Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
In seinen Beschreibungen aktueller Dynamiken zielt der 71-Jährige aufs große Ganze. Kenntnisreich und anschaulich stellt de Weck Entwicklungslinien in der gesamten Medienbranche dar, wie sie sich im Trend zum Personalabbau in den Redaktionen, in erodierenden Gehältern und Honoraren, in der Medienkonzentration, dem Einfluss der globalen Digital-Plattformen oder in populistisch-autoritären „Lügenpresse“-Diffamierungen zeigen. De Wecks Fokus liegt auf Deutschland, in den Blick geraten aber immer wieder auch weitere europäische Staaten und die USA.
In seiner pessimistischen Gegenwartsdiagnose spitzt de Weck zuweilen enorm zu. Mitunter ist das inspirierend für den journalistischen Arbeitsalltag – als Abschreckung. Denn wer will sich etwa vorwerfen lassen, man orientiere sich am „Chefredakteur Google“? Oder dass durch Übertreibung, Auslassung, Skandalisierung und Aufregung ähnliche Stilmittel reproduziert werden wie sie journalismusfeindliche Populist:innen ständig gebrauchen?
Journalismus-Politik und wirkliche Aufmerksamkeit
Um Fehlentwicklungen im Berufsfeld entgegenzuwirken, empfiehlt de Weck jährliche „Gipfeltreffen“ des deutschen Journalismus. Zudem plädiert er stichpunktartig für eine andere, nachhaltigere Aufmerksamkeitsökonomie, die statt auf die flüchtige „Aufmerksamkeitsillusion“ des großen Aufsehens und Aufputschens auf „wirkliche Aufmerksamkeit“ setzt. Kern von de Wecks Argumentation ist allerdings die Forderung nach einer umfassenden staatlichen Journalismus-Politik, die hinausgeht über medienpolitische Vorhaben einzelner Regierungen.
Inspiration findet de Weck in der EU-Gesetzgebung und vor allem in den skandinavischen Ländern, die nicht ohne Grund in Medienfreiheit-Rankings seit Jahren auf den oberen Plätzen zu finden sind. Die zentrale Grundlage für eine deutsche Journalismus-Politik sieht de Weck in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1989, demzufolge der Staat eine Schutzpflicht gegenüber der Presse hat. Zwar dürften, so das Bundesverfassungsgericht, staatliche Förderungen „bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen.“ Doch könne Unterstützung geboten sein, „wenn ohne eine solche Leistung die Aufrechterhaltung eines freiheitlichen Pressewesens nicht mehr gewährleistet ist“.
Medienfreiheitsgesetz umsetzen, Pressefreiheit stärken
Für de Weck bedeutet das zunächst einmal die noch ausstehende Umsetzung des im März 2024 beschlossenen Europäischen Medienfreiheitsgesetz durch die Bundesländer und den Bund. So ließe sich auch ein deutliches Zeichen für den Journalismus und gegen seine autoritären Feinde setzen. Darüber hinaus fordert der Publizist, den Quellenschutz über die Straf- und Zivilprozessordnung zu verstärken und den Deutschen Presserat als Instanz der Selbstkontrolle mit einem Medienmonitoring zu betrauen, mit entsprechend höheren Zuschüssen auszustatten und im Monitoring auch das Thema Medienkonzentration zu berücksichtigen.
Weiterhin könne der Artikel 5 des Grundgesetzes über die Meinungs- und Pressefreiheit, ähnlich wie in Schweden, um eine Bestimmung zum Quellenschutz ergänzt werden. Zudem sollte Artikel 5 das Recht auf Einsicht in behördliche Akten festhalten, das in elf Bundesländern und im Bund bislang noch unzureichend realisiert sei. Der besondere Anspruch von Journalist*innen auf Auskünfte durch Behörden gehöre an sich ins Grundgesetz, so de Weck.
Die gezielte und wirksame Förderung der Medienvielfalt durch erhöhte Investitionen von Bund und Ländern sind für de Weck ebenso selbstverständlich wie die Rolle von Stiftungen betont wird. Diese sollten zwar nicht als Ersatz für mangelndes staatliches Handeln einspringen, könnten aber zum Beispiel Rezensionsseiten und -rubriken wiederbeleben, den internationale Austausch fördern oder eine in Deutschland nach wie vor fehlende große Kulturnachrichtenagentur etablieren. Darüber hinaus plädiert de Weck nach dem Vorbild der österreichischen Digitalsteuer für eine spezifische Abgabe in Höhe von 5 Prozent auf Online-Werbung bei Internet-Konzernen.
Soziale Medien stärker regulieren
In Bezug auf die Regulierung der sozialen Plattformen seien mit dem europäischen Digital Services Act und dem Digital Markets Act erste sinnvolle Schritte getan. Darüber hinaus empfiehlt de Weck, das Posten auf Plattformen nur unter Klarnamen und nach voriger Identitätsüberprüfung zu ermöglichen, ähnlich wie bei Artikeln in journalistischen Medien. Zudem solle eine Transaktionssteuer für Nutzerdaten eingeführt werden, deren Ertrag in die Förderung des Journalismus fließt. In seinen Vorschlägen zur Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk orientiert sich de Weck weitgehend an den vom ihm mitverfassten Empfehlungen des „Zukunftsrates“.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit de Wecks Forderungen Eingang finden in medienpolitische Vorhaben künftiger Bundes- und Landesregierungen. Deutlich wird in „Das Prinzip Trotzdem“ in jedem Fall, was auf dem Spiel steht, wenn der Journalismus es nicht schafft, seine ureigentlichen Aufgaben als Stütze und Korrektur demokratischer Gesellschaften wahrzunehmen.
Empowernd liest sich „Das Prinzip Trotzdem“ leider nur an wenigen Stellen. Das mag auch daran liegen, dass Projekte, Initiativen, Rollenvorbilder oder innovative Formate, die den beschriebenen Entwicklungen entgegenstehen, viel zu wenig Thema sind. Dabei dürfte gerade ein solcher Verweis vor allem junge Menschen dazu motivieren, in die Branche zu gehen, dort zu bleiben und dazu beizutragen, die eingeforderten journalistischen Werte und professionellen Standards zu stärken. Diese Leerstelle verwundert auch deshalb, weil de Weck eigentlich immer wieder betont, wie sehr guter Journalismus von den individuellen Fähigkeiten, dem Talent und auch der gezielten Förderung Einzelner abhängt. Trotzdem bleiben die vielen verschiedenen Wege in den Beruf und vor allem die Journalistenschulen als Nachwuchsschmieden im Buch unberücksichtigt. Diese zu recherchieren, wäre dann wohl eine journalistische Aufgabe.