Konzernumbau: Start für ein Bild-Abo-Modell im Netz
Beim Axel Springer Verlag läuft der digitale Umbau auf Hochtouren. Redaktionen werden zusammengelegt, Paid-Content-Modelle eingeführt, der Bau eines Medien Campus in Berlin anvisiert. Neue „Gründerzeit“ oder neue Rationalisierungswelle?
„Wir wollen das führende digitale Medienunternehmen werden“, proklamierte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Anfang März bei der Vorstellung des Geschäftsberichts 2012. Der ehrgeizige Plan ließ sich mit frischen Erfolgsmeldungen unterfüttern. Erstmals erwirtschaftete Springer mit den Digitalen Medien mehr als eine Milliarde Euro Umsatz (von insgesamt 3,31 Mrd.), das ist mehr als mit jedem anderen Geschäftsbereich. Ebenfalls bemerkenswert: Digitale Medien steuerten deutlich mehr als die Hälfte (56,6 Prozent) der gesamten Werbeerlöse des Konzerns bei.
Auf der anderen Seite lässt sich das Schwächeln des „analogen“ Geschäfts nicht übersehen. Betroffen sind nahezu alle Verlage, aber Springer ganz besonders. Der Anzeigenverkauf befindet sich in freiem Fall, auch die Printauflagen einiger Springer-Titel gehen teilweise dramatisch zurück. Dass diese Tendenz offenbar unumkehrbar ist, belegen die Daten des I. Quartals 2013. So büßte Bild im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast 240.000 Exemplare seiner Verkaufsauflage ein, das sind 8,9 Prozent. Verhältnismäßig noch schlimmer traf es Die Welt mit einem Auflagenminus von gut 24.000 Exemplaren, was knapp einem Zehntel (!) der Gesamtauflage entspricht. Erst zum Jahresende war in Hamburg die Lokalredaktion der Welt mit der Redaktion des Hamburger Abendblatts zusammengelegt worden. Damit verlor Springers einstiges Flaggschiff seine letzte „autonome“ Redaktion. Bereits vor zehn Jahren hatte der Verlag den Großteil der Welt-Redaktion mit der Berliner Morgenpost fusioniert.
Vor dem Hintergrund eines schrumpfenden Kerngeschäfts mit den traditionellen Printtiteln nimmt es nicht wunder, dass Springer die Digitalisierung des Konzerns auf allen Ebenen energisch vorantreibt. Am 11. Juni startete der Verlag mit Bildplus sein Abo-Modell für journalistische Inhalte rund um die Marke Bild. Als so genanntes „Freemium“-Modell verbindet es kostenfreie und zahlungspflichtige Angebote. Nach Auskunft von Donata Hopfen, Geschäftsführerin von Bilddigital, soll sich das Verhältnis von gratis „klickbaren“ Artikeln und Bezahlinhalten bei „ungefähr 70 zu 30 Prozent“ bewegen. Ein zu hoher Anteil von kostenpflichtigen Angeboten, so das Kalkül, würde die Reichweitenführerschaft von bild.de (273 Mio. Besuche monatlich) bei den Nachrichtenwebsites gefährden.
Bereits ab 4,99 Euro monatlich ist der User mit Bildplus Digital dabei, stationär und mobil, im Web sowie über Smartphone- und Tablet-Apps. Die volle Bildplus-Dröhnung kostet 14,99 Euro und umfasst den Zugang auf allen digitalen Endgeräten, die Digitale Zeitung von Bild und Bild am Sonntag sowie ein Kiosk-Abo der gedruckten Zeitung in Form eines Gutscheinheftes. Ab August gibt es dann noch die Zusatzoption Bundesliga bei Bild für 2,99 Euro mit aktuellen Kurzclips von den Partien des jeweiligen Spieltags. Freigeschaltet eine Viertelstunde vor Beginn der Highlight-Zusammenfassungen in der ARD-„Sportschau“, was bei den ARD-Kollegen leichte Nervosität auslösen dürfte.
Strategiewechsel
„Freemium-Modelle setzen sich durch“, sagt Holger Kansky, Multimedia-Referent beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Mit Stand Ende Mai bieten bereits rund 40 deutsche Zeitungstitel Bezahlinhalte auf ihren Websites an, davon die allermeisten nach dem Freemium-Modell. Wie bei Bild gibt es den meisten konventionellen Content umsonst, allgemeine Nachrichten etwa, die überall zu haben sind. Dagegen würden „exklusive Inhalte, etwa regionale und lokale News, die man woanders so nicht finden kann, auch mit Features, mit Multimedia-Inhalten garniert, auch die Aufbereitung oder Archivinhalte künftig kostenpflichtig angeboten“.
Thomas Gottschalk als prominentes Bildplus-Testimonial sieht es im Werbeclip so: „Große Serien kosten Geld – ‚Games of Thrones’ oder ‚Downton Abbey’. Großes Radio kostet inzwischen Geld – Satellite Radio. Warum soll ich nicht auch für große journalistische Leistungen Geld bezahlen?“ Man darf gespannt sein, wie derlei „Leistungen“ künftig bei Bildplus beschaffen sein werden. Als Pioniertat kann immerhin gelten, dass mit Bild erstmals ein Boulevardblatt den riskanten Weg der „Verschlüsselung“ von Inhalten geht.
Aus dem Willen, der Gratiskultur im Internet den Garaus zu machen, hatte Springer nie einen Hehl gemacht. Bereits Ende Dezember führt Springer erstmals eine Paywall bei seinem überregionalen Flaggschiff Die Welt ein. Allerdings nach dem so genannten „Metered“-Modell. Hier dürfen die Leser ein bestimmtes Quantum Artikel lesen – bei der Welt sind es 20 – ehe der Bezahlschlagbaum runtergeht. Beim 21. Klick wird der Leser aufgefordert, ein Abo abzuschließen, das in drei Preispaketen von 6,99 Euro bis 14,99 Euro erhältlich ist. Abonnenten einer Zeitung der Welt-Gruppe haben automatisch unbegrenzten Zugang zur digitalen Variante über Web, Smartphone und Tablet. Über die Abonnentenzahlen schweigt sich der Verlag auch fünf Monate nach dem Start immer noch aus. Allerdings, so verriet Springer-Chef Döpfner, wurden schon jetzt mehr digitale als analoge Welt- und Welt-Kompakt-Abos an den User gebracht.
Für Unruhe in der Bild-Redaktion sorgten Medienberichte, wonach der Verlag im Zusammenhang mit dem digitalen Umbau auch einen umfangreichen Jobabbau erwäge. 170 bis 