Zeitschriftenverleger wittern Gefahr

Als ob die sinkende Anzahl von Zeitschriften Verleger*innen nicht genug zu schaffen macht: inzwischen mischen die Tech-Plattformen auch die digitalen Produkte auf. Foto: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Die deutschen Zeitschriftenverleger sehen die Demokratie durch die Zusammenballung von ökonomischer, medialer und zunehmend politischer Macht in der Hand weniger internationaler Technologieplattformen in Gefahr. Das erklärte Philipp Welte, Vorstandsvorsitzender des Medienverbands der Freien Presse (MVFP) zur Eröffnung des diesjährigen Medienforums in Berlin.

„In der digitalen Medienwelt hat sich eine feudalistische Machtstruktur entwickelt, die die freie Meinungsbildung auf der Grundlage verlässlicher, unabhängiger Informationen gefährdet“, kritisierte Welte vor rund 250 Delegierten und Gästen am 25. Juni im Allianz-Forum am Pariser Platz. Die Verlage verstünden ihren Auftrag darin, mit verantwortlichem Journalismus die Bastion verlässlichen Wissens in diese Flut an Unwahrheiten zu sein. „Wir sind zuverlässiger Teil der informierenden Infrastruktur dieser Republik.“

Der Willkür der Plattformen ausgeliefert

Aber man sei, so Welte, „in der Refinanzierung der redaktionellen Arbeit komplett der Willkür der Plattformen ausgeliefert. Als Beispiel nannte er die Anfang Juni über Nacht erfolgte Sperrung der „Playboy“-Deutschland-Seite mit 1,9 Millionen Followern durch den Facebook-Konzern Meta. Erst nach Androhung juristischer Mittel sei diese unbegründete Abschaltung wieder aufgehoben worden. „Die Hoffnung der neunziger Jahre, das Internet würde Freiheit, demokratische Partizipation und Vielfalt in eine ganz neue Dimension heben, ist verstaubte Folklore unserer Branche“, so das bittere Fazit Weltes.

An die Politik appellierte Welte, die Branche und den freien Journalismus gegen den von den Tech-Giganten ausgehenden Verdrängungswettbewerb entschlossen zu unterstützen. Konkret wandte er sich gegen eine Strangulierung der Verlage durch „überbordende Regulierung“, erneuerte die Forderung nach einer Reduzierung der Mehrwertsteuer für gedruckte und digitale Pressseerzeugnisse auf Null Prozent sowie nach einem diskriminierungsfreien fairen Vertrieb digitaler Presse. Viertens plädierte er für einen „regulatorischen Schutz vor dem flächendeckenden organisierten Diebstahl redaktioneller Inhalte durch Systeme Künstlicher Intelligenz“.

Politik in der Verantwortung

Thorsten Frei, Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, bekannte sich zur Verantwortung der Bundesregierung für den Erhalt einer starken und unabhängigen Presselandschaft. In seiner Keynote machte er sich stark dafür, „die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass unabhängige Medien auch wirtschaftlich überlebensfähig bleiben“. Gleichzeitig vermied Frei konkrete Zusagen. Zur geforderten Reduzierung der Mehrwertsteuer bemerkte er vage, sowas könne man „natürlich machen, wenn man es haushaltspolitisch darstellen kann“. Schließlich gelte es, zu „überlegen, wie man Anspruch und Wirklichkeit zueinander bringt“.

In der gegenwärtigen Transformationsphase sei es für viele Verlage kaum noch möglich, den Vertrieb ihrer Produkte am Markt zu refinanzieren, speziell in den neuen Bundesländern. Eine Digitalsteuer sei als Prüfaufgabe im Koalitionsvertrag enthalten. Es gelte aber zur beachten, dass eine solche Steuer gerade für eine Exportnation wie Deutschland auch eine Art Bumerangeffekt auslösen könne.

Staat muss Pressefreiheit schützen

Peter Müller, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. und Ex-Ministerpräsident des Saarlands, erinnerte im Rahmen des Forums „Verantwortung: Wie geht Pressefreiheit ohne freie Presse?“ an die verfassungsrechtliche Bedeutung einer freien Presse. Er beobachte weltweit die Demokratie auf dem Rückzug mitsamt einem Schwinden des Vertrauens in die demokratischen Institutionen. In der Frühphase der Bundesrepublik sei die grundgesetzliche Pressefreiheit hauptsächlich ein Abwehrrecht gegen einen übergriffigen Staat gewesen. Im digitalen Zeitalter habe der Staat aber aufgrund des für die Demokratie konstitutionellen Charakters der Pressefreiheit die Verpflichtung, diese Freiheit mit konkreten Maßnahmen zu schützen und zu gewährleisten.

