Medien im Wahlkampf: AfD gepusht

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Wie sollen die Medien mit der AfD umgehen? Keine ganz neue Frage – sie ist so alt wie die AfD selbst – aber eine, die sich vor der Bundestagswahl mit zugespitzter Dringlichkeit stellte. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten hatten sich viel vorgenommen. Schließlich liegen die Fakten seit Jahren auf dem Tisch: Die AfD ist eine im Kern rechtsextreme Partei mit national-völkischer Programmatik. Punkt. Demgegenüber sind ARD und ZDF laut Medienstaatsvertrag bei der Erfüllung ihres Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet, inklusive der Einhaltung elementarer journalistischer Standards.

Aufgrund einschlägiger Erfahrungen mit dreisten TV-Auftritten des AfD-Führungspersonals wollte man diesmal vieles besser machen. Bloß nicht die Rechtsextremen normalisieren! Nur nicht auf ihre reaktionäre und menschenfeindliche Agenda hereinfallen! Nicht über jedes „Stöckchen“ springen, das die Rechten den Reportern hinhalten! Das Ergebnis fällt jedoch eher durchwachsen aus.

AfD-Politiker als Dauergäste

Schon im Superwahljahr 2024 war die AfD Dauergast in den einschlägigen Gesprächsrunden der Miosga-Illner-Lanz-Maischberger-Klamroth gewesen. Ein Eindruck, der sich in diesem Wahlkampf multiplizierte. Der Overkill an Duellen, Triellen, Quadriellen etc. ließ in der Endphase Erschöpfung und Überdruss aufkommen. Dass Chrupalla und Weidel immer wieder in diesen Formaten auftauchten, ließ sich zwar kaum vermeiden. Ob letztere aber permanent als „Kanzlerkandidatin“ apostrophiert werden musste? Spitzenkandidatin hätte auch gereicht. Inzwischen dürfte das TV-Publikum sich an die Gesichter gewöhnt haben. Das nennt man Normalisierung.

Wie befürchtet, verbreiteten die rechten Kommunikationsprofis systematisch Lügen, Halbwahrheiten, Desinformation. Manches konnte richtiggestellt werden. Aber zu oft blieben Falschaussagen einfach so stehen. Speziell in Live-Runden mit bis zu einem halben Dutzend Protagonist*innen fehlte meist die Zeit für Einordnung und Kontextualisierung. Das Dilemma mit erst einen Tag später nachgelieferten Faktenchecks ist bekannt. Die durchaus mögliche Überprüfung von Falschaussagen schon während der Sendung wurde kaum genutzt. Im „Boxring der Demokratie“, wie der Welt-TV-Chef Burgard mal eine kontroverse Debatte der Thüringer Spitzenkandidaten Voigt und Höcke nannte, erlitt allzu oft die Wahrheit einen Knockout.

Vor rechtem Agenda-Setting kapituliert

Speziell in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs kapitulierten die Öffentlich-Rechtlichen vor dem Agenda-Setting der Rechten. Spätestens mit dem Anschlag von München und der dadurch ausgelösten hysterischen Debatte über innere Sicherheit mutierte die Migration gefühlt zum alles beherrschenden Wahlkampfthema. Klimakrise, Gaza-Krieg – war da was? Die Analyse eines Dutzend reichweitenstarker Wahlsendungen im Zeitraum vom 6.-23. Februar ergab: Selbst für das Tempolimit auf deutschen Autobahnen interessieren sich die deutschen TV-Sender zur Wahlkampfzeiten mehr als für Probleme des Globalen Südens. Ein klarer Fall von Medienprovinzialismus.

Nicht nur mit der Themensetzung, auch mit ihren sattsam bekannten Hetztechniken konnten die Rechten auf gewohnte Weise in den einschlägigen Talks punkten. Was auch daran liegt, dass sich die konservative Konkurrenz mit dem Einbringen von Gesetzen zur „Zustrombegrenzung“ oder „Rückführungsbeschleunigung“ inhaltlich kaum noch unterscheidet. „Bullshitflut“ nennt Spiegel-Autor Christian Stöcker das permanente Wiederholen von Falschbehauptungen. Motto: Je häufiger eine Aussage als vermeintlich unumstößlicher Fakt unters Volk gebracht wird, desto eher erscheint sie als korrekt („irgendwas wird schon dran sein“).

AfD-Narrativ zu Anschlägen übernommen

So geschehen mit dem Mythos vom „kriminellen Ausländer“. Mögen auch noch so viele Studien über Gewalttaten belegen, dass kein systematischer Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität existiert: Die meisten Medien haben längst das AfD-Narrativ übernommen, wonach die biodeutsche Zivilbevölkerung einem permanenten Gesundheitsrisiko durch potentielle Attacken bärtiger Messermänner oder Dschihadisten ausgesetzt ist.

Zwar sind bei Gewaltdelikten laut Polizeistatistik die Tatverdächtigen in einem Drittel der Fälle Ausländer, was etwa dem Doppelten ihres Anteils an der Wohnbevölkerung entspricht. Nach einer Studie des Münchner Ifo-Instituts lässt sich das primär durch ortsspezifische Faktoren erklären. Etwa durch den Umstand, dass Ausländer vorwiegend in Ballungsgebieten mit hoher Kriminalitätsdichte leben.

„Junge Männer in Großstädten begehen generell mehr Straftaten als alte Frauen auf dem Land. Egal, ob sie Deutsche oder Ausländer sind“, urteilt auch der Medienforscher Thomas Hestermann im Zeit-Interview. In der Medienberichterstattung mache dieses Drittel tatverdächtiger Ausländer allerdings über 80 Prozent aus. Dass überdies bei Deutschen die Herkunft meist ungenannt bleibe, findet der Wissenschaftler „journalistisch schlicht unprofessionell“.

Leitmedien müssen Migrationsberichterstattung prüfen

Mit dem Verzicht darauf, in der täterzentrierten Berichterstattung das Narrativ vom „kriminellen Ausländer“ in Frage zu stellen, betreiben viele Medien letztlich das Geschäft der AfD. Differenzierung und Verhältnismäßigkeit bleiben dabei auf der Strecke. Das gilt sowohl für den Boulevard als auch für große Teile des „Qualitätsjournalismus“.

Wie sonst ließe sich erklären, dass über die Gewalttaten in Magdeburg und München in deutschen Leitmedien mehr als doppelt so häufig berichtet wurde wie über die Tat in Mannheim? Das zumindest ermittelte das Medienportal buzzfeed.de in einer quantitativen Untersuchung. Und argwöhnte: „Haben die Medien das Interesse verloren, weil der Tatverdächtige von Mannheim ein Deutscher ist?“

Mehr denn je gilt die Warnung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen: Redaktionen sind gut beraten, in Sachen Migrationsberichterstattung nicht unkritisch und ungeprüft Narrative von politischen Akteuren zu übernehmen, die Gewalt für rassistische Zwecke instrumentalisieren.

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