Anfütter-Debatte auch in Österreich, beschrieben in der Zeitung Der Standard
Ein Prosit auf die Presse! Stoßen Sie an auf Ihren Job und machen Sie Ihr Spiel! Und das alles noch mit einem Glas Prosecco „als Willkommensgetränk in allen österreichischen Casinos“ – wenn, ja wenn Sie einen ÖJC-Presseausweis vorweisen können. „Anfüttern“ von Politikern ist pfui? „Antrinken“ von Pressevertretern okay? Wer unsaubere Geschäfte anderer kritisieren will, muss auch den eigenen Laden sauber halten. Da müssen sich Journalisten auch kritische Fragen gefallen lassen. Denn sie sind mitten unter uns: die Rabattjäger mit Presseausweis.
Der Österreichische Journalisten Club etwa verspricht seinen rund 6.700 Mitgliedern auf seiner Internetseite eine ganze Liste an Goodies – von Sonderkonditionen für Konten und Kreditkarten bis zu billigeren Schwefelschlammpackungen im slowakischen Heilbad Smrdáky. Ein gültiger Presseausweis – der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) nennt ihn „die harte Währung der Branche“ – wird vom Österreichischen Kuratorium für Presseausweise nach strikter Prüfung ausgestellt. 2011 waren rund 5.850 im Umlauf. Dieser Ausweis öffnet ebenfalls spezielle Türen – etwa mit einer „Vorteilscard Presse“ in die erste Klasse der ÖBB, zum halben Preis der zweiten Klasse. Upgrading zur Very Important Person (VIP) inklusive – die VIP-Lounge wartet. Diese Reisevergünstigung hält Andreas Koller, Innenpolitikchef der Salzburger Nachrichten und Senatssprecher des Österreichischen Presserats, für einen „Grenzfall“. Sie sei in erster Linie ein Privileg für Verleger, die sich angemessene Reisespesen für ihre Redakteure ersparten. Generell registriert Koller „keine allzu großen Unsitten“ in der heimischen Journalistenszene – und geht nicht davon aus, dass Bestechungsgeld massenhaft die Hände wechsle. Was Kollegen aber sehr wohl vielfach annehmen, sind Einladungen: zu Reisen etwa, oder zum Autotesten. Koller, der auch schon mal auf Einladung der EU-Kommission in Brüssel war, findet das aus reinem Pragmatismus unvermeidbar, da wegen der knappen Budgets der Medien Autotests sonst ebenso wenig stattfinden würden wie viele Reportagen aus fernen Ländern.
Voraussetzung sei Transparenz: Im Artikel müsse ausgewiesen werden, wer den Spaß zahlt. Auch Hannes Haas, Professor für Journalismusforschung an der Uni Wien, pocht im Standard-Gespräch auf Transparenz, wenngleich nicht alles, was Betriebe oder Betriebsräte für Mitarbeiter organisierten (in anderen Firmen z. B. Winterreifen), verboten sei. Es sei eine „Gratwanderung“. Haas plädiert angesichts der aktuellen „Anfütter“-Debatte in der Politik auch für „vertrauensbildende Maßnahmen“ der Medienbranche. Das fange an beim Problemfeld „Medienkooperationen, die ein grundlegendes Verdachtsmoment sind“ und für die Leser klar ausgeschildert sein müssten. Ein Blick ins österreichische Mediengesetz reicht da eigentlich: Paragraf 26 schreibt die „Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen“ vor. In der Realität sei das aber oft „totes Recht“, sagt Haas, weil oft ignoriert. Der Medienforscher sieht in der „Anfütter“- Debatte eine „Chance, die Anforderungen an die Branche als solche zu präzisieren“ – im Rahmen der „längst fälligen Überarbeitung“ des „Ehrenkodex für die österreichische Presse“ von 1999, „nicht individualisiert in einzelnen Medienhäusern, sondern systemisch für den ganzen Bereich“.
Maßstab neues Korruptionsgesetz
Presseratsvertreter Koller rät Kollegen: Wer gegen Politiker „die Korruptionskeule schwingt“, solle gar keines der vielen Rabattangebote annehmen: „Das ist unvereinbar.“ Journalisten sollten sich an mindestens so strenge Regeln halten, wie das Amtsträger müssen: „Die neuen Antikorruptionsgesetze werden da ein tauglicher Maßstab sein.“ Und bis es die gibt, müssen Medien bei sich die strengen Maßstäbe anlegen, die sie in ihrer Funktion als demokratiepolitische Kontrollinstanz von den Politikern zu Recht einfordern. Auch die Wirtschaft ist zum Teil schon sensibilisiert. Die deutsche Volkswagen AG etwa weist in einer „exklusiven Einladung“ an ausgewählte Medienvertreter für das „22. Europakonzert der Berliner Philharmoniker“ am 1. Mai in der Spanischen Hofreitschule in Wien extra darauf hin, dass die Einladung unter dem Vorbehalt der „in Ihrem Hause geltenden Regularien“ steht. Da gilt: Neinsagen zu ehrenvollen Einladungen verträgt sich mit journalistischer Ehre und Ethik in der Regel besser als unreflektiertes Jasagen.
Mit einem Presseausweis kommt man nicht nur in die Hofburg, ins Bundeskanzleramt oder zum halben Zweite-Klasse-Preis in die erste Klasse der ÖBB. Wenn sie wollten und Mitglieder diverser Journalistenclubs sind, könnten Medienvertreter beispielsweise neben billigeren Badekuren auch billiger fliegen (Rabatte bei Air Berlin und Niki), Auto- oder Motorradfahren lernen („tolle Rabatte der Start-Up Fahrschule“) und dann parken (in Apcoa-Parkhäusern), aber auch besser sehen (minus 25 Prozent auf Brillen von Mister Spex) und besser aussehen („Sondervereinbarungen mit den Fitnessclubs Holmes Place und John Harris Fitness). Als „Service“ für Mitglieder verspricht die Homepage des Österreichischen Journalisten Clubs auch billigeres Haareschneiden („Sonderrabatt von 50 Prozent im Salon Josef Winkler – Hair Couture) oder günstigere Maßanzüge („Homeservice der Firma Aull“). Es gibt aber natürlich auch berufsspezifische Angebote wie kostenlose Rechtsberatung in Medienfragen durch Vertrauensanwälte.