Bundesverfassungsgericht prüft Zusammensetzung der ZDF-Gremien
Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), Vorsitzender des nach ihm benannten konservativen Freundeskreises beim ZDF-Fernsehrat sprach in treuherzigem Ton. Nein, es gebe im Gremium kein Diktat der Politik: „Das ist völlig abwegig.“ Von der Pressetribüne war Gelächter zu hören. So geschehen in der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen ZDF am 5. November in Karlsruhe.
Die Taktik, die Rolle der politischen Parteien in den Gremien des ZDF möglichst klein zu reden, war eine der auffälligsten Verhaltensweisen im Gerichtssaal. Es ging um die Frage, ob die Gremien des ZDF im Geiste der Verfassung besetzt sind oder ob sie von der Politik dominiert werden. Geklagt hatte das Land Rheinland-Pfalz, gefolgt von Hamburg. Da der frühere Ministerpräsident Kurt Beck seit langen Jahren Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats ist, in dem gleich fünf Ministerpräsidenten sitzen, hatte er sozusagen gegen sich selbst geklagt. Die Verteidiger des ZDF-Modells trugen vor, dank des Föderalismus neutralisierten die Staats- und Parteienvertreter sich von selbst. Die Position des ZDF wurde mitgetragen von den Ländern Sachsen, Bayern und Hessen – nicht zufällig Länder mit Sendeanstalten, in deren Gremien auch Vertreter des Staatsapparats sitzen. Es handelt sich dabei übrigens auch um Gremien mit unterdurchschnittlicher Frauenquote.
Der Medienrechtler Wolfgang Schulz trug vor Gericht die Einwände gegen die Gremienpraxis vor. In beiden Aufsichtsgremien sei die Anzahl der staatsnahen Personen zu groß, das verstoße gegen das Gebot der Staatsferne. Auch die weiteren Mitglieder etwa der gesellschaftlichen Gruppen seien von der Zustimmung der Ministerpräsidenten abhängig. Zudem fehle es an Unvereinbarkeitsregeln, die verhindern sollen, dass Berufspolitiker auf den Positionen gesellschaftlicher Gruppen in die Gremien einrücken.
Fragwürdige Freundeskreise
Die Richter waren in diesem Punkt gut informiert. Der Berichterstatter des Ersten Senats Johannes Masing, zählte fünf Namen aktueller und früherer Mitglieder auf, die Europa-Abgeordneten Angelika Niebler und Doris Pack sowie die Landtagsabgeordneten Holger Zastrow, Katrin Budde und Ralf Holzschuher: „Können wir erfahren, für welche gesellschaftliche Gruppe sie stehen?“ und „Wissen die entsendenden Gruppen das überhaupt?“ Holger Zastrow zum Beispiel, im sächsischen Landtag Fraktionsvorsitzender der FDP, sitzt im Fernsehrat mit dem Ticket der gesellschaftlichen Gruppen, nicht der FDP. Was den Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Johannes Beerbaum, zu der Bemerkung veranlasste, Zastrows Arbeit als Fraktionsvorsitzender sei eigentlich nur der Nebenjob!
Irgendwann schien das auch den Karlsruher Richtern zu viel zu werden. Eine Richterin fand, fast in der Diktion des Schriftstellers Elias Canetti, sie hätten es hier mit einem Fall von „Kleinredung“ zu tun. Alles würde hier so dargestellt, als handle es sich beispielsweise bei den Freundeskreisen um eine „unpolitische Vereinigung“. Ohnehin interessierten die Richter sich sehr für Arbeitsweise dieser parteipolitisch organisierten Freundeskreise, die sich jeweils am Tag vor den Sitzungen des ZDF-Fernsehrats treffen und in denen schon viele Vorabsprachen getroffen werden. Im ZDF-Fernsehrat agieren zwei solcher Freundeskreise. Der etwas größere von CDU/CSU und der etwas kleinere der SPD. Der ZDF-Intendant erscheint regelmäßig beim schwarzen, sein Stellvertreter beim roten Freundeskreis.
