarifvertragliche Gestaltungsmacht bietet, bestimmten über Monate hinweg die Verhandlungen. Erst ein arbeitsrechtliches Gutachten von einem namhaften Arbeitsrechtler, das der NDR einholte, und der bestätigte, daß der von der IG Medien vorgeschlagene Weg gangbar war, brachte ein zögerliches Umdenken und nach zähen Verhandlungen auch ein Verhandlungsergebnis.

Kompromiß

Vereinbart wurde am Ende freilich ein Kompromiß, der noch viele Fragen und Wünsche – nein: Anforderungen – unbeantwortet läßt, der aber doch ein wichtiger Schritt auf einem richtigen Weg sein kann.

  • Die erste Schwachstelle ist, daß der neue Tarifvertrag nur für sogenannte Programmitarbeiter gelten soll, also für Freie, die in erster Linie künstlerisch und kreativ tätig sind, wie Autoren, Cutterinnen, Grafiker, Kamerafrauen oder -männer, Maskenbildner, Reporter/innen, Ton- ingenieure und so fort. Abgemildert wurde das freilich dadurch, daß der vereinbarte erweiterte soziale Schutz auch in den weitergeltenden Tarifvertrag für Arbeiternehmerähnliche übernommen wurde, also für also für alle Freien gilt.
  • Der zweite Mangel ist, daß dem NDR eine verbindliche Aufgabe seiner bisherigen Limitierungspraxis nicht abgerungen werden konnte. Verständigen vermochte sich der NDR nur auf die tarifliche Erklärung, daß beabsichtigt sei, auf organisatorische Regelungen zur Begrenzung der Beschäftigung zukünftig zu verzichten. Annähern will er sich diesem Ziel Schritt für Schritt. Die IG Medien wird sorgfältig darüber wachen müssen, daß dies auch tatsächlich umgesetzt wird.
  • Bewähren muß sich auch die tarifliche Bestimmung, daß die Möglichkeiten, die dieser neue Tarifvertrag einräumt, nicht vom NDR dazu genutzt wird, feste Beschäftigung abzubauen. Schützen sollen hier eine Klarstellung der Aufgaben von Festen und Freien, eine Klarstellung der Rechtsposition von Freien im Tarifvertrag und die Regelungen über die erweiterte Beteiligung des Personalrats in der Personalplanung (erweitert im Blick auf die Beschäftigung von Freien im Verhältnis zu Festen).
  • Mehr als ein Schönheitsfehler ist auch, daß die neuen sozialen Schutzbestimmungen, die von der Dauer und dem Umfang der Beschäftigung abhängig sind, sich erst in der Zukunft aufbauen werden. Die Anrechnung der bisherigen Beschäftigungszeiten von Freien war nicht durchzusetzen, wenn man davon absieht, daß für alle Freien, die am 01.01.1996 mindestens zwei Jahre als Freie regelmäßig beschäftigt waren, von Anfang an ein Anspruch auf Übergangsgeld in der Höhe von drei durchschnittlichen Monatshonoraren gilt bei Beendigung oder wesentlicher Einschränkung der Beschäftigung (konkurrierend bleiben die im bisherigen Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen bestimmten Ankündigungsfristen in Kraft).

Was das Herzstück, die soziale Absicherung Freier anlangt, so ist eine Regelung erreicht worden, die vorsieht, daß nach zweijähriger regelmäßiger Beschäftigung ein Freier bei Beendigung der Zusammenarbeit durch den NDR einen Anspruch auf ein Übergangsgeld hat, das nach Beschäftigungsdauer von drei durchschnittlichen Monatshonoraren in den ersten 5 Jahren (siehe oben) auf fünf bis zum 8., danach für jedes Jahr um ein durchschnittliches Bruttomonatshonorar wächst (nach 12 Jahren also neun durchschnittliche Bruttomonatshonorare, nach 15 Jahren zwölf und so fort.). Werden weitere Aufträge erteilt und angenommen, erfolgt zwar eine Verrechnung, aber dafür entsteht der Anspruch neu und rechnet sich erneut nach der endgültigen Beendigung der Beschäftigung. Anders als bei den bisher geltenden Ankündigungsfristen kann der NDR also die Zusammenarbeit nur beenden, wenn er über das Ende der tatsächlichen Zusammenarbeit hinaus Zahlungen leistet, die dem Freien eine Möglichkeit geben sollen, sich um andere Auftraggeber zu bemühen und auch andere Aufträge anzunehmen, ohne von seinem bisherigen Verdienst gleich abgeschnitten zu sein.

Wegen der angeführten Mängel nicht ohne Zweifel und Bedenken, aber letztlich doch in Überzeugung, einen Schritt in die richtige Richtung zu tun, hat die zuständige Tarifkommisssion der Fachgruppe Rundfunk/Film/AV-Medien dem Verhandlungsergebnis zugestimmt.

 

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