Ist das der neue Meinungspluralismus?

Planet-Collage

Collage: Petra Dressler

Meinung

Es sind nur zwei Fälle. Aber sie haben es in sich, wenn sie für eine Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen, die ein politisch bedenkliches Signal sendet. Eine Correctiv-Recherche beleuchtete Anfang Juli die Hintergründe, die nach vier Jahren zur Einstellung eines Klimapodcasts führten. Und eine Ende Juni veröffentlichte taz-Recherche fühlt den Umständen einer Reportage der Focus-online-Kolumnistin Julia Ruhs auf den Zahn, die der NDR ausstrahlte.

Es war die 2. Folge von „Klar“, einem gemeinsam mit dem BR produzierten Format, die die Bauernproteste zum Anlass nahm, dem norddeutschen Bauern Thomas Schneekloth unwidersprochen vom Leder ziehen zu lassen. Die Sendung, so der Taz-Autor, könne „als Werbung für die AfD interpretiert werden“.

Man kann der Journalistin nicht vorwerfen, dass sie sich meinungsstark mit komplexen Themen beschäftigt, darin das Mittel der vereinfachenden Zuspitzungen wählt und auch nicht, dass sie dabei auch noch gängige gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Im Grunde ist das am Ende sogar langweilig. Viel entscheidender ist die Frage nach der Botschaft, die der NDR selbst aussendet – wenn er einen Beitrag bringt, in dem ein Landwirt interviewt wird, der die rechtsextreme AfD wählt und auch deren politische Ansichten vertritt. Angesprochen auf die verbriefte Verfassungsfeindlichkeit der Partei, darf er in die Kamera sagen: „Nee, glaube ich nicht. Ich glaub’ tatsächlich, dass die Regierung damit die Opposition bloß kleinhalten will.“ Ein Beitrag, der keine Gegenrecherche bemüht und in der es keine einzige andere Stimme zum Thema Bauernproteste gibt als die von Schneekloth.

Falscher Eindruck erzeugt

Die Milchbäuerin Kirsten Wosnitza findet dazu auf ihrem Blog „Diskuhsion“ klare Worte: „Die ARD-Sendung unterzieht seine (Schneekloths, Anm.) Entscheidung keiner kritischen Betrachtung. Es entsteht der fatale Eindruck, die AfD sei eine legitime Antwort auf agrarpolitische Missstände.“ Ottmar Ilchmann, der niedersächsische Landesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, bezeichnet die „Klar“-Episode in der taz als „unterirdisch“. Es sei „krass, wie sehr der NDR jetzt auf Bauernverbandslinie eingeschwenkt ist.“ Es habe eine deutliche Abkehr von einer einstmals kritischen Berichterstattung gegeben.

Blickt man auf das Beispiel der Klimaforscherin Claudia Kemfert, drängt sich der Eindruck auf, dass nicht nur beim NDR eine zweifelhafte Tendenz zu bemerken ist. „Kemferts Klima-Podcast“ im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) lief seit vier Jahren. „Bis zu 40.000 Menschen hörten sich manche der Folgen an“, heißt es in einer Anfang Juli veröffentlichten Correctiv-Recherche. Ein progressives Format und eine hohe Zahl von Zuhörenden – der Podcast hatte laut Recherche im internen Vergleich konstant unter den „Top 15-Angeboten des Senders“ gelegen.

Klimaforschung abgesetzt

Trotzdem wurde der reichweitenstarke Podcast jetzt abgesägt. Mit sofortiger Wirkung, laut Correctiv. Die schmallippige Begründung beim MDR lautet „Kompetenzbündelung“, was angesichts von Kemferts Sachverstand nicht ganz glaubhaft wirkt. Bei Correctiv geht man weiter und sieht in der Aktion den Auftakt für eine neue Klimaberichterstattung, die „nicht aktivistisch!“ zu sein habe, wie es in einer neuen Ausschreibung heißt.

Während die rechtsextreme AfD den ÖRR sowieso komplett schleifen will, biedert sich die CDU (vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) inzwischen soweit der rechten Tonlage an, zu fordern, die hier dominierenden grünen und linken Positionen müssten mindestens zurückgedrängt werden. Der ÖRR solle gefälligst gesellschaftliche Stimmungen abbilden – gemeint ist: wie in der Reportage „Klar“. Aber wenn sich der ÖRR jetzt bereits derart dem Druck von rechts beugt, der die Anstalten mit Programmbeschwerden und Hetze belästigt und bedroht, dann ist das erst der Anfang. Denn das Ziel rechtsextremer Klimawandelleugner ist klar: Langfristig geht es darum unabhängige und kritische Berichterstattung loszuwerden.

Weitere aktuelle Beiträge

Verhandlungen sind keine Selbstbedienung

Leider funktionieren Tarifverhandlungen nicht nach dem Supermarktprinzip, man kann nicht einfach ins Regal greifen und sich herausholen, was man sich wünscht. Am ehesten stimmt der hinkende Vergleich noch, wenn es ans Zahlen geht: Umsonst bekommt man nämlich auch bei Tarifverhandlungen nichts. Was auf der anderen Seite allerdings auch bedeutet: Hängt man sich richtig rein, dann lohnt sich das meistens.
mehr »

Halbzeit bei der UEFA Frauen-EM

UEFA-Women’s Euro 2025 heißt das Turnier nach dem Willen des Europäischen Fußballverbands. Bei den Männern wird auf die geschlechtsspezifische Eingrenzung verzichtet. Möglichweise ein Relikt aus den Zeiten, als das Kicken selbstverständlich eine maskuline Sportart war, vermeintlich ungeeignet für die „zarte Weiblichkeit“. 
mehr »

RTL schluckt Sky Deutschland

Mega-Fusion in der TV- und Streaming-Branche: Mit dem Kauf des Bezahlsenders Sky schickt sich die Bertelsmann-Tochter RTL Deutschland an, den großen US-Plattformen Netflix & Co. Paroli zu bieten.
mehr »

Compact-Urteil: Wehrhaft aber unwillig

Das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins ist vom Tisch. Am Dienstag entschied dies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Der Chefredakteur des Magazins Jürgen Elsässer feierte die Entscheidung als eine Sternstunde für die Pressefreiheit, verglich den Fall gar mit der Spiegel-Affäre von 1962. Triumphierend erklärte er: „Sie konnten uns nicht verbieten, also können sie auch die AfD nicht verbieten.“
mehr »