Bittere Kröten

FR: „50 minus X“, Betriebsvereinbarung und Sozialplan

Nein, es steht nicht gut um das linksliberale Schlachtross des überregionalen Printjournalismus. Schwindende Auflage, rote Zahlen, wechselnde Eigentümer und fortgesetzter Personalabbau sind die unrühmlichen Stichworte, mit denen die Frankfurter Rundschau immer wieder in die Schlagzeilen gerät.

Bis zu 200 Stellen wolle man bis Ende 2007 streichen, kündigte die Geschäftsleitung im Herbst an, darunter 120 mittels betriebsbedingter Kündigungen. Betriebsrat und Belegschaft liefen Sturm. Ende Januar einigte man sich auf eine Betriebsvereinbarung und einen Sozialplan. „50 minus X“, auf diese Formel bringt die Betriebsratsvorsitzende Ingrid Eckert die übrig gebliebenen betriebsbedingten Kündigungen. Die umfangreichen Outsourcing-Pläne der Geschäftsleitung konnten weitgehend verhindert werden.
Wirtschaftlich befindet sich die FR bereits seit Ende der Neunziger Jahre in heftigen Turbulenzen. Die Auflage sank seit der Jahrtausendwende um 30.000 Exemplare auf heute unter 150.000, der geschrumpfte Anzeigenmarkt im Printbereich kam hinzu. Von noch 1650 Mitarbeitern im Jahr 2001 beschäftigt man mittlerweile nur noch knapp die Hälfte. Jetzt werden es noch einige weniger. „Wenn es einen Sozialplan gibt, ist das nie ein Erfolg“, räumt Ingrid Eckert ein, „wir konnten nur Schadensbegrenzung betreiben“, ergänzt ihr Betriebsratskollege Lothar Birzer. Die Kölner Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg (MDS), die im letzten Sommer die Mehrheitseignerschaft von der SPD-Medienholding DDVG übernahm, schlug schnell eine deutlich schärfere Gangart an. „Die Ursprungsforderung der Geschäftsleitung war hammerhart“, erklärt Marcel Bathis, Sprecher der ver.di-Vertrauensleute. Geschäftsführer Karl-Heinz Kroke zog nach dem Einstieg der MDS-Gruppe umgehend die Option einer Öffnungsklausel im Haustarifvertrag und verordnete unter dem Slogan „Offensive 2008“ massiven Personalabbau. Die Belegschaft reagierte mit Protest, organisierte im Dezember einen Warnstreik und begann sich, so Birzer, „erstmals richtig zu wehren“. Die auch dank der solidarischen Un­terstützung der Kollegen nun zustande gekommene Rahmenvereinbarung muss in vielen Details noch ausgehandelt werden.
Dennoch lässt sich schon jetzt sagen: Das Ergebnis birgt manch bittere Kröte. Zuvorderst die betriebsbedingten Kündigungen, die in erster Linie in den Redaktionen (hier vor allem in den Lokalressorts im Umland) und im Versand zu erwarten sind. „50 minus X“, kommt dadurch zustande, dass offenbar eine beträchtliche Zahl von Beschäftigten auf die so genannten Fluktuationsanreize der Geschäftsleitung eingehen wird: Die verlassen die Rundschau und erhalten eine Abfindung. Daher rechne man letztlich mit deutlich weniger betriebsbedingten Kündigungen, deutet Bathis an. Zudem werden befristete Verträge nicht verlängert und Altersteilzeitberechtigte freigestellt. Für die vom Stellenabbau Betroffenen wird eine Transfergesellschaft eingerichtet, außerdem steht ein Härtefonds bereit. Darüber hinaus musste man in einigen Abteilungen (Poststelle, Pforte, Anzeigen) tiefere Lohn-Eingruppierungen akzeptieren. „Jedoch nicht unter Tarif“, betont Ingrid Eckert. Die geplante Auslagerung von Anzeigen­administration, Poststelle, Gebäude­management, Einkauf und Rechnungs­wesen konnte vollständig abgewendet werden. Klassisch outgesourct wird nur die IT-Abteilung.

Neue Leser durch Tabloidformat?

Ob die Sanierungswelle beim Traditionsblatt damit ihr Ende erreicht hat, dürfte vor allem davon abhängen, wie die für den Sommer anvisierte Umstellung auf das nur etwa halb so große Tabloidformat von den Lesern angenommen wird. Die Geschäftsleitung verspricht sich von der „U-Bahn-Freundlichkeit“ des künftigen Formats neue Leserkreise, und kündigt an, die linksliberale Ausrichtung werde davon nicht tangiert. Medienexperten sehen die Chancen dieses Schritts vor allem darin, dass man sich als erste auf dieses Format wechselnde größere Zeitung eine Art natürliches Definitionsrecht für die Anzeigenpreise auf diesem Sektor sichert. Klar scheint auf jeden Fall, dass die Leidensfähigkeit der verbliebenen FR-Belegschaft in den letzten Jahren über Gebühr strapaziert wurde. Das jahrzehntelang prägende eher kollegiale Miteinander von Geschäftsleitung und Belegschaft wirkt angekratzt. „Aus unserer Sicht muss jetzt ein endgül­tiger Punkt erreicht worden sein“, stellt Betriebsrätin Eckert klar, „sonst geht der letzte Rest an Wir-Gefühl auch noch verloren“.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Mit Recht und Technik gegen Fake News

Als „vielleicht größte Gefahr“ in der digitalen Welt sieht die Landesanstalt für Medien NRW (LFM) die Verbreitung von Desinformationen. Insbesondere gilt das für die Demokratische Willensbildung. Daher wird die Aufsichtsbehörde ihren Scherpunkt im kommenden Jahr genau auf dieses Thema richten. Aber wie kann man der Flut an Fake News und Deep Fakes Herr werden?
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »