Das Blättchen

Im Januar feierte das in Berlin erscheinende „Blättchen“ gemeinsam mit treuen Autorinnen und Autoren, Freunden und Sympathisanten den Start in sein zehntes Jahr. Die Macher Jörn Schütrumpf und Wolfgang Sabath hatten zu entspannter Runde geladen, „weil wir uns sonst kaum sehen und alles per e-mail abwickeln.“

Wer das unspektakuläre Zweiwochenblatt im Schulheftformat in der Hand hält und sich in der Pressegeschichte etwas auskennt, fühlt sich sofort an die von Siegfried Jacobsohn 1918 begründete „Weltbühne“ mit ihren Protagonisten Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky erinnert. Das kräftige Orangerot des schlichten Covers mit schwarzer Schrift, Fließtexte, von deren Lektüre nichts ablenkt, konsequent bilderlos. Die traditionsreiche Zeitschrift erschien ab 1946 wieder in der DDR, wurde nach der Wende eingestellt und in linken Intellektuellenkreisen schmerzlich vermisst. Im Januar 1998 suchten gleich zwei Folgeblätter unabhängig und ohne voneinander zu wissen, die Lücke zu schließen. Eckart Spoo, ehemals Redakteur der Frankfurter Rundschau und dju-Vorsitzender, brachte „Ossietzky“ auf den Markt. Historiker Schütrumpf und Journalist Sabath, der bei Sonntag und Freitag gearbeitet hatte, entliehen sich den Kosenamen „Blättchen“ bei Jacobsohn für ihre „Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“. Seitdem pflegen sie darin ein gemischtes Konzept von Inlands-, Auslands- und Kulturthemen, legen Wert auf politisch Unterhaltsames jenseits des Mainstreams. Ein Feuilleton pro Ausgabe ist Pflicht, dazu in zwei Rubriken am Schluss Antworten und Bemerkungen. Wenn`s passt, werden Blöcke zu Landespolitik oder geschichtlichen Ereignissen zusammengestellt. Im Augenblick läuft Lyrik, die gegen den Strich bürstet.
Alle zwei Wochen findet sich das Zweierteam des Blättchens virtuell zusammen, wählt aus einem „Berg von Zusendungen“ die in die Heftstruktur passenden Themen aus, redigiert und layoutet selbst. „Wir sind nur für uns verantwortlich, genießen es, dass keiner reinredet.“ Wobei Sabath die Gefahr einräumt, dass die Sicht zu eng werden kann, wenn nur zwei das Blatt machen. Deshalb suchen sie auch nach „neuen Autoren, die durch unkonventionelle Meinungen auffallen.“ Ausschlussgrund: „Rechtes Gedankengut drucken wir nicht.“ Erstaunlicherweise, so Sabath, „schreiben kaum Journalisten für uns – wahrscheinlich, weil wir keine Honorare zahlen können. Aber wir haben Verbindungen zu Persönlichkeiten aus vielen Bereichen, die herumkommen und gut schreiben können.“ Seitdem die Rechte frei sind, wird auch gern auf Tucholskys Texte zurückgegriffen.
Die Koexistenz mit Ossietzky ist ein „Dauerbrenner“, weiß Sabath, „aber wir bestehen nebeneinander ohne ausgesprochenes Konkurrenzgefühl“. Vielleicht weil – eher unbeabsichtigt – das Blättchen vorrangig im Osten und Ossietzky vor allem im Westen gelesen wird. Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert, glaubt Sabath nicht. Mit einer 2500er Auflage, dem Abo-Verkauf und der Unterstützung durch den Freundeskreis hält sich das Blättchen plusminus Null über Wasser. Um bekannter zu werden, fehlt Geld für Werbung. „Wir leben von Mund-zu-Mund Propaganda“, meint Sabath und freut sich, dass dabei die Leserschaft schon in Richtung jüngeres und studentisches Publikum umschlägt. Das stimmt ihn hoffnungsvoll fürs Blättchen.

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