Rundfunk im Umbruch: 2002 wird ein entscheidendes Jahr
Der deutsche Rundfunk ist im Umbruch, und dieses Jahr werden dafür die Weichen gestellt. Selbst Branchenkenner orakeln: „Es wird kein Stein auf dem bleiben!“ Auch wenn das überzogen radikal klingt angesichts der anderen Tatsache, dass das duale System von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern Bestand haben wird, sind doch Einschnitte vorhersehbar.
Zum einen ändert sich die Mediengesetzgebung in wesentlichen Teilen, selbst wenn einige Staatsverträge erst 2004 / 2005 wirksam werden. Zum anderen befindet sich die Branche durch die schlechte Werbelage mit bis zu 15 Prozent Einnahmerückgang unter Druck, was zu Konzentrationsprozessen bei Radio und TV führt (s. S. 8 / 9). Die Auswirkungen reichen bis in angrenzende Bereiche wie die Produzenten- und Film-/ Rechtehandelszene, zumal die Veräußerung von Unternehmensanteilen nun steuerfrei ist.
Dazu kommt noch der näher rückende Umstieg von Analog- auf Digitalübertragung, besonders beim Radio (s. S. 10 / 11).
Der dritte, weitgehend unterschätzte Faktor, ist der Verkauf der Kabelnetze (s. S. 9 / 10). Sie sind mit 60 Prozent aller Haushalte der wichtigste Übertragungsweg und müssen sich auf amerikanische oder besser internationale Verhältnisse einstellen. Weltweit gelten nämlich Kabelkunden als Nutzer von Bezahlfernsehen (Pay-TV) – nur Deutschland ist bislang eine Insel der Glückseligen.
„Wir haben die Reform der Medienordnung erfolgreich auf den Weg gebracht“, verkündete der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck bereits vor drei Monaten. Da standen zwar Eckpunkte für den 6. Rundfunkänderungsstaatsvertrag fest, aber in den Details steckt bekanntlich der Teufel. Die avisierte Paketlösung der Landesfürsten besteht aus drei Teilen: Während die Öffentlich-rechtlichen sich ab 2004 auf ein neues Gebührenmodell (ein Monatsbetrag pro Haushalt und Betriebsstätte) einstellen sowie ARD und ZDF ihren Grundversorgungsauftrag durch Selbstverpflichtungen als Funktionsauftrag präzisieren müssen, bekommt die Politik mehr Informationsrechte. Die Jahresabschlüsse der Anstalten und ihrer Tochterunternehmen werden schon dieses Jahr nicht mehr nur durch die eigenen Gremien Verwaltungs- und Rundfunkrat, sondern auch durch die Landesparlamente kontrolliert.
Bonus für Regionale
Für Privatsender, besonders das Free-TV, ändern sich die Konzentrationsregeln. Galten bisher 30 Prozent Zuschauermarktanteil für einen Kanal oder eine Senderfamilie als kritische Grenze, sollen es künftig schon 25 Prozent sein. Allerdings gewährt die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) als Organ der Landesmedienanstalten Bonuspunkte für regionale Programme und Sendungen unabhängiger Drittanbieter, so dass sich ein „Delinquent“ durchaus bis 30 Prozent ausdehnen kann. Erst dann wird „vorherrschende Meinungsmacht“ befürchtet, stehen Aktivitäten des Veranstalters auch in angrenzenden Bereichen wie TV-Produktion und Film- bzw. Rechtehandel auf dem Prüfstand.
Den großen Wurf wollten die für Rundfunk als Kulturgut zuständigen Ministerpräsidenten allerdings beim Jugendschutz landen. Der ist bislang noch arg zersplittert: Die beim Familienministerium angesiedelte Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist im wesentlichen auf Printerzeugnisse beschränkt, listet aber auch bedenkliche Videos, PC-Spiele sowie Internet-Angebote auf, wogegen die Landesmedienanstalten den Privatfunk überwachen. Daneben gibt es freiwillige Selbstkontrolleinrichtungen für Fernsehen (FSF) und Multimedia (FSM) sowie Kino (FSK), wobei letztere allerdings mit staatlichen Jugendschützern zusammen verbindliche Filmeinstufungen vornimmt. Nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrollierte sich bisher selbst bzw. durch seine Rundfunkräte als Vertreterinnen gesellschaftlich relevanter Gruppen.
