Alarmpfiff

Eine kleine Normänderung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) soll den Informantenschutz für Arbeitnehmer wesentlich verbessern. Doch Verbände und Sachverständige halten das für unzureichend. Die Parteien sind sich noch uneinig. Ein Blick nach Großbritannien und USA zeigt jedoch, dass ein umfassender Schutz nicht nur nötig, sondern auch möglich ist.

Journalisten sind oftmals auf Hinweisgeber, Informanten, Whistleblower angewiesen, wenn es um die Aufdeckung von Missständen geht. Jüngstes Beispiel: Die Telekom-Schnüffelaffäre, die ein Informant mit einem kleinen Fax an die Spiegel-Redaktion auslöste. Das interne Hinweisgebersystem der Telekom, das bereits frühzeitig auf die Umtriebe der Konzernsicherheit hätte hinweisen müssen, musste bei diesem Fall versagen – kam der Aufklärungsauftrag doch ganz von oben. Dennoch setzt Telekom-Chef René Obermann jetzt auf einen „Kulturwandel im Denken“. Er ermuntert Mitarbeiter ausdrücklich, in kritischen Fällen nicht zu schweigen, sondern Hinweise weiterzugeben.
Ein Umdenken scheint notwendig: Warnt doch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) angesichts eines geplanten gesetzlichen Informantenschutzes sehr eindringlich vor „Denunzianten“ in der Belegschaft. Dass das Verpfeifen aber auch ein Alarmpfiff sein kann, zeigt der Fall der Tierärztin und Stallveterinärin Margrit Herbst. Sie hatte sich betriebsintern lange vergeblich darum bemüht, BSE-Verdachtsmomente bei Schlachttieren gründlicher abklären zu lassen. Als sie schließlich in einem letzten Schritt in Fernsehsendungen über die Gefahr berichtete, wurde sie fristlos entlassen. Bis heute ist sie arbeitslos.
Einen gesetzlichen Schutz für Informanten, die auf Missstände hinweisen, gibt es in Deutschland bis heute nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen sich Arbeitnehmer in der Regel zunächst intern um Klärung bemühen, bevor sie sich an zuständige Behörden wenden können. Ein Problem für den Whistleblower besteht darin, dass er, wenn eine Repressalie wie eine Kündigung nicht explizit wegen des Whistleblowings erfolgt, neben der Rechtmäßigkeit seines Handelns auch seinen Schaden sowie den Zusammenhang zwischen Whistleblowing und Repressalie vor Gericht nachweisen muss.
Die geplante Normänderung im BGB soll nun Arbeitnehmern mehr Rechtsschutz gewähren. Der Entwurf sieht vor, dass ein Arbeitnehmer sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass er „auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung“ ist, dass im Betrieb oder bei einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden. „Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nach“, heißt es weiter, „hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden.“

Rückendeckung für Whistleblower

Die Unterstützung für die Whistleblower-Norm bröckelt in der Unionsfraktion schon jetzt unter dem Eindruck der klaren Ablehnung seitens der Arbeitgeberverbände: Die verbraucherpolitische Sprecherin der CDU, Julia Klöckner, warnt, dass eine solche Regelung das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer „erheblich stören“ könnte. Die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann vom Ausschuss für Arbeit und Soziales lehnt die geplante Normänderung „entschieden“ ab, da sie „Türen zum Denunziantentum“ öffne.
Die SPD-Fraktion hingegen unterstützt die Normänderung mit gewerkschaftlicher Rückendeckung. Die zuständige Berichterstatterin der Fraktion, Marlies Volkmer, hält den Vorschlag für „ausgewogen“. An die zuständigen Behörden sollen sich Arbeitnehmer erst dann wenden dürfen, wenn „unmittelbare Gefahren für Leben und Gesundheit“ drohen, „Straftaten begangen werden oder konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass eine innerbetriebliche Abhilfe bei anderen Gesetzesverstößen nicht erfolgt“. Während sich die Koalitionsparteien angesichts der kleinen Normänderung bereits in klassische Stellungskriege zu verschanzen drohen, könnte ein Blick ins Ausland neue Perspektiven eröffnen: In den USA können Whistleblower sogar auf Schadensersatz klagen, wenn sie aufgrund ihrer Hinweise benachteiligt werden. Dort gibt es seit 1978 einen eigenen „Whistleblower Protection Act“ sowie seit 2002 den „Sarbanes Oxley Act“, der insbesondere börsennotierte Unternehmen verpflichtet, Warnhinweisen nachzugehen und deren Diskriminierung unter Strafe stellt. In Großbritannien ermöglicht seit 1999 der „Public Interest Disclosure Act“ (PDIA) das Whistleblowing im „öffentlichen Interesse“. PIDA unterstützt vor allem internes Whistleblowing lässt aber auch Anzeigen an explizit aufgelistete Behörden zu. Die Beweislast für die Repressalien liegt hier überdies nicht beim Whistleblower, sondern bei der beschuldigten Organisation.
Internationale Studien zeigen zudem, dass Whistleblower sich in den meisten Fällen zunächst an interne Stellen wenden. Angelehnt an PIDA fordert der als Sachverständige für die Anhörung im Verbraucherausschuss geladene Guido Strack, Vorstand des Whistleblower-Netzwerks e.V., deshalb ein Wahlrecht zwischen innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Stellen. Das aber lehnen CDU und SPD bislang als „fundamentalistisch“ ab. Strack, selbst Whistleblower, weiß jedoch, dass ein Arbeitnehmer nur dann auf Missstände hinweist, wenn er darauf vertrauen kann, dass seinen Hinweisen tatsächlich nachgegangen wird. Strack: „Im Falle eines Wahlrechts hätten die Whistleblower ein wesentlich kleineres Risiko und die Firmen müssten sich darum bemühen Hinweisgebersysteme so auszugestalten, dass sie nicht nur für die Geschäftsführung, sondern auch für die Beschäftigten attraktiv sind.“ Im Gegenzug sollten die Unternehmen gegenüber unerlaubter Informationsweitergabe durch die außerbetrieblichen Stellen abgesichert werden. Der Whistleblower sollte sich aber „in besonderen Ausnahmefällen und grundsätzlich nur nachrangig“ an Parlamentsabgeordnete oder Journalisten wenden dürfen. Solch eine Möglichkeit wird derzeit aber noch von allen Fraktionen im Bundestag rundweg abgelehnt. Auch dort ist wohl ein „Kulturwandel im Denken“ notwendig.

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