Verleger fordern Geld von Redakteuren

Tarifrunde an Tageszeitungen: Frontalangriff abwehren

Am 10. Oktober startete die Tarifrunde für die annähernd 15 000redakteurinnen undredakteure an den bundesdeutschen Tageszeitungen sowie die Freien. Verhandelt werden sowohl Gehälter und Honorare als auch dieregelungen des Manteltarifvertrages (MTV). Die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage zwänge zu „Korrekturen“ in der Tarifpolitik, hieß es auf Verlegerseite zu Verhandlungsbeginn.

Der Forderungskatalog, den der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf den Tisch legte, ist ein Frontalangriff auf bisherige Tarifstandards und zielt auf mehrfaches kräftiges Abkassieren. Die Gewerkschaftsseite, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di und der Deutsche Journalistenverband (DJV), willrechtssicherheit für die Beschäftigten und branchenübliche Einkommenssteigerungen erreichen.

Über Verhandlungsstrategien sprach «M» mit dem Mitglied der Tarifkommission Malte Hinz.

«M»: Die Arbeitgeber wollen die Gunst der Stunde und die allgemeine Kahlschlag-Stimmung nutzen, um massive Verschlechterungen sowohl beim Manteltarifvertrag als auch bei den Gehältern durchzusetzen. ver.di sieht die laufende Tarifrunde deshalb vorrangig als Abwehrkampf. Was heißt das konkret?

Malte Hinz: Die Tageszeitungsverleger haben deutlich gemacht, dass die von ihnen ausgesprochene Kündigung des Manteltarifvertrages fürredakteurinnen undredakteure kein taktisches Manöver war. Vielmehr sind sie mit ihren Forderungen nach Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden, der Streichung von Urlaubstagen auf maximal 30 Tage und der Kürzung des Urlaubsgeldes auf 68 Prozent tatsächlich wild entschlossen, Arbeitsbedingungen dauerhaft zu verschlechtern und die Kolleginnen und Kollegen in denredaktionen auch materiell ordentlich über den Tisch zu ziehen. Darüber hinaus koppeln die Verleger ihren Angriff auf Eckpfeiler der Verfassung unseres Berufes auch noch mit der Forderung nach einer weiteren Kappung der Berufsjahrestaffel im Gehaltstarifvertrag. Von daher ist doch klar: Wenn man diese tarifpolitischen Unverschämtheiten verhindern will, muss man zunächst einmal einen sicher außerordentlich harten Abwehrkampf führen. Aber dabei darf es natürlich nicht bleiben.

«M»: Sondern?

Malte Hinz: Wenn die Verleger den Manteltarifvertragradikal verändern wollen, dann müssen wir ihnen in aller Deutlichkeit sagen, welche Änderungen wir, die Beschäftigten in denredaktionen, am Mantel für notwendig halten. Dies ist politisch notwendig, das gebietet die Selbstachtung – und darauf sind wir auch vorbereitet.

«M»: Die Verleger wollen den Beschäftigten offenbarrichtig ans Geld. Durch die geforderten Einschnitte – so hat die Gewerkschaft ausgerechnet – gingen einem „Durchschnittsredakteur“ jährlich etwa 10.000 Euro verloren…

Malte Hinz: Das ist korrekt. Allein der von den Verlegern geforderte Wegfall der Stufe 15. bis 19. Berufsjahr im Gehaltstarifvertrag würde für viele Kolleginnen und Kollegen im Laufe ihres Arbeitslebens Einkommensverluste in einer Größenordnung von über 80.000 Euro bedeuten. Darüber hinaus soll es ein Drittel weniger Urlaubsgeld geben und eine Gehaltserhöhung, die vermutlich gerade einmal die Inflationsrate erreicht. Aber davon mal abgesehen – es kann noch viel schlimmer kommen: Angesichts der Krisengewinnler-Mentalität, die sich in den Verlagsleitungen breit gemacht hat, steht zu befürchten, dass eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu einem weiteren Abbauredaktioneller Arbeitsplätze genutzt würde.

«M»: Fast alle großen Zeitungsverlage haben bis etwa vor drei Jahren kontinuierlich geboomt. Die Expansion in den (ost)europäischen Markt hält an und um vieleregionale Zeitungsverlage werden von deutschen Verlagenregelrechte Bieterschlachten zelebriert. Sind die Forderungen der Verleger vor diesem Hintergrund nicht einfach schamlos?

