Bürgerfunk in Frage gestellt

NRW: Reform zu Gunsten kommerzieller Sendezeiten

Eine Besonderheit des Landesrundfunk­gesetzes NRW macht ihn möglich: Den Bürgerfunk, für den die kommerziellen Hörfunkanbieter nicht kommerziellen Gruppierungen täglich maximal zwei Stunden ihrer Sendezeit bereitstellen müssen. Das soll sich ändern, denn die CDU-FDP-Regierung in Düsseldorf will die Sendezeit auf eine Stunde halbieren und die soll erst um 21 Uhr beginnen, wenn erfahrungsgemäß niemand mehr zuhört. Bürgerfunker/innen fürchten: Das ist das Ende.


Neben der Kürzung der Sendezeit und der Verlegung auf einen garantiert schlechten Sendeplatz ist auch die Verteilung von Zuschüssen durch die Landesanstalt für Medien (LfM) offen. Ralf Woelk, Vorsitzender des Vereins „Gewerkschaften für den Bürgerfunk“ (GfB): „Der Sinn und Zweck des Bürgerfunks wird damit in Frage gestellt. Der Fortbestand der zurzeit rund 160 Radiowerkstätten ist durch die unklare Weiterfinanzierung stark gefährdet. Die Landesregierung schafft somit den Bürgerfunk nicht unmittelbar ab, aber sorgt durch die Rahmenbedingungen dafür, dass den Werkstätten die Grundlage für eine Weiterarbeit entzogen wird.“

Gewerkschaftliche Themen oder Berichte über Bürgerbegehren sind in den kommerziellen Lokalradios völlig unter­repräsentiert. Das war ein Grund dafür, dass sich die Gewerkschaften von Anfang an mit Radiowerkstätten, derzeit 15, und im Verein GfB beteiligt haben. Im ver.di-Institut für Bildung, Medien und Kunst in Lage / Hörste arbeitet Wolfgang Benning für die Radiowerkstatt „Hörste Radio Deck 2“: „Die Lokalfunksender wollen ‚Durchhörbarkeit‘, keine politischen Sendungen oder auch keine Literatursendungen, wie wir sie produzieren. Für mich ist klar, es geht nur um mehr Werbemöglichkeiten für die kommerziellen Sender, es geht um die Interessen des Kapitals.“

Sieg der Verlegerlobby

Ein Knackpunkt der Novelle ist auch die neue Vorgabe, alle Programmbeiträge müßten einen Lokalbezug haben. Ralf Woelk: „Es gibt keinen Grund, warum sich produzierende Gruppen in ihren Beiträgen nicht auch mit allgemeinen gesellschaftlichen Themen wie Rassismus oder EU-Verfassung auseinander setzen sollten.“ Was genau mit Lokalbezug gemeint ist, soll die LfM festlegen, desgleichen die Qualifizierung der Produktionsgruppen vor Ort und die Förderung von Medienkompetenzprojekten. Die Reform wird nämlich damit verkauft, der Bürgerfunk solle nun für die Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern sorgen. Ralf Woelk: „Einerseits wird dem Bürgerfunk, der in der tagtäglichen Arbeit längst praktizierte Funktionsauftrag zur Vermittlung von Medienkompetenz in das Gesetz geschrieben, andererseits jedoch die Rahmenbedingungen für die Umsetzung zum einen zu straff gezogen, zum anderen die künftige Förderung der Strukturen derart unklar gelassen, dass ein Fortbestand der Bürgerfunkstrukturen in seiner jetzigen Form ernsthaft bezweifelt werden darf.“
Der Landesregierung geht es angeblich auch um Qualitätsverbesserung. Aber der Bürgerfunk ist besser als sein nun verbreiteter Ruf, wie Studien zeigen. Marc Jan Eumann, medienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, fürchtet: „Unter dem Deckmantel der Qualitätsverbesserung erreichen die Koalitionsfraktionen genau das Gegenteil, mit der Verschiebung der Sendezeit und der Reduzierung des Volumens wird es für viele nicht mehr attraktiv, sich zu beteiligen. CDU und FDP läuten den leisen Tod des Bürgerfunks auf Raten ein.“ Die Bürgerfunker/innen sind zum größten Teil Ehrenamtler, die in Sonntagsreden immer gelobt werden.
Bettina Lendzian vom Vorstand des Landesverbandes Bürgerfunk NRW e.V. findet: „Hier wird das Engagement Zehntausender mit Füßen getreten.“ Alleine in Münster, so die Journalistin, gäbe es 90 Gruppen, die Sendungen gestalten. „Da­runter ist die ureigenste Klientel der CDU, die Landfrauen, die Kreisjägerschaft oder die katholische Frauengemeinschaft.“ MdL Eumann glaubt, dass „Partizipation und Vielfalt für die Regierungsfraktionen keine Rolle spielen“. Der Verein der Chefredakteure der 46 NRW-Lokalradios bekundete derweil seine „Zustimmung“ zur Novelle und Betreiber wie die WAZ-Mediengruppe meldeten „volle Unterstützung“ für die Erfüllung ihrer langjährigen Forderungen und versprach „weitere ökonomische Stabilisierung“. Kein Wunder: Die Zeit vor 21 Uhr würde von werbefreien Bürgersendungen bereinigt für Werbung frei. Jutta Klebon von ver.di-NRW hält denn auch Qualitätsdebatten für vorgeschoben: „Das ist schlicht ein Sieg der Verlegerlobby.“ Die Verbände, Vereine und Institutionen, neben den Gewerkschaften die katholische Kirche oder der Volkshochschulverband, wehren sich. Mitte März gab es eine Protestkundgebung mit prominentem Kulturprogramm in Köln, die auf den 27. März terminierte Anhörung im Landtag mußte wegen des regen Zuschauerinteresses in den Plenarsaal verlegt werden. Das Gesetz soll im Sommer verabschiedet werden.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »