Öffentlichkeit ohne Journalismus

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Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.

Indem Unternehmen, Vereine und Kommunen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit inzwischen zuallererst auf ihre eigenen Kommunikations-Kanäle setzen, verliert der Lokaljournalismus an Bedeutung.

„Der Journalismus ist zwar noch ein wichtiger Akteur, aber seine Rolle als Gatekeeper, der Standards, Normen, Werte und Regeln überwacht, hat er im Grunde verloren – mit weitreichenden Folgen“, sagt Barbara Witte, Professorin für Journalismus an der Hochschule Bremen. Zusammen mit Gerhard Syben vom Forschungsinstitut für Beschäftigung Arbeit Qualifikation (BAQ) hat sie die Studie durchgeführt. „Öffentlichkeit ohne Journalismus? Rollenverschiebungen im lokalen Raum“ ist Anfang November erschienen.

Öffentlichkeit ohne Journalismus?Rollenverschiebungen im lokalen RaumOBS-Arbeitspapier 72 Erscheinungsdatum 31. Oktober 2024

Über qualitative Interviews haben die beiden Forscher zwischen Oktober 2023 und April 2024 16 Organisationen unterschiedlicher Größe nach ihren Selbsteinschätzungen und Handlungsmaximen in der Öffentlichkeitsarbeit befragt. Die Organisationen sind in verschiedenen Regionen Deutschlands angesiedelt. Das Sample deckt Groß- und Mittelstädte sowie einige wenige ländliche Gegenden ab. Zu den Organisationen zählen unter anderem, ein Krankenhaus, ein Tourismusverband, die Vertretungen von zwei Großstädten, eine Initiative für junge, queere Menschen, ein Landjugendverband sowie mehrere Theater, Sport- und Musikvereine.

Kommunikation ohne Presse

Dass sich diese Organisationen inzwischen ein großes Stück weit von den klassischen Lokalmedien abwenden und unabhängiger von ihnen machen, liegt nicht nur an den relativ niedrigschwelligen Möglichkeiten, über die Sozialen Medien und andere digitale Plattformen direkt und zielgruppenorientiert mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten.

Die befragten Organisationen nehmen die klassischen Lokalmedien zwar meist als sinnvolle Ergänzung wahr. So etwa, wenn es um bestimmte Zielgruppen wie wenig internetaffine Senioren geht. Doch da sich die lokalen Medien immer weniger für die Inhalte und Aktivitäten der Unternehmen, Vereine und Kommunen interessiere würden, sehe man sich immer gezwungen, verstärkt auf eigene digitale Kanäle und zum Teil auch auf eigene Mitglieder- oder Kundenpublikationen zu setzen.

Diese Entwicklung führen die Studienautoren vor allem auf die geschrumpften Kapazitäten in den Redaktionen des Lokaljournalismus zurück. Eine verbessertes digitales Angebot, das gerade auch die Social-Media-Plattformen nutzt, halten sie vor diesem Hintergrund für aussichtslos. Insgesamt fürchten die Studienautoren einen selbstverstärkenden Effekt:

„Weil sie wirtschaftlich immer weiter unter Druck geraten, dünnen sie [die Zeitungen] ihre Redaktionen aus, mit der Folge, dass die Berichterstattung leidet. Dadurch werden sie für viele Abonnent*innen und viele Organisationen, Institutionen und Unternehmen uninteressanter, Werbeanzeigen und Abonnements gehen zurück, die Zeitung steht wirtschaftlich noch schlechter da, sie dünnt die Redaktion noch weiter aus – bis sie schließlich aufgeben muss.“

Ohne den früheren Lokaljournalismus nostalgisch zu verklären und sich gegenüber der Notwendigkeit und den Potentialen der Digitalisierung zu verschließen, heben die Studienautoren immer wieder die wichtige gesellschaftliche Bedeutung und Kernkompetenz des seriösen Journalismus hervor: die kritische, auch multiperspektivische Einordnung von Ereignissen und Entwicklungen. Die weitere Schwächung der klassischen Medien im lokalen Kontext betrachten die Studienautoren daher auch als ein demokratiepolitisches Problem – gerade auch, weil es sich bei Outputs der Öffentlichkeitsarbeit im Grunde um Werbung handelt.

Mehr Lokalzeitungen benötigt

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schlagen die Studienautoren anknüpfend an den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger vor, die Verteilung von lokalen Zeitungen vor allem im ländlichen Raum staatlich zu subventionieren sowie die Mehrwertsteuer auch für die digitalen Angebote der Branche zu senken.

Von einer auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgehaltenen Einführung der Gemeinnützigkeit im Journalismus versprechen sich ich die Autoren zwar weniger einen Nutzen für die lokalen Tagezeitungen, aber immerhin eine Stärkung von journalistische Initiativen. Darüber hinaus könne auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk dabei unterstützt werden, nicht nur zu regionalen, sondern vermehrt auch zu lokalen Themen zu arbeiten, um den seriösen Journalismus vor Ort zu stärken.


Mehr dazu im M-Podcast: Wo Lokalzeitungen fehlen, punktet die AfD:

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