Buchtipp: Sendestörung

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Die CDU hat erneut die Rundfunkfreiheit ins Visier genommen - und greift den NDR an. Foto: pixabay

75 Jahre ARD: Wenn das kein Grund zum Feiern ist. Schon der Titel seines Buches, „Sendestörung“, verdeutlicht jedoch, dass dem Historiker Karsten Rudolph keine Festschrift vorschwebte. Auf knapp 200 Seiten beschreibt er „Aufstieg und Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, wie der Untertitel lautet.

Mit Gegenwart und Zukunft von ARD und ZDF befasst sich Rudolph allerdings erst auf den letzten Metern seines Langstreckenlaufs, wenn er fordert, der gemeinnützige Rundfunk müsse seinen Programmauftrag so erfüllen, „dass er der Freiheit und Demokratie dient, indem er Menschen immer wieder aufs Neue befähigt, am politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben.“

Dieses Postulat trifft heute noch genauso zu wie in den frühen Fünfzigerjahren, als die britischen Besatzer ein System nach dem Vorbild der BBC schufen: staatsfern und nicht an ökonomischem Gewinn ausgerichtet. Rudolph, der die ARD als Mitglied im Rundfunk- und Verwaltungsrat des WDR auch von innen kennt, beschreibt nun, wie sich die Medienlandschaft in den letzten siebeneinhalb Jahrzehnten entwickelt hat. Dass er seine Ausführungen mit Anekdoten würzt, die aus heutiger Sicht befremdlich anmuten – Radioreporter Herbert Zimmermann wurde 1954 nach der Fußball-WM wegen seiner Bezeichnung des Torhüters Toni Turek als „Fußballgott“ von konservativen Kreisen der Blasphemie bezichtigt –, macht die Ausführungen noch reizvoller.

Qualitätsmedien heute so wichtig wie damals

Lesenswert ist Rudolphs Zeitreise dennoch vor allem für Jene, die sich bislang nur oberflächlich mit diesem Teil der (west-)deutschen Geschichte befasst haben, auch wenn nicht oft genug betont werden kann, welch’ erheblichen Anteil das öffentlich-rechtliche System gemeinsam mit vielen neu gegründeten Zeitungen sowie dem „Spiegel“ (1947) an der Demokratisierung der Bundesrepublik hatte. Aktuell ist die Aufgabe eine ganz ähnliche: Angesichts von Desinformations- und „Fake News“-Kampagnen in digitalen Netzwerken und mit Blick auf eine Partei, die demokratische Strukturen zerstören will, sind diese Qualitätsmedien heute so wichtig wie damals.

Als kompakter Überblick bietet das wissenschaftlich fundierte, aber nicht übertrieben akademisch verfasste Buch eine fesselnde Lektüre, zumal die Zeitreise zeigt, wie sich diverse Kritikpunkte durch die Geschichte von ARD und ZDF ziehen. Richard von Weizsäcker machte sich als Bundespräsident derart große Sorgen um den Zustand des Programms, dass er 1994 einen „Bericht zur Lage des Fernsehens“ in Auftrag gab. Was Rudolph aus diesem auch gut dreißig Jahre später noch sehr aufschlussreichen „Sündenregister“ zitiert, etwa über die Tendenz zur Mediokratie (Personalisierung von Politik statt Sachdiskussion), viel zu teure Sportrechte oder das „Diktat der Einschaltquote“, wirkt irritierend aktuell. Die sogenannte Wissenskluft, also die Unterschiede zwischen Informierten und Unwissenden, dürfte seither auch nicht kleiner geworden sein.

Reformen sind nötig

Die Basis dafür hatte die Politik zwölf Jahre zuvor mit der Gründung des dualen Rundfunksystems und der Zulassung von Privatfunk selbst gelegt. In den frühen Neunzigerjahren wandelten sich die zunächst noch belächelten Emporkömmlinge zur äußerst ernsthaften Konkurrenz. Gut zwei Jahrzehnte später sorgte die Digitalisierung dafür, dass ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 im selben Boot sitzen. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihr junges Publikum schon in den Neunzigern verloren, aber seit 2014 machen erst Netflix und später Amazon Prime und Disney auch den Privatsendern das Leben schwer. Einen beträchtlichen Teil ihrer Umsätze hatten sie allerdings bereits vorher an US-Konzerne wie Google oder Facebook (heute Meta) verloren.

Beide Säulen der Dualität, aus der längst ein triales System geworden ist, leiden also unter der gleichen Entwicklung, allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen: Bei den Privatsendern führt die zurückgegangene Akzeptanz zu schrumpfenden Gewinnen, bei ARD und ZDF zu einem ungleich schwerer wiegenden Verlust an Relevanz und somit geradewegs in eine Legitimationskrise. Eine substanzielle Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, so Rudolphs Fazit, sei schon lange überfällig. Konkrete Vorschläge oder Anregungen bleibt er jedoch schuldig. Stattdessen versichert er, für die Meinungsvielfalt seien ARD und ZDF unverzichtbar, wie das Bundesverfassungsgericht 2018 noch mal hervorgehoben hat. Den aktuellen Herausforderungen könnten die Sender jedoch nur gerecht werden, wenn sie schlagkräftiger, schlanker und schneller würden, ansonsten sei das System ernsthaft gefährdet.


Karsten Rudolph: „Sendestörung. Aufstieg und Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Verlag C.H. Beck, München 2025. 240 Seiten, 20 Euro.

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