Auf den Leim gegangen

„Polylux“ sendete Fake des selbst ernannten „Kommandos“

Im Journalismus ist manches, das einfach aussieht, gar nicht so leicht. Zum Beispiel die Entscheidung, ob ein Informant wahrhaftig und vertrauenswürdig ist – oder ein verkappter psychopathologischer Lügner, der raffiniert nach Aufmerksamkeit giert. Einem solchen kroch im April die Lifestyle-Redaktion des ARD-Magazins „Polylux“ auf den Leim. Ein gewisser Mark F., der sich „Tim“ nennen ließ, vagabundierte als Drogen-Diät-Pionier durchs Internet: Er nehme „Speed“ (Aufputschmittel), um schlank zu werden, so seine bescheuerte Botschaft, die er gern auch im Fernsehen loswerden wollte.Zehn Kilo hatte er angeblich abgespeckt; 170 Kilo wog er noch, als ihn das Kamerateam in seiner WG besuchte. „Polylux“ ließ den Fettleibigen sich ausweinen: Er habe nie gelernt, sich selbst zu motivieren, darum nehme er Drogen. Etwas zu selbsteinsichtig für das sperrige Thema. Man hätte skeptisch werden können. Aber man kann bei vielem skeptisch werden, das als Realität serviert wird – und nichts ist als ein mal schönes, mal gruseliges PR-Märchen. Meist fliegen solche „Fakes“ nicht auf. Insbesondere nicht bei Privatsendern, die von klischierten bis inszenierten Stories leben.
Im Fall „Tim“ war es anders. Hier verschickte ein „Kommando Tito von Hardenberg“ – eine Verballhornung der „Polylux“-Macherin Tita von Hardenberg – gleich nach der Sendung im Spätprogramm der ARD eine Armada äußerst professionell gefertigter E-Mails. Die enttarnten das Ganze als Betrug. „Erschreckend, wie einfach es ist, selbst gewählte Inhalte in Massenmedien zu platzieren“, bewunderte das „Kommando“ sich selbst. Noch mehr Schmalz ging später bei „Polylux“ ein, Absender: der Fette. „Polylux“ sei Opfer seines „schauspielerischen Projekts“, so Mark F. Klar: Wenn solchen Typen nichts mehr einfällt, soll es Kunst gewesen sein. Juristisch ist das schlau: Kunst und Wissenschaft haben im deutschen Gesetz weiter gehende Rechte als die Presse.
Der RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg), der die Sendung verantwortet, wäre gut beraten, rechtlich stramm gegen die Täter vorzugehen. Justus Kaufhold, RBB-Redakteur, ist da eher unentschieden: „Dass wir reingelegt wurden, ist unstrittig.“ Man gebe aber zu bedenken: „Das war eine Recherche in einem extrem schwer überprüfbaren Bereich.“ Schließlich sei man „um Seriösität bemüht“, frage sich aber auch: „Darf ein Sender wegen sowas beleidigt sein? Oder misst man dem dann zuviel Gewicht bei?“
Selbstbespiegelung, um der Opferrolle zu entgehen, hilft indes wenig. Nicht nur, dass das „Kommando“ neue Fälschungen ankündigte. Es ist sogar logisch, dass arglistige Täuscher und vorsätzliche Betrüger sich immer dreister als „Journalistenreinleger“ profilieren wollen. Wie nebenbei unterminieren sie spielerisch das Vertrauen in die Öffentlichkeit. Wem das nützt? Der Konkurrenz von „Polylux“ etwa. Denen, die eh faken. Und den Werbekunden der Privaten, die immer noch mehr Publikum in einer Zielgruppe unter 40 wollen und die für die Quote fast alles tun würden. Hier formiert sich eine neue Art der Medienkriminalität.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Inhalte brauchen Moderation

Theresa Lehmann ist Tiktok-Expertin bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sie leitete das Modellprojekt pre:bunk, das zum Ziel hatte, Jugendliche mit Videoformaten zu Desinformation auf TikTok zu sensibilisieren. Mit M sprach sie über Regulierung, Verbote und Gefahren von Social Media.
mehr »

Die Newsfluencer kommen

In Deutschland vertraut eine Mehrheit der Menschen beim Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch immer mehrheitlich auf klassische Medien. Das ist eine Erkenntnis aus einer im Oktober 2025 veröffentlichten Studie des Reuters Institute. Die britische Denkfabrik wollte herausbekommen, wie Menschen sich im Netz informieren. Dafür sind Personen in 24 Ländern befragt worden.
mehr »

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen

Angriffe auf Journalist*innen nehmen zu, online wie auf der Straße. Umso wichtiger, Pressefreiheit nicht nur als Prinzip zu verstehen, sondern sie im Alltag zu verteidigen. Mit diesem Anspruch lud die Jugendpresse Deutschland Anfang November rund 80 junge Medieninteressierte nach Dresden ein. Bei der „YouMeCon kompakt“ ging es um journalistisches Handwerk, Verantwortung und darum, wie man Menschen schützt, die berichten.
mehr »