„Rhein-Zeitung“: Erfolgreicher Streik

Nach der Tarifflucht: Tarife vorläufig gesichert

Im Mittelrhein-Verlag sowie bei den Tochterfirmen Informa und VMV wird es auch künftig verläßliche Tarife geben.

Am 11. Juni 1996 um 21 Uhr waren die Beschäftigten der Technik und der Redaktionen in den Ausstand getreten.

Die IG Medien und der DJV hatten zu einem 24stündigen Warnstreik aufgerufen, nachdem Geschäftsführer Twer auf der Betriebsversammlung am gleichen Tage erklärt hatte, er werde mit den Gewerkschaften keinen Haustarifvertrag abschließen. Er wolle allein entscheiden, an welchen Stellen gespart werde. Was dies heißen sollte, machte er auch deutlich: 4 Mio. DM durch den Abbau freiwilliger sozialer Leistungen und weitere 4 Mio. DM durch verschlechterte Konditionen bei Neueinstellungen. Zunächst einmal. Vor allem aber wurde deutlich, daß die Zusage der Geschäftsführung vom 5. Juni, daß weiterverhandelt werde, nichts wert war. Berechtigter Zorn der Belegschaft war die Folge!

Noch während des Warnstreiks votierten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Journalisten und Texterfasserinnen, Setzer und Drucker, Druckereihelfer/innen und Versandarbeiter/innen, Redaktionssekretärinnen und Verwaltungsangestellte des Mittelrhein-Verlages während der Streikversammlung am Mittwoch, 12. Juni 1996, bei einer Urabstimmung für Streik: 98 Prozent sagten „Ja!“. Zunächst galt eine erste Befristung bis Samstagmorgen, 6 Uhr.

Während der Streiktage gingen eine ganze Reihe von Solidaritätsbekundungen im Streiklokal ein. Vertreter von Bruder- und Schwestergewerschaften besuchten die Kolleginnen und Kollegen des Mittelrhein-Verlages im Streiklokal. Grußbotschaften von Betrieben der Druckindustrie aus ganz Deutschland gingen ein, ebenso von Betrieben anderer Branchen. Auch Politiker bekundeten ihre Sympathie mit den Streikenden wie MdB Hans Wallow (SPD) oder der rheinland-pfälzische Finanzminister und Landtagsabgeordnete Gernot Mittler. Der Hauptvorstand der IG Medien schickte ebenso eine Solidaritätsadresse wie der Bundesvorstand des DJV.

Am Freitagnachmittag in der Streikversammlung: die Entscheidung, ob weiter gestreikt werden soll. Fast einstimmig stimmten die Streikenden für die Fortsetzung des Streiks und befristeten ihn dieses Mal bis Mittwoch, 19. Juni 1996, 6 Uhr. Und dann wurde die Nachricht überbracht, daß die Geschäftsleitung des Mittelrhein-Verlages signalisiert hatte einzulenken. Für 17.30 Uhr wurden Verhandlungen angesetzt.

Das Ergebnis: Noch im Monat Juni 1996 wird per Haustarifvertrag abgesichert, daß alle bislang gültigen Tarifverträge weiterhin Anwendung finden. Die Lohn- und Gehaltserhöhungen des Jahres 1996 werden übernommen; alle Tarifverträge gelten auch für Mitarbeiter/innen, die ab 1. Juli 1996 in das Unternehmen eintreten. Der Wermutstropfen: Für Neueintritte ab 1. Juli 1996 gelten die jeweiligen Entgelttarife, es sei denn, die Parteien des Arbeitsvertrags vereinbaren etwas anderes. Diese Regelung ist allerdings befristet und wird bis Ende dieses Jahres unter Aufsicht des Betriebsrates angewandt.Und ein weiteres wurde erreicht: Gemäß dem Vorschlag der Gewerkschaften vom 29. April 1996 wird die Verlagsleitung mit der IG Medien und dem DJV unverzüglich Verhandlungen über folgende Gegenstände aufnehmen: Arbeitszeitgestaltung, Entgelttarifvertrag, Arbeitsplatzsicherung, Regelungen für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten sowie für Teilzeitarbeitskräfte in der Weiterverarbeitung, Vereinheitlichung der Regelwerke. Dies alles soll bis zum 31. Dezember 1996 abgeschlossen sein.

Die Streikenden nahmen in einer kurzfristig anberaumten Streikversammlung am Samstag, 15. Juni 1996, dieses Ergebnis ihres Arbeitskampfes mit überwältigender Mehrheit an. Sie hatten ihr Ziel erreicht: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Mittelrhein-Verlages werden auch in Zukunft das im Grundgesetz festgestellte Recht wahrnehmen können, ihre Interessen von ihren Gewerkschaften vertreten zu lassen. Das Ergebnis stellt sicher, daß im Mittelrhein-Verlag und in den Firmen Informa und VMV die Arbeitsbedingungen auch künftig auf der Grundlage verbindlicher Tarifverträge geregelt werden.

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gleichstellung im Journalismus

Lag vor 10 Jahren der Frauenanteil im Journalismus noch bei knapp über 40 Prozent, sind mittlerweile 44 Prozent der Journalist*innen weiblich. Das hat das Leibniz-Institut für Medienforschung ermittelt. In wenigen Jahren kann man möglicherweise von einem Gleichstand sprechen, was die Anzahl der Journalistinnen betrifft. Doch Frauen verdienen auch in den Medien noch immer weniger als Männer. Politischer und gewerkschaftlicher Druck sind noch immer notwendig.
mehr »

Danica Bensmail: „Widerstände spornen an“

Danica Bensmail hat am ersten März das Amt der dju-Bundesgeschäftsführung übernommen. Ein Gespräch mit „der Neuen“ über kaltes Wasser, die Bedeutung von Paarhufern für Diversity in den Medien und Treppengeländer. Danica Bensmail ist erst wenige Wochen im Amt – eine kleine Ewigkeit und ein Wimpernschlag zugleich. „Die ersten 48 Stunden waren ein wenig wie der sprichwörtliche Wurf ins kalte Wasser“, sagt Danica und lacht. Aber alles halb so wild, so eine Abkühlung belebe schließlich die Sinne.
mehr »

Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.
mehr »