Malte Hinz: Das wäre noch eine allzu freundliche Formulierung. Selbstverständlich haben die Zeitungshäuser viele Jahre lang unglaublich gut verdient. Und diejenigen Manager, die ihr Geschäft verstehen, die ihre Häuser frühzeitig auch auf schlechtere Zeiten vorbereitet und die Millionen nicht in glänzende Verlagspaläste, Überkapazitäten und Prestigeprojekte versenkt haben, verdienen auch heute nochrichtig gut. Ein Beispiel dafür ist die WAZ-Mediengruppe. Deren Geschäftsführung ließ dieser Tage verlauten, dass das Unternehmen auch im Krisenjahr 2002 fast 2 Milliarden Euro Umsatz gemacht und – was natürlich viel wichtiger ist – eine Umsatzrendite im zweistelligen Prozentbereich erwirtschaftet habe. Und es gibt noch einereihe anderer erfolgreicher Zeitungshäuser, die vor Geld kaum laufen können. Dennoch darf natürlich nicht ignoriert werden, dass die Einbrüche im Anzeigengeschäft einereihe Tageszeitungsverlage in Schwierigkeiten, manche sogar in existenzielle Nöte gebracht haben. Dass der BDZV nun jedoch diese Situation nutzen will, um Tarifdumping übelster Art zu betreiben, ist mindestens schamlos. Unter anderem deshalb, weil der Verlegerverband damit ausschließlich die Karte derer spielt, die er selbst für die zunehmende Pressekonzentration verantwortlich macht. Und das sind diejenigen Verlage, denen es – wie der WAZ-Gruppe – ohnehin nicht schlecht geht und die sich mit dem angestrebten Tarifergebnis die Kasse fürs operative Geschäft weiter füllen. Und damit geht es dann auf Einkaufstour – auf dem osteuropäischen Markt im übrigen ebenso wie zu Hause.

«M»: In denredaktionen sind in den letzten drei Jahren 14 Prozent der Arbeitsplätze eingespart worden. Die Arbeitsverdichtung für die Verbliebenen wollen die Verleger jetzt mit Arbeitszeitverlängerung kurieren. ver.di will Beschäftigungssicherung. Die Quadratur des Kreises?

Malte Hinz: Natürlich passt das nicht zusammen. Gerade diese Forderung nach einer Verlängerung der Arbeitszeit ist Ausdruck der Krise in den Köpfen der Verleger. Arbeitszeitverlängerung ist geeignet, den Personalabbau in den Verlagen noch zu beschleunigen.

Wir wollen dagegen eine tarifvertraglicheregelung zur Beschäftigungssicherung, die den nachweislich in wirtschaftliche Not geratenen Verlagen die Möglichkeit eröffnet, Arbeitsplätze und damit auch journalistische Kompetenz zu erhalten. Und das geht – das hat die Praxis doch längst gezeigt – sinnvoller Weise zunächst einmal auf dem Weg der kollektiven Arbeitszeitverkürzung.

Im übrigen kenne ich aus meiner betrieblichen Praxis keineredaktion, bei der weitere Arbeitsverdichtung, weiterer Stellenabbau nicht auch zu einem spürbaren Verlust journalistischer Qualität führen würde. Die Menschen in denredaktionen arbeiten längst an ihrer Belastungsgrenze. Arbeitszeitverlängerung würde diese Belastung ebenso wie den ohnehin hohen Grad an Selbstausbeutung weiter steigern. Wir brauchen also keine Verlängerung der Arbeitszeit, sondern vielmehr die Möglichkeit, unsere Arbeitszeit souveräner zu organisieren. Beispielsweise, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser als bisher zu gewährleisten. Dazu gehören sicher auch intelligente Formen von Teilzeit- und Altersteilzeit-Arbeitsverhältnissen, Sabbatjahr oder die Organisation der Arbeit in einer 4-Tage-Woche.

«M»: Zunehmend werdenredakteursstellen durch Freie und Pauschalisten besetzt, da festeredakteure zu den aktuellen Tarifbedingungen wirtschaftlich nicht tragbar seien. Wie erklärt man der freien Kollegin in derredaktion, dass sie den Kampf um den MTV unterstützen soll?

Malte Hinz: Ich bin nicht sicher, ob man von der freien Kollegin vor dem Hintergrund ihrer sicher nicht immer erquicklichen Erfahrungen mit den Festangestellten eine solche Unterstützung erwarten darf. Wenn man sie dennoch darum bittet, dann vielleicht mit dem Hinweis darauf, dass sich eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Festangestellten allen Erfahrungen nach negativ auf die Freien auswirken würde. In dem Unternehmen, für das ich arbeite, wird zum Beispiel nicht nur durch Einstellungsstopp gespart, sondern gleichzeitig mit einer drastischen Kürzung der Honoraretats für Freie. Außerdem geht es im Verlauf dieserrunde auch um den 12a-Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Freie und um von den Verlagen verlangte Änderungen am Urheberrecht.