Klare Kompetenzen
Sah der ursprüngliche Entwurf des für 2002 geplanten neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMSTV) noch die Einbeziehung von ARD und ZDF vor, ist das nun vom Tisch. Dafür wird es künftig nicht mehr möglich sein, „Big Brother“ in entschärfter Fassung im Fernsehen zu zeigen, zugleich aber mit Webcams aus Schlafräumen und Bädern scharfe Live-Bilder übers Internet anzubieten. Die begrüßenswerte Vereinheitlichung hat allerdings Haken, denn im TV sind zwar Sendezeitbeschränkungen sinnvoll, im weltweiten Netz allerdings sinnlos. Die Lösung liegt eher in technisch-organisatorischen Vorkehrungen, wie die Multimediabranche zu Recht anmahnt. Auf alle Fälle wird der noch für dieses Jahr geplante JMSTV ein Durchbruch sein, denn Bund und Länder haben ihr Kompetenzwirrwarr in eine vernünftige Arbeitsteilung überführt: Für Jugendschutz in allen elektronischen Medien sind eher die Länder, für Datensicherheit vor allem der Bund zuständig.
Zugleich wird am Beispiel Jugendschutz deutlich, wohin die Reise generell auch im Rundfunk- und Medienrecht geht: Weniger Regulierung und mehr Selbstkontrolle. Die Balance soll im konkreten Fall eine Zentralkommission finden, die mit Vertretern des Bundes, von den Ländern ernannten Experten und Privatfunkkontrolleuren der Landesmedienanstalten besetzt ist. Sie zertifiziert Selbstkontrolleinrichtungen der Branche, deren Prüfurteil dafür verbindlicher wird – für die betroffenen Unternehmen wie auch die öffentlichen Kontrollgremien. Ähnliche Modelle wird auch der 6. Rundfunkänderungsstaatsvertrag für andere Bereiche wie Sender-Lizenzierung, Kabelbelegung und Digitaler Zugang zu Übertragungswegen vorsehen.
Gerade beim Kabel, das sich nun vom staatlich subventionierten Verteilnetz zum profitablen Multimedium wandelt, läuft noch eine Prüfungen der Ministerpräsidenten. Im Zentrum steht die Frage: Reichen die bisherigen Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages über diskriminierungsfreie Verbreitung von Programmen und Diensten sowie offene Technikstandards zur Vielfaltsicherung bei Inhalten aus? Den Ausschlag, ob es dabei zu einem Transportgebot (must carry) nur für den öffentlich-rechtlichen oder auch den Privatfunk kommt, gibt u.a. die Bundeskartellamtsentscheidung zum Kauf von sechs der neun Regionalnetze der Telekom durch den US-Konzern Liberty Media. Von Anfang Januar auf 28. Februar verlängert, könnte am Ende der Prüfung durchaus ein ok. zum Kauf der Netzebene 3 stehen – allerdings mit Auflagen.
Eine dieser Auflagen hängt mit dem Liberty-Streben zusammen, durch den direkten Zugang zum Kunden (Zukauf von Netzebene 4) vorrangig eigene, z.T. noch zu erwerbende Inhalte anzubieten.
Liberty-Chef John Malone spielt nämlich mit dem angloamerikanischen Medienzar Rupert Murdoch über Bande, um an die Bestände von Deutschlands Film- und Rechtehändlerkönig Leo Kirch zu kommen. Dessen profitabler Handelsbereich Kirch Media, der demnächst mit der ProSiebenSat.1 Media AG zu einer börsennotierten Aktiengesellschaft verschmilzt, erwirtschaftet bislang die Milliardengewinne, die bei Kirch Pay (Abo-TV-Plattform Premiere World) versickern. Ob Murdoch aus Premiere World unter Mitnahme von fast 2 Milliarden Euro aussteigt, den Anteil an Liberty verkauft oder den Laden selbst übernimmt – nicht nur der Pay-Bereich am deutschen TV-Markt verändert sich dieses Jahr rapide.
