Journalistische Rolle: Mächtige kontrollieren

collage

In welcher Rolle sehen sich Journalist*innen? Grafik: Petra Dressler

Der Journalismus steht in der digitalisierten Gesellschaft besonders unter Druck, wenn er seine demokratische Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, weiterhin erfüllen will. Das beeinflusst auch Rollenverständnis und Werteorientierung der Medienschaffenden. Nach einer aktuellen Studie zur Profession in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist den meisten Journalist*innen heute ihre Kontrollfunktion als „Watchdog“ der Mächtigen am wichtigsten.

Die Werteorientierung in diesen drei Ländern der D-A-CH-Region wurde in einer Teiluntersuchung der jüngsten weltweiten „Worlds of Journalism“-Studie“ (WJS3) erhoben. Die Hamburger Journalismusforscherin Wiebke Loosen präsentierte die Ergebnisse mit ihrem Team auf der Jahrestagung der DGPuK. Die Daten stammen aus der dritten Erhebungswelle zwischen 2021 und 2024. Zusätzlich zu der repräsentativen Befragung wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz erstmals auch hauptberufliche „periphere Akteure“ befragt, die eher am Rande des etablierten Journalismus arbeiten.

Rolle des „Kritischen Beobachters“ dominiert

Auf den Legitimationsdruck reagiere der Journalismus mit einem Bekenntnis zur „kritisch-beobachtenden Informations- und Kontrollfunktion“, so der Klagenfurter Medienforscher Josef Seethaler, der das Selbstverständnis der Medienschaffenden als Indikator für ihre Werteorientierung auswertete. Die bisher vorherrschende Rolle des „objektiven Vermittlers“ wird danach durch die des „kritischen Beobachters“ abgelöst, der die Menschen zur politischen Meinungsbildung anregt. Dazu gehört es insbesondere, Desinformationen entgegenzuwirken. Das ist eine erstmals abgefragte Aufgabe genauso wie „Gesellschaftliche Missstände beleuchten“, „Zukünftige Entwicklungen aktueller Ereignisse aufzeigen“ und „Auf mögliche Lösungen für gesellschaftliche Probleme hinweisen“.

Im Vergleich zur zweiten Befragungswelle vor zehn Jahren nennen die Befragten in in allen drei Ländern nun häufiger, sie wollen „Informationen vermitteln, die Menschen zur Meinungsbildung befähigen“ und die „Mächtigen kontrollieren“. Besonders in Deutschland geht es nun weniger darum, „ein großes Publikum zu erreichen“. Durch die „stärkere Besinnung auf demokratische Werte“ geraten diejenigen, die sie vertreten, unter Druck und sind zunehmend Bedrohungen ausgesetzt – etwa durch Hasskommentare oder Verwendung persönlicher Daten, so Seethaler. Von sexueller Belästigung seien vor allem Frauen betroffen. Das Arbeiten im „edukativen oder kollaborativen Bereich“ sei dagegen ungefährlich.

Differenzierte Sicht auf Objektivitätsnorm

Die journalistische Objektivitätsnorm werde inzwischen differenzierter gesehen, so Wiebke Loosen. Nach den Befragungsergebnissen gibt es in allen drei Ländern eine moderate Zustimmung dafür, dass es möglich ist, die objektive Realität abzubilden: Deutschland 61 Prozent, Österreich und Schweiz 65 Prozent. Bei der Aussage, man könne persönliche Überzeugungen aus der Berichterstattung ausklammern, sind Journalist*innen aus Österreich und der Schweiz deutlich pessimistischer als ihre deutschen Kolleg*innen. Sie gehen auch mehr als doppelt so häufig davon aus, dass die Wahrheit zwangsläufig von den Mächtigen geprägt wird. In Deutschland meinen das nur 12 Prozent der Befragten. Die meisten deutschen und österreichischen Journalist*innen sind sich darin einig, dass es besser ist, „darauf aufmerksam zu machen, wenn eine Quelle etwas Falsches behauptet“ als „Fakten für sich sprechen zu lassen“.

