Tarifpolitik im privaten Rundfunk vor schwierigen Herausforderungen

Vom schwierigen Neuland der IG Medien (Teil IV)

Ergebnisse von Eisenach Anfang April 98 – Tagung Tarifausschuß Privater Rundfunk der IG Medien mit DAG und DJV

Die Tarifpolitik für die Beschäftigten im privaten Rundfunk steht vor neuen und schwierigen Herausforderungen. Nach einer Phase der Konsolidierung, in der es vor allem um die betriebliche Umsetzung der neuen Mantel- und Entgelttarifverträge ging, steht die Bewältigung zahlreicher ungelöster Fragen von der Altersversorgung bis hin zur Volontärsausbildung und den Honoraren für die Freien an. Größtes Problem ist allerdings die geringe Tarifbindung. In vielen Privatfunkunternehmen und bei ihren Zulieferern gibt es überhaupt noch keinen Tarifvertrag.

Die bundesweiten und regionalen Tarifverträge für den Privatfunk haben seit 1991 in weiten Teilen der Branche für die Beschäftigten Mindeststandards gesetzt. Sowohl die Einkommen als auch die übrigen Arbeitsbedingungen können in den tarifgebundenen Unternehmen nicht mehr rein willkürlich festgelegt werden. Dabei muß in Erinnerung gerufen werden, daß dies beileibe keine Selbstverständlichkeit ist und auch kein Geschenk der Unternehmen: Erst der über achtwöchige Streik der Kolleginnen und Kollegen des Lokalfunks in Nordrhein-Westfalen machte 1993 bundesweit den Weg frei für den Abschluß akzeptabler Entgelttarifverträge.

Parallel zur Einführung der Tarifverträge auf Bundesebene (regionale und bundesweite Sender) und in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern (Lokalfunk) hat sich in den letzten Jahren allerdings auch eine gegenläufige Entwicklung gezeigt. In den neuen Bundesländern haben sich reichweitenstarke Hörfunkunternehmen etabliert, die sich bislang erfolgreich jeder Forderung nach der Aufnahme von Tarifverhandlungen widersetzt haben. In den alten Bundesländern ist die Zahl der Beschäftigten, die unmittelbar unter den Geltungsbereich der Tarifverträge fallen, durch die Outsourcing-Politik der großen Anbieter gesunken. Unternehmen wie SAT.1 und RTL sind mit ihren Kernbetrieben zwar Mitglieder des Tarifverbands Privater Rundfunk (TPR), doch sie repräsentieren nur noch einen kleinen Teil der Beschäftigten. Den jeweiligen „Stammbelegschaften“ mit ca. 700 bis 800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stehen weitaus mehr Beschäftigte in ausgelagerten Betriebsteilen gegenüber, die keinen Rechtsanspruch auf die Anwendung der Tarifverträge haben. Noch größere Dimensionen nimmt der tariflose Bereich im privaten Rundfunk an, wenn die Zulieferbetriebe, die technischen Dienstleister und die freien Kolleginnen und Kollegen in die Überlegungen miteinbezogen werden – was dringend geboten ist. Die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die als Freie allein auf ihre Einzelkämpferqualitäten angewiesen sind, dürfte inzwischen fünfstellig sein.

Kein Grund zur Selbstzufriedenheit

Die IG Medien kann und darf sich nicht damit zufrieden geben, daß für einen Teil der Beschäftigten eine „tarifvertragliche Grundversorgung“ erreicht worden ist. Der Erhalt und der Ausbau der Tarifverträge wird davon abhängen, ob und in welchem Umfang die gesamte Branche mit allen Beschäftigten – festen wie freien – einbezogen werden kann. Alle Erfahrungen aus anderen Bereichen zeigen, daß der Druck, der von den meist schlechteren Bedingungen der tariflosen Betriebe ausgeht, auch das Tarifniveau verschlechtert.