Dazu gehörten etwa „diskriminierungsfreie Zugänge und faire Wettbewerbschancen gegenüber den Plattformbetreibern“. Müller sparte in diesem Zusammenhang nicht mit einigen Spitzen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Angesichts der „eklatanten Wettbewerbsasymmetrie“ zwischen dem ÖRR und den privaten Rundfunkanbietern müsse verhindert werden, dass ARD und ZDF mit presseähnlichen Angeboten in einen Verdrängungswettbewerb gegen die Presse eintrete. Auch betrachte er ein Werbeverbot für den ÖRR als „systemgerecht“. Schließlich liege die „Erhaltung und Förderung der Außenpluralität der Presseerzeugnisse“ im öffentlichen Interesse. „Wenn der Staat schon Mehrwertsteuerermäßigungen für die Gastronomie als geboten ansieht“, konstatierte Müller, müsse dies „angesichts ihrer Bedeutung für den demokratischen Diskurs“ erst recht für die Presse gelten.

Rechtsfreiheit im digitalen Raum

In der folgenden Debatte ging es unter Moderation der Journalistin und Ex-Bild-Chefredakteurin Tanit Koch um die Verantwortung der Politik, die Medien in Zeiten zunehmender Polarisierung und Radikalisierung zu stärken. Vor allem aber um jüngst ausgebrochene Kontroverse um die Social-Media-Nutzung Jugendlicher.

In Teilen des digitalen Raums herrsche vollkommene Rechtsfreiheit, klagte Julia Becker, Verlegerin der Funke Mediengruppe. Sie wirbt seit kurzem für ein Social-Media-Verbot für unter 16jährige. Den Anstoß gab ihr der kürzlich in Hamburg aufgedeckte Fall „White Tiger“, bei dem ein junger Mann jahrelang über ein internationales Netzwerk Kinder im Netz zu entsetzlichen Selbstverstümmelungspraktiken – inklusive zweier Suizide – animiert hatte. „Jeder Erziehungsberechtigte, aber auch der Staat, hat eine Beschützerfunktion“, bekräftigte Becker und forderte entsprechende Konsequenzen.

Auch Markus Feldenkirchen, politischer Autor im Hauptstadtbüro des „Spiegel“ wünscht sich eine „maßvolle Heranführung der jungen Generation an das neue Zeitalter“. In seiner eigenen Familie gelte ein Social-Media-Verbot bis 14. Allerdings hält er wenig davon, Jugendliche möglichst lange vom Netz fernzuhalten. Vielmehr erwartet er umgekehrt in der Schule eine möglichst frühe Ausbildung der Kinder zu mehr Medienkompetenz.

Social-Media-Verbote in der Kontroverse

Nathanael Liminski, Medienminister und Chef der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen, versteht Initiativen politischer Akteure wie etwa der Regierung Australiens, ein Social-Media-Verbot für Minderjährige durchzusetzen. Zugleich warnte er davor, in diesem Zusammenhang „über die Stränge zu schlagen“. Bei jeder Regulierung sei zu bedenken, „ob das rechtlich, technisch und politisch wirklich umsetzbar ist“. Was das Verbot angehe, so habe man es mit der digital affinsten Generation zu tun. Es wäre schlecht, wenn eine politische Maßnahme komplett an der Zielgruppe vorbeiginge.

Rechtlich gesehen handle es sich um einen „tiefen Eingriff in die Privatsphäre junger Menschen“. Bei allem Problemdruck in dieser Frage sei es erforderlich, das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu bedenken. Darüber hinaus unterscheide diese Debatte zwischen digital Affinen und digital weniger Interessierten sowie zwischen Alt und Jung.

Liminski plädierte für den Mittelweg. Er forderte, die Plättformen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die dafür geschaffenen Instrumente – Digital Service Act, Digital Markets Act und AI-Act – würden auf EU-Ebene gerade erst angewandt. Deswegen werbe er dafür, „nicht sofort die letzte Ausfahrt zu nehmen“. Sondern die Plattformbetreiber zu warnen: „Wenn Sie so weiter machen, kommt es zum Verbot!“

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