Solche Organisationsformen sind in keinem Rundfunkgesetz vorgesehen. Sie bilden eine informelle Struktur, die den Parteien Einfluss auf die Gremienarbeit sichert. Warum es denn überhaupt diese Freundeskreise gäbe, wollte ein Richter wissen. Die Antwort von Johannes Beerbaum, so simpel wie blamabel: „Weil das schon immer so war“. Schließlich seien sie auch nicht verboten. Franz-Josef Jung ließ wissen, die Freundeskreise träfen sich ohnehin im gleichen Hotel und spätestens ab 23 Uhr wüssten die einen von den Verabredungen der anderen. Alles einfach nur gemütlich. Richter Masing befand, an den Einlassungen zu diesem Thema müssten Organisationssoziologen die hellste Freude haben.
Ein anderer Aspekt, dem die Richter größere Aufmerksamkeit schenkten, waren die Ausschüsse. Im Fernsehrat des ZDF arbeiten sechs Ausschüsse, von denen der Ausschuss Chefredaktion und der Programmausschuss die begehrtesten sind. Hier wird die wesentliche Gremienarbeit geleistet. Die Richter stellten fest, dass vier von sechs Ausschussvorsitzenden staatsnah zu verorten sind und ließen erkennen, dass sie auch das für ein Zeichen von unzulässiger Parteidominanz halten.
Ein interessanter Aspekt dieser Verhandlung: Die Vorgeschichte kam gar nicht zur Sprache. Der Name Nikolaus Brender fiel nicht. Seine Entlassung im Jahre 2009 auf Betreiben des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch war immerhin der Auslöser der Normenkontrollklage. Vielleicht zeigt das nur, dass das Gericht nach vorne blicken will. Der Klagevertreter von Rheinland-Pfalz sprach in seiner Begründung freilich immer nur von Risiko und Risikovorsorge, nicht vom harten Faktum des Falls Brender.
Politische Borniertheit
Fragen könnte man auch, weshalb es so lange gedauert hat, bis die Causa überhaupt von den Richtern verhandelt wurde. Es lässt sich vermuten, dass sie der Politik noch die Chance geben wollten, die Frage der Gremienbesetzung politisch zu lösen. Wozu aber offenbar die CDU/CSU-Mitglieder unter den Gremienmachthabern nicht in der Lage waren, aus Furcht, dann an Einfluss zu verlieren. Mit welcher politischen Borniertheit man es da zu tun hat, das konnte man bei der Verhandlung an ihrer defensiven Verteidungslinie ablesen und an der ziemlich peinlichen Argumentationsführung.
Entscheiden wird das Bundesverfassungsgericht erst im kommenden Jahr. Die Richter ließen aber ziemlich genau erkennen, in welchen Punkten sie den ZDF-Staatsvertrag für reformbedürftig halten. Man kann vermutlich damit rechnen, dass sie eine nominelle Beschränkung für die Zahl der Staats- und/oder Parteienvertreter vorlegen werden, vielleicht sich sogar orientieren an Sendern wie dem WDR, NDR und neuerdings SWR, in denen die Anwesenheit von Vertretern der Exekutive ausgeschlossen ist. Sie werden wahrscheinlich fordern, dass die gesellschaftlichen Gruppen ihre Vertreter direkt benennen dürfen, anstelle der bisherigen Praxis, nach der die Ministerpräsidenten sie aus einem Dreiervorschlag auswählen. Denkbar auch, dass sie sich ziemlich deutlich zu den politischen Freundeskreisen äußern.
Weiterer Reformbedarf
Von der Tiefe der Entscheidung, aber auch von der öffentlichen Wahrnehmung wird dann allerdings abhängen, ob die Gremien-Diskussion am ZDF hängen bleibt. Das wäre fatal. Denn erstens ist auch in einigen ARD-Sendern durchaus Reformbedarf. Von Hörfunkrat im Deutschlandradio redet zum Beispiel niemand, obwohl hier die Staatsquote durchaus erheblich hoch ausfällt.
Und schließlich ist der Einfluss von Parteipolitikern auf die Arbeit der Gremien nicht nur nominell zu messen. „Die Erfahrung zeigt“, sagte der Medienrechtler Hubertus Gersdorf auf einer Tagung der Otto-Brenner-Stiftung, „ dass (Spitzen-)Politikern kraft ihrer organisatorischen und personellen Ausstattung sowie ihres Bekanntheitsgrades ein vergleichsweise deutlich höheres Gewicht im Rahmen der Willensbildung und Entscheidungsfindung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zukommt.“ Gersdorf zieht daraus den Schluss, dass nach dem Grundsatz der Staatsfreiheit „nicht nur die herrschende, sondern jedwede Repräsentanz staatlicher Vertreter in den Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unzulässig“ sei.