Nach seinem Tod im New Yorker Exil (1990) ist die Arbeit des politischen Fotografen Ernest Cole, der die Welt 1967 mit seinem vielgerühmten Fotobuch „House of Bondage“ über die rassistische Realität in seiner südafrikanischen Heimat informiert hat, in Vergessenheit geraten; sein künstlerischer Nachlass galt als verschollen. Der sensationelle Fund von 60.000 Negativen in einem schwedischen Banksafe hat ihm vor einigen Jahren ein posthumes Comeback beschert.
Mit Hilfe dieser Fotos und Coles persönlichen Texten erzählt Raoul Peck die Geschichte eines Mannes, der sein Dasein der Sammlung von Augenblicken gewidmet hat. Wörtlich übersetzt heißt Apartheid Getrenntheit, aber der Begriff steht selbstverständlich für polizeiliche Willkür, Folter und Mord. Wenn ein führender Staatsmann die Chuzpe besitzt, das Afrikaans-Wort mit „gute Nachbarschaft“ zu übersetzen, lässt sich erahnen, warum das südafrikanische Apartheid-Regime jahrzehntelang trotz seiner Politik der konsequenten Rassentrennung keinerlei internationale Sanktionen zu befürchten hatte. Allen voran die USA haben mit ihrem Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entsprechende Resolutionen verhindert.
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All’ das schildert Raoul Peck in seinem Porträt von Ernest Cole, erster schwarzer Berufsfotograf Südafrikas, auch. Vor allem jedoch erzählt der aus Haiti stammende Dokumentarfilmer von einem Mann, der Südafrika mit Mitte zwanzig verlassen hat und in Abwesenheit verbannt wurde. Seine zweite Lebenshälfte hat Cole als Staatenloser größtenteils in New York verbracht, wo er allerdings nie heimisch geworden ist. Beruflich haderte er damit, nach seinem 1967 erschienenen Fotobuch „House of Bondage“ (Leibeigenschaft) als „Chronist von Elend, Ungerechtigkeit und Herzlosigkeit“ zu gelten. Zerfressen von Einsamkeit und Heimweh ist Cole 1990 an Krebs gestorben, nachdem er die letzten Lebensjahre als Obdachloser verbracht hatte. Abgesehen von seiner Familie und einigen Kollegen würde sich heute kaum noch jemand an ihn erinnern, zumal sein fotografisches Vermächtnis als verschollen galt.
Entsprechend sensationell war 2017 der Fund von 60.000 Negativen in einem schwedischen Banksafe. Wie die Sammlung dorthin gelangt ist und wer für die Aufbewahrung bezahlt hat, ist ein Rätsel, das Peck weder lösen konnte noch wollte, denn darum geht es in seinem Film nicht. Stattdessen lässt er Cole erzählen: von der Jugend in Südafrika, vom Erwachen seines politischen Bewusstseins, von seiner Arbeit für die Zeitschrift „Drum“ und der Veröffentlichung einer ersten Fotoreportage. Als Illustration der Berichte dienen Coles Aufnahmen, gelegentlich ergänzt um zeitgenössisches Dokumentarmaterial. Der vom Schauspieler LaKeith Stanfield gesprochene Kommentar basiert auf authentischen Notizen.
Fotografie im Film ist immer eine Herausforderung, weil die Bilder naturgemäß nicht bewegt sind und die Betrachtungsdauer anders als in einer Ausstellung oder einem Fotobuch vom Gutdünken des Schnitts abhängt. Mitunter montiert Peck die Aufnahmen zu optischen Kaskaden, sodass eine konkrete Wahrnehmung kaum möglich ist. Entscheidender ist jedoch der Eindruck, der auf diese Weise entsteht. Die Bilder zeigen größtenteils Menschen. Gerade die heimlich im Vorübergehen aufgenommenen Schnappschüsse dokumentieren nachdrücklich, was der Begriff „Rassentrennung“ im südafrikanischen Alltag beinhaltete: hier die herrschende Klasse, dort die Schwarzen, in der Welt der Weißen nur geduldet, um Arbeiten zu verrichten. Coles Erläuterungen liefern den jeweiligen Hintergrund zu den oftmals scheinbar harmlosen Fotos.
Nach seiner Ankunft im Jahr 1966 ist New York dem Fotografen zunächst wie eine „Welt ohne Vorurteile“ vorgekommen. Seine Arbeiten zeigen schwarzweiße oder homosexuelle Paare, die sich in aller Öffentlichkeit küssen. Spätestens eine Reise in die Südstaaten belehrte ihn eines Besseren: In Südafrika hatte Cole Angst, verhaftet zu werden. In Alabama oder Mississippi fürchtete er um sein Leben. Seine Hoffnung, in Amerika neue Wurzeln zu schlagen, erfüllte sich ohnehin nicht: Er war dem Gefängnis nur physisch entkommen. Spätestens jetzt offenbart sich auch der aktuelle Bezug des über weite Strecken entsprechend düsteren Films, selbst wenn die Bilder irgendwann bunt werden, als Cole beginnt, dem farbenfrohen New York auch fotografisch gerecht zu werden. Selbst über diesen Aufnahmen scheint jedoch ein eher fühl- als sichtbarer Schatten zu liegen.
Filmemacher Peck, vor knapp dreißig Jahren haitianischer Kulturminister, knüpft mit „Ernest Cole: Lost and Found“ an seine großen Werke an. Bekannt wurde er durch seinen Dokumentarfilm über den kongolesischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba („Lumumba: Tod des Propheten“, 1990), später drehte er unter anderem den maßgeblich mit deutschem Geld zustande gekommenen Spielfilm „Der junge Karl Marx“ (2017) mit August Diehl in der Titelrolle. Zu seinen wichtigsten Werken gehören außerdem „Als das Morden begann“ (2005) mit Idris Elba über den Völkermord in Ruanda sowie der für den „Oscar“ nominierte Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ (2017) nach einem unvollendeten Manuskript von James Baldwin.
„Ernest Cole: Lost and Found“. F/USA 2024. Buch und Regie: Raoul Peck. Kinostart: 17. April