Mit mehr Sorgfalt über Gewalttaten berichten

Portrait Bärbel Röben

Bärbel Röben, freie Journalistin Foto: Jan-Timo Schaube

Hanau, Halle, Solingen, Mannheim, Magdeburg, Aschaffenburg, München – die Angst vieler Menschen in Deutschland vor Anschlägen wächst, angefeuert durch Hetze in „social media“, aber auch durch Politiker*innen, die diese Gewalttaten – gerade im aktuellen Wahlkampf – instrumentalisieren. Dem sollten demokratische und verantwortungsbewusste Journalist*innen mit Haltung entgegentreten.

Meinung

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen NdM haben anläßlich des fünften Jahrestages von Hanau „Hinweise für eine sorgfältige Berichterstattung über politisch motivierte Gewalt“ veröffentlicht. In Hanau wurden am 19. Februar 2020 neun Menschen von einem rechtsextremen Deutschen aus rassistischen Motiven erschossen. Hoffnung macht mir, dass nun einige der NdM-Hinweise in der aktuellen Berichterstattung über den mutmaßlich islamistischen Anschlag auf eine ver.di-Demonstration am 13. Februar in München beherzigt werden. Ein afghanischer Asylbewerber war dort mit seinem Auto in die Menge gerast und hat dabei zwei Menschen getötet und 37 weitere verletzt.

Betroffene im Fokus

Es brauche Empathie, um über Gewalt zu berichten, so die NdM. Deshalb sollten die Betroffenen und ihre Angehörigen im Fokus stehen und nicht die Täter*innen. Ansätze gab es in dem „Bericht über Menschen in München“ in den ARD Tagesthemen am Folgetag. Die Autorinnen Laura Goudkamp und Christina Schmidt zeigten die Bestürzung und Trauer der Menschen über den Anschlag, ließen Stimmen aus der afghanischen Community zu Wort kommen und aus der Telefonseelsorge für die Betroffenen. Am 14. Februar interviewte Friedbert Meurer im DLF den ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke, der das Recht auf Asyl verteidigte und betonte, dass unter den betroffenen ver.di-Kolleg*innen auch Menschen mit Migrationsgeschichte sind: „Wir stehen für ein solidarisches Miteinander, gerade auch in so einer dunklen Stunde.“

Am Samstag starben eine schwerverletzte Frau und ihre Tochter. Ihr Tod dürfe nicht politisch instrumentalisiert werden, so die Familie, die sich mit einem Statement an die Süddeutsche Zeitung wandte. Sie nannte die Vornamen der beiden – Amal und Hafsa – und gab den Opfern ein Gesicht.  Genauso wie die Angehörigen in Hanau, die mit #Saytheirnames an die Ermordeten erinnern: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Wenn die Stimmen der Betroffenen gehört werden, kann das auch davor schützen, dass die Gewalttat für Spaltung, Hass und Hetze instrumentalisiert wird.

Narrative nicht unkritisch übernehmen

Weiter warnen die NdM ihre Kolleg*innen in den Redaktionen, Falschbehauptungen oder Hetze zu verstärken, indem sie unkritisch Narrative von Politiker*innen übernehmen, die Gewalt für eigene Zwecke instrumentalisieren. Doch in Zeiten von „social media“ scheint es nicht so leicht zu sein, ethisch korrekt Sorgfalt vor Schnelligkeit walten zu lassen. In ihrem taz-Kommentar am Attentatstag rief Lin Hierse zu mehr Anstand auf: “Dabei gehört es sich, bei den Opfern zu bleiben, länger als für eine Eilmeldung. Und es gehört sich ebenso, Präzision einzufordern und nicht einzuzahlen in die rassistische Verschränkung von Migrations- und Sicherheitsdebatten. Denn auch wenn es anders versprochen wird: Es gibt keine einfachen Antworten.“

Strukturelle Ursachen recherchieren

Es sei notwendig, strukturelle Ursachen für die Gewalttaten zu recherchieren, so die NdM. In Hanau war es Behördenversagen, wie eine unzureichend überprüfte Waffenbesitzerlaubnis oder ein nicht funktionierender Polizei-Notruf. Als Grund für die jüngsten Anschläge wird immer wieder eine „verfehlte Migrationspolitik“ genannt. Zum Glück versuchen einige Journalist*innen, in Expert*innengesprächen den Blick zu weiten. So kam in einem DLF-Interview der Kriminalbeamte und SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler zu Wort. Er betonte, dass wir es bei den Anschlägen „mit ganz unterschiedlichen Tätern zu tun hatten und nicht die Frage relevant ist, ob und wann wir jetzt wen abgeschoben haben, sondern dass es jeden Tag Hinweise auf Personen gibt, von denen möglicherweise eine Gefahr ausgeht.“ Da müsse es in Sicherheitsbehörden und Polizeien einen professionellen, einheitlichen Umgang mit solchen Hinweisen geben, die nicht nur „Menschen mit Asylstatus, sondern auch deutsche Staatsbürger“ betreffen.

Verzerrungen vermeiden

Bei den Menschen verfestigt sich eine verzerrte Wahrnehmung der Realität, wenn immer wieder die Anschläge medial skandalisiert werden, bei denen Asylsuchende Täter und mutmaßlich Islamisten sind. Doch „rechtsextreme Gewalt tritt statistisch häufiger auf als jede andere Form der politisch motivierten Kriminalität“, so die NdM, die fordern, „Realität korrekt darzustellen“. Das zeigt Kersten Augustin mit seiner taz-Kolumne zum Anschlag in München: „2024 gab es über 40.000 rechtsextreme Straftaten, darunter über 1.400 Gewalttaten. Beide Zahlen sind ein Rekord. Es ist kein Whataboutism, darauf hinzuweisen, dass diese Nachrichten deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommen. Auch sie verändern das Sicherheitsgefühl.“

Politische Verantwortung benennen

Das verzerrte Wirklichkeitsbild in der Bevölkerung hängt damit zusammen, dass mittlerweile auch demokratische Politiker*innen die von menschenfeindlichen Rechtsextremist*innen geschürten Stimmungen aufnehmen. Wenn sie schärfere Migrationsgesetze und mehr Abschiebungen fordern, führt das weniger zur Lösung von Sicherheitsproblemen, als vielmehr zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft. Deshalb halte ich es genauso wie die NdM für wichtig, die Verantwortung von Politiker*innen für diese Demokratie gefährdenden Entwicklungen medial sichtbar zu machen anstatt ihre immer gleichen Sprechblasen von persönlicher Betroffenheit und entschlossenem Handeln zu wiederholen. Die Medienmacher*innen bringen es auf den Punkt: „Kritischer Journalismus bedeutet nicht nur zu berichten, was gesagt wird, sondern auch, was getan (oder unterlassen) wird.“

Fazit: Statt „social media“-getrieben möglichst schnell zu informieren, sollten Journalist*innen bei der Berichterstattung über Gewalttaten sorgfältig und empathisch abwägen, wer und was im Mittelpunkt der Berichterstattung steht – Betroffene oder Täter, Expertise zu Ursachenanalyse und Lösungssuche oder populistische Meinungsäußerungen aus Politik und Bevölkerung.

 

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