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Ausgezeichneter vorprofessioneller Journalismus:
Ende April wurde der „Alternative Medienpreis 2002“ verliehen

Spätestens seit den bürgerbewegten Zeiten der siebziger Jahre verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen klassischem Journalismus und dem, was Kommunikationswissenschaft „unterbliebene“ oder „Informationen von unten“ nennt. Je mehr sich generelle Zweifel an „objektiver“ Berichterstattung verbreiten, desto selbstverständlicher wird Berechtigung und Sinn alternativer Medien.

1999 haben die Nürnberger Medienakademie e.V. und das dortige „Radio Z“ den „Alternativen Medienpreis“ ins Leben gerufen. Erstmals wurden im Jahr 2000 Hörfunksendungen ausgezeichnet, 2001 kamen Webmagazine und Netzdossiers hinzu. Ende April wurden in Nürnberg wieder sechs Preisträger in den Sparten „Hörfunk“ und „Internet“ gekürt. Jurymitglied Dr. Gabriele Hooffacker von der Journalistenakademie in München kommt „selbst aus der Stadtzeitungsszene“. Das Netz stellt deren moderne Fortführung dar – natürlich mit den bekannten, potenziellen Nachteilen wie mangelnde Professionalität, Layout oder Glaubwürdigkeit. Aber: „Es hat sich viel getan im Bereich alternativer Medien, und das gilt es zu fördern“ , so Hooffacker. Und die meist ehrenamtliche Mitarbeit an Onlinemagazinen oder bei Bürgerradios dienen oft auch wie ein „Durchlauferhitzer“ der Ausbildung von Produzenten und Produzentinnen, die später im sogenannten „seriösen Journalismus“ landen.

Als bestes der eingereichten 50 Projekte im Bereich Internet wählte die Jury das Weblog www.dotcomtod.de (DCT). Die Seite bietet eine Plattform, die der glitzernden Welt der „Start up“ und „New Economy“ ihre dunkle Seite entgegenhält. Indem die oftmals blumigen und – die jüngsten Betrugsfälle am Neuen Markt zeigen es – falschen oder gar betrügerischen Unternehmensmeldungen zurecht gerückt oder mit den wahren Verhältnissen verglichen werden. Offensichtlich nutzen viele Insider, meist vermutlich Firmenmitarbeiter, die Seite zum anonymen Veröffentlichen von Informationen. So konnte man in einigen Pleitefällen Hinweise auf DCT finden, bevor die Wirtschaftsmedien berichteten. Allerdings läuft seit Dezember 2001 ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, nicht gegen die Seite selbst, aber gegen einen der Informationsbeschaffer. Ein Unternehmen hat es angestrengt, weil unbefugt Internas veröffentlicht worden seien.

„Egoistische“ Interviews

Solche Probleme dürfte Robert Herbig, Betreiber der zweitplatzierten Seite www.sagmal.de, kaum bekommen: „Man könnte mich wohl eher als Egoisten bezeichnen. Denn in Wirklichkeit mache ich diese Interviews nur für mich.“ Seit März 2000 hat Herbig 113 Interviews mit mehr oder weniger prominenten „Machern des Web“ geführt und veröffentlicht. Dabei erweist sich fehlende journalistische Ausbildung und Praxis manchmal auch als Glücksgriff: „Wenn ich selbstkritisch bin, dann halte ich meine Fragen auf sagmal.de nicht für besonders geistreich. Die Antworten fast aller meiner Interviewpartner jedoch schon.“ Den dritten Platz erreichte www.abschiebehaft.de, ein Angebot, dass sich eben gegen diese staatliche Zwangsmaßnahme richtet und in erster Linie der Unterstützung sich engagierender Gruppen und Einzelpersonen dienen soll. Das angeschlossene Spektrum ist dabei quer zu den üblichen ideologischen Differenzen und reicht von Jesuiten bis zu weit auf der politischen Linken verorteten Initiativen.

Leider schwer zugänglich

„Die Droge Zucker“ heißt der mit dem ersten Preis ausgezeichnete Radiobeitrag von Uta Knieschewski und Martin Dehnke, ausgestrahlt wurde er auf „Coloradio Dresden“. Der zweite Platz ging an Doris Schmied von AFK 94,5 in München für ihre Sendung „Auswirkungen der NS-Zeit auf die Gegenwart“ – übrigens ein Thema, dass in der Ausschreibung des Preises einen prominenten Rang einnimmt. Für ein „Interview mit dem Totalverweigerer Martin“ schließlich erhielten Andre Plümer und die Radiogruppe im AJZ Bielefeld den dritten Preis. Schade ist allerdings, dass die eingereichten Beiträge nur schwer zugänglich sind. Dieses generelle Manko örtlicher und zeitlicher Beschränkung der lokalen Bürgerradios, dass Coloradio beispielsweise durch den Versand von Mitschnitten auf Kassetten zu umgehen versucht, ließe sich per Internet eigentlich einfach lösen. Zumal Breitbandzugänge auf dem Vormarsch sind, Komprimierungstechniken immer besser werden und reine Audio-Streams auch mit einem 56K-Modem bereits funktionieren. Zumindest die drei erstplatzierten Radiobeiträge können aber auf der Seite von Radio Z angehört werden.


www.alternativer-medienpreis.de
www.dotcomtod.de
www.sagmal.de
www.abschiebehaft.de
www.coloradio.de
http://www.radio-z.net

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