Unabhängig von den politischen Einstellungen herrsche „Konsens bei der Grundsatzfrage, dass eine objektive Darstellung der Realität möglich ist“, so der Klagenfurter Medienforscher Raoul Mitterstainer, der die Aussagen zur Objektivitätsnorm noch einmal differenzierter unter die Lupe nahm. Wie in bisherigen Studien verorten die meisten Journalist*innen sich links – in Deutschland 47 Prozent, Österreich 55 Prozent und Schweiz 58 Prozent. Als eher rechts stufen sich etwa 8 Prozent der deutschen und 14 Prozent der Schweizer Befragten ein, in Österreich waren es mit 7 Prozent die wenigsten“. Die Überzeugungen der links und rechts positionierten Befragten ähneln einander eher als denen, die sich in der Mitte einordnen – etwa hinsichtlich der von Mächtigen geprägten Wahrheit und der Fakteninterpretation durch das Einfließen persönlicher Ansichten in die Berichterstattung. Sie plädieren im Gegensatz zu ihren Kolleg*innen in der politischen Mitte auch dafür, auf Falschbehauptungen hinzuweisen.

Lösungsorientierte Veränderung der Gesellschaft

Die Einstellungen der Journalist*innen aus der WJS3-Kernbefragung verglich die Hamburger Medienforscherin Anna von Garmissen mit denen „peripherer Akteur*innen“, die zur Entgrenzung des Berufsfeldes beitragen. Das Team hatte erstmals über 350 Medienschaffende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, die sich inhaltlich etwa durch „Gegenöffentlichkeit, Factchecking oder konstruktiven Journalismus“ vom Kernbereich unterscheiden, organisatorisch eher kollektiv, als Startups oder in Freien Radios arbeiten und auch Partikularinteressen von Kirchen, Parteien oder NGOs vertreten. Die meisten von ihnen identifizieren sich mit ähnlichen journalistischen Werten wie ihre Kollge*innen im Kernbereich, „nur die Influencer*innen flutschen weg“, so Garmissen. Für diese sei Selbstdarstellung besonders wichtig. Immerhin 60 Prozent der peripheren Akteur*innen kommen aus traditionellen Medien. Garmissen fragte: „Haben sie den Kern verlassen, um ihr Rollenselbstverständnis besser umsetzen zu können?“

Medienschaffende in journalistischen Randbereichen haben in der Tat ein aktivistischeres Rollenverständnis. Für sozialen Wandel einzutreten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und das Publikum zu bilden ist ihnen wichtiger als unparteiisch zu beobachten und als Watchdog Mächtige zu kontrollieren. Sie wollen „Themen aufbereiten, die sonst nicht stattfinden und auf eine Veränderung der Gesellschaft hinwirken“ – mit Orientierung auf Problemlösungen. Sie setzen stärker auf Subjektivität in der Berichterstattung als ihre Kolleg*innen im journalistischen Kernbereich. Im Ländervergleich unterscheiden sich Peripherie und Kern in der Schweiz stärker als in Österreich und Deutschland.

In der anschließenden Diskussion zeigten sich die Referierenden einig, dass Journalist*innen in traditionellen Medien von ihren innovativen Kolleg*innen an den Rändern lernen können und ihr Rollenverständnis sich verändere. Es gebe inzwischen viele Diskussionen zu Haltungsjournalismus und eine differenziertere Sicht auf die Objektivitätsnorm.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmfrauen ermächtigen sich

Das Internationale Frauenfilmfest (IFFF), jährlich abwechselnd in Dortmund und in Köln stattfindend, wirkt empowernd: Nach außen auf ein cineastisches Publikum, nach innen in die Branche hinein. Filmemacherinnen, Regisseurinnen, Bildgestalterinnen, Festivalkuratorinnen diskutierten miteinander über die Qualität feministischen, queeren und kulturell diversen internationalen Filmschaffens von Frauen. Wie unterm Brennglas fokussierte das Festivalteam Anfang April, unter Leitung von Maxa Zoller, aus Frauenperspektive aktuelles politisches Weltgeschehen und daraus resultierende gesellschaftliche Missstände.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Europäische Serien werden erfolgreicher

Das Festival Series Mania bietet alljährlich einen internationalen Überblick der kommenden TV-Serienhighlights, wenn rund 5000 Branchenprofis aus 75 Ländern zusammenkommen. Auch in diesem Jahr feierten zahlreiche Produktionen mit ungewöhnliche Themen Premiere. US-Amerikanische Serien waren diesmal kaum vertreten. Das hat politische Gründe.
mehr »