«M»: Öffnungsklauseln auf Betriebsebene, die der DJV erneut anbieten wollte, sind den Arbeitgebern offensichtlich nicht ausreichend. Nachhaltige Einschnitte in den MTV sind anvisiert. Man will nicht nur den kleinen Finger, sondern die ganze Hand?

Malte Hinz: Ich hoffe zunächst einmal, dass die DJV-internen Diskussionen über Öffnungsklauseln, die den Betriebsparteien Vereinbarungen über ein Abweichen vom Tarifvertrag ermöglichen würden, endgültig vom Tisch sind. Wir haben jedenfalls deutlich gemacht, dass solche Abweichungen Sache der Tarifvertragsparteien bleiben müssen.regelungen für nachweislich in Schwierigkeiten geratene Unternehmen sind bekanntlich längst auf der Basis geltender Tarifverträge möglich und werden auch praktiziert. Das wissen doch auch die Verleger. Für sie ist daher die Diskussion über Öffnungsklauseln der kleine Finger. Mit den Verschlechterungen im MTV wollen sie sich allerdings die ganze Hand sichern – mit dem Arm dran.

«M»: ver.di fordert, den von der Arbeitgeberseite einseitig gekündigten Manteltarifvertrag wieder in Kraft zu setzen. Die Tarifkommission hat dazu weitergehende Forderungen aufgestellt, die die Verleger nicht sonderlich viel kosten würden, die Debatte aber wieder in inhaltliches Fahrwasser, hin zur Qualitätsdebatte lenken könnten?

Malte Hinz: Richtig! Wir wollen eine Gehalts- und Honorarerhöhung in der Größenordnung der Abschlüsse in der übrigen Medienwirtschaft, wir wollen einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, wie er beispielsweise in Druckereien und Verlagen bereits gilt, und wir wollen die Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrages, um für die Beschäftigten endlich wiederrechtssicherheit herzustellen.

Handlungsbedarf sehen wir neben einer Wiederanhebung der Jahresleistung auf 100 Prozent und der längst überfälligen Anhebung des Sonntagsantrittsgeldes beispielsweise auf dem Feld der Weiterbildung. Wir brauchen eine Qualitätsoffensive und wollen daher mit dem BDZV über einen eigenständigen Weiterbildungs- und Qualifikationstarifvertrag verhandeln. Und der würde die Zeitungshäuser tatsächlich nicht sonderlich viel kosten.

«M»: Und was istrealistischerweise in der Gehaltsfrage zu erwarten?

Malte Hinz: Etwa 1,5 Prozent, also gerade mal ein Ausgleich der Inflationsrate. Dies gilt im übrigen auch für die Honorare für arbeitnehmerähnliche Freie.

«M»: Mit ähnlich groben Klötzen wie bei derredakteursrunde warten die Verleger inzwischen bei denregionalen Verhandlungen für die Verlagsangestellten auf. Sollten auch die Gewerkschaften künftig den Knigge im Schrank lassen?

Malte Hinz: Ich halte viel von guter Erziehung und entsprechenden Umgangsformen. Vor allem dann, wenn sie nicht davon abhalten Unverschämtheiten, Maßlosigkeiten, Krisengewinnler-Mentalität der Verleger als solche zu benennen und sich mit ihnen auch entsprechend auseinander zu setzen. Im übrigen wusste bereits Knigge, dass auf einen groben Klotz ein ebensolcher Keil gehört …

«M»: Dass „mehr auf dem Spiel steht als einige Klauseln in einem nationalen Tarifvertrag“, betont die Europäische Journalistenföderation. Sie sieht enorme Auswirkungen dieser Tarifrunde im EU-Maßstab und darüber hinaus. Für ver.di eher Bestätigung oder zusätzliche Belastung?

Malte Hinz: Keine Belastung, sondern eher Bekräftigung unserer Auffassung, dass die Internationalisierung des Handelns deutscher Zeitungsverlage natürlich Auswirkungen auf nationale Tarifverhandlungen haben muss. Und deshalb ist es doch nur folgerichtig, wenn Aidan White als Generalsekretär der Europäischen und der Internationalen Journalistenförderation die aktuellen tarifpolitischen Einlassungen des BDZV als einen von Gier, Heuchelei und Egoismus getragenen Angriff auf die sozialen Standards des deutschen Journalismus geißelt.

Eines noch: Auch die dju in ver.di wird sich noch stärker als bisher dieser zumindest europäischen Dimension stellen und ihre Arbeit darauf ausrichten müssen. Die laufenden Bemühungen um die Bildung weiterer Europäischer Betriebsräte ist nur ein Hinweis darauf, dass dies bereits verstanden worden ist.

Das Gespräch führte Helma Nehrlich

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