Großes Interesse für Netzwerk Recherche – ein Jahr nach der Gründung
Bei der Jahrestagung des Netzwerk Recherche e.V. Ende April diskutierten mehr als 300 Journalisten aus der gesamten Bundesrepublik über Recherchetechniken und Manipulation von Journalisten. Innenminister Otto Schily ist erster Preisträger der Verschlossenen Auster.
Thomas Leif, Vorsitzender des vor einem Jahr gegründeten Netzwerk Recherche e.V., erläuterte die Symbolik der neuen Preistrophäe: „Die Perle in der verschlossenen Auster nennen wir Öffentlichkeit. Insofern ist dieser Preis ein konstruktiver Preis.“ Der Ausgezeichnete, Bundesinnenminister Otto Schily, den sich die Jury ausgesucht hatte, weil er sich in der Vergangenheit mehr als jeder andere den anwesenden Journalisten als Gesprächspartner verweigert habe, nahm den Preis an – er war sogar selbst für eine halbe Stunde in die Seminarräume des NDR gekommen, um die Verschlossene Auster persönlich in Empfang zu nehmen: „Sie sieht mir sehr ähnlich“, meinte Schily bei der ersten Augenscheinnahme des „Musterexemplars Hamburgischer Heimatkunst“, um dann in seiner Replik auf Ulrich Kienzles Laudatio „Beckstein, Schill, Schily“ Besserung zu geloben: „Ich verspreche, auch Monitor und Panorama in Zukunft für Interviews zur Verfügung zu stehen.“
Optimale Bedingungen
Die Recherche – die gerade in den letzten Monaten immer wieder angemahnte erste Pflicht des Journalisten – sieht sich zunehmend Restriktionen ausgesetzt. „Mehr als 70 Prozent der verbreiteten Nachrichten sind direkt aus den PR-Abteilungen von Unternehmen und Behörden“, zitierte Klaus Bednarz eine mittlerweile zehn Jahre alte Universitätsstudie. Dieses Verhältnis dürfte mit der sprunghaften Zunahme privater oder Online-Medien nicht besser geworden sein, Zeitdruck und Kostenmanagement tun ihr Übriges. Hinzu, so sagte es der frisch gekürte Vize-Chefredakteur des „Stern“, Hans-Ulrich Jörges, käme die „Gefolgschaft“ von Journalisten gegenüber Politikern als Folge eines Systems von Belohnung und Bestrafung: „Berlin ist schlimmer als Bonn.“ Die anwesenden Rechercheteams vom NDR und vom „Spiegel“ stellten ihre teamorientierte Berichterstattung über den 11. September vor: Optimale Recherchebedingungen, wie sie eben nur sehr selten vorkommen. Ansonsten zeichnet das Bild eines investigativen Journalismus in der Bundesrepublik wohl eher die Analyse des „Chef-Enthüllungsjournalisten“ Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir sind kurzatmig und hoppen von einem Ereignis zum nächsten.“ Dass dies nicht so bleiben soll, beweist das große Interesse an dieser ersten Jahrestagung des Netzwerk Recherche mit Podien über die „Berichterstattung nach dem 11. September“, die „Rolle der Medien im Wahlkampf“ und das „Recherchieren im Korruptionssumpf“.
Infos: www.netzwerkrecherche.de