Tarifverträge fallen nicht vom Himmel. Sie müssen von den Beschäftigten gewollt und notfalls erkämpft werden. Dies ist nur mit mehr Mitgliedern und auf der Grundlage stabiler gewerkschaftlicher Strukturen in den Betrieben möglich. Die IG Medien kann den Ausbau der Tarifpolitik für den privaten Rundfunk deshalb nur vor diesem Hintergrund betreiben.

Konkrete Überlegungen dazu haben die Kolleginnen und Kollegen des Tarifausschusses Privater Rundfunk angestellt. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Tarifkommissionen von DAG und DJV wurde Anfang April 1998 in Eisenach ein Katalog von Maßnahmen verabschiedet, mit denen die skizzierten Ziele erreicht werden sollen. Dazu gehören z.B. betriebliche „Patenschaften“ durch tarifgebundene Belegschaften für tariflose Betriebe und die enge Zusammenarbeit der Betriebsräte. Verabredet wurde zudem eine bundesweite Sozialdatenerhebung für die gesamte Branche: Einkommens- und Arbeitsbedingungen bei tarifgebundenen und tariflosen Privatfunkunternehmen und technischen Dienstleistern sowie die Honorare der freien Kolleginnen und Kollegen sollen erfaßt und verglichen werden.

Vieles ist noch ungeregelt

Inhaltlich wird sich die Tarifpolitik der IG Medien in den nächsten Jahren mit einer breiten Themenpalette beschäftigen. Als eine der wichtigsten Forderungen, neben der Sicherung der Einkommen, kristallisiert sich in den derzeitigen Diskussionen die Schaffung einer tarifvertraglichen Zusatz-Altersversorgung heraus. Viele Beschäftigte, die sich in den letzten zehn Jahren mit Elan und Engagement dem Aufbau der Sender und der Programme gewidmet haben, erkennen jetzt die Lücken in ihrer Altersabsicherung. Die IG Medien sieht hier die Privatfunkunternehmen in der Pflicht, einen Beitrag für eine zusätzliche Altersversorgung zu leisten. Eine weitere Verzögerung ist nicht zu vertreten, wenn für die „Pioniere“ noch eine akzeptable Regelung geschaffen werden soll, wie sie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und bei der Presse seit langem selbstverständlich ist. Auch für ihre Führungskräfte haben die Privatfunkunternehmen in dieser Hinsicht im übrigen längst vorgesorgt.

In allen Tarifgebieten überfällig ist die Tarifierung der Honorare von freien Kolleginnen und Kollegen. Insbesondere im Lokalfunk ist die Bezahlung der Freien miserabel, sie sind in einer ähnlich schlechten Situation wie ihre freien Kolleginnen und Kollegen bei den Tageszeitungen. Was aber nicht verwundert: Die Arbeitgeber sind weitgehend identisch.

Unteregelt sind auch weitere wichtige Themen. Die Urheberrechtsproblematik ist noch immer ungelöst und verschärft sich durch die Internetaktivitäten vieler Sender. Auch die Volontärsausbildung muß tarifvertraglich geregelt und vereinheitlich werden. Für die IG Medien steht zudem im Bereich TPR noch immer ein „Konstruktionsfehler“ im Entgelttarifvertrag zur Korrektur an: Die Lücke zwischen den Gehältern der kaufmännischen und technischen Angestellten und den Gehältern der Redakteurinnen und Redakteure beim bundesweiten Fernsehen muß geschlossen werden. Tarifliche Einkommensunterschiede von bis zu 500 DM für gleichwertige Tätigkeiten sind nicht akzeptabel.

Von Arbeitgeberseite (TPR) bereits angekündigt ist die Forderung nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Hier sollen noch in diesem Jahr Gespräche der Tarifvertragsparteien stattfinden.


  • Manfred Moos
    (Abteilung Tarif- und Betriebspolitik beim Hauptvorstand der IG Medien)
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