Auch der Free-Bereich bleibt vom Kabel-Deal nicht unberührt: Schon wird über das Sterben kleinerer Sender oder ihre Eingemeindung in große Senderfamilien spekuliert. Trotz höherer Kabelpreise könnten die Kunden vom Hauen und Stechen am Kabel- und Fernsehmarkt etwas haben, denn: Die im Free-TV sterbenden Spartensender oder die neuen Programme für jeden nur erdenklichen Spezialgeschmack würden sicher in einzelnen Paketen von Kabelnetzbetreibern wieder auftauchen – drei Dutzend verschiedene Digitalprogramme haben schon neue Lizenzen bekommen!
EU will Transparenz
Doch die deutschen Rundfunkgesetze sind keine Single-Lösung, sondern auch von Vorgaben der EU abhängig. So soll es nach dem Willen von Kommission und Europa-Parlament bald ein Paket von fünf Richtlinien vorrangig zur Telekommunikation geben, in denen aber auch Technik- und Transportfragen für Rundfunk geregelt sind. Dazu gehört zum Beispiel der Standard Multimedia Home Plattform (MHP), der die Verbindung von Digital-TV mit Internet und Zusatzdiensten ermöglicht. Er sollte europaweit gelten, nach den jüngsten Brüsseler Beschlüssen ist nur noch von offenen Standards die Rede. Auch auf die Umsetzung der sogenannten Transparenzrichtlinie in Deutschland, die längst überfällig ist, darf man gespannt sein.
Danach gehören nämlich auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zu denjenigen Unternehmen, die zugleich öffentliche Grundversorgung leisten, aber ebenfalls am Markt in Konkurrenz zu Privatfirmen agieren. Die Doppelfinanzierung aus (Zwangs)Gebühren und kommerziellen Einkünften erfordert laut Brüssel getrennte und transparente Buchführung sowie eine klare Funktionsdefinition.
Streit um Verschlüsselung
Bis Ende 2002 will die EU ebenfalls die schon 1997 novellierte Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ von 1989 erneut überprüfen, später ggf. verändern oder durch eine sogenannte „Content-Richtlinie“ ergänzen. Dann könnten außer dem bisherigen Schleichwerbeverbot, Teleshopping Vorgaben und der Free-TV-Pflicht für nationale Großereignisse auch Regeln für Web-TV und Multimedia-Dienste sowie für diskriminierungsfreie Weiterverbreitung von Digital-TV einheitlich gelöst werden. Neuralgischer Punkt ist die Verschlüsselungsproblematik.
Welche Bedeutung das für den TV-Alltag auch jedes einzelnen deutschen Haushalts hat, wird besonders bei Sport, Filmen und anderer hochwertiger bzw. teurer TV-Ware deutlich. Dabei drängen Rechtebesitzer und -verwerter darauf, dass die Sender ihr Ausstrahlungsgebiet z. B. durch Verschlüsselung national einschränken oder höhere Preise zahlen. Zuletzt traf es das ZDF, das auf Druck eines spanischen Pay-TV-Senders die Fußball-WM-Auslosung für die Spiele 2002 in Südkorea / Japan nicht live übertragen durfte.
Überhaupt erwarten Experten am deutschen Radiomarkt 2002 erhebliche Veränderungen. Abgesehen von Werbekrise und steuerfreien Anteilsverkäufen gilt der hierzulande vor allem lokale und regionale Privathörfunk als „unterentwickelt im europäischen Vergleich“. Das meint zumindest die Medienexpertin Isabelle Bourgeois und erwartet künftig bundesweite Ketten von Spartenradios. Auf die Reaktion großer Radiobesitzer wie RTL, der AVE von Holtzbrinck, Burda Broadcast und des Axel Springer Verlags darf man gespannt sein.
Für zusätzliche Verunsicherung am Radiomarkt sorgt der Umstieg von analog auf digital. Seit 15 Jahren wird Digitalradio (früher DAB) entwickelt und in Pilotprojekten getestet, doch die Zahl der Programme und Geräte ist gering. Teuer ist der sich derzeit in einem halben Dutzend Bundesländern vollziehende Übergang in den Regelbetrieb, denn damit läuft oft die bisherige Förderung durch Landesmedienanstalten aus bzw. wird heruntergefahren. Das bedeutet: Parallel zur analogen müssen die Sender auch noch digitale Ausstrahlung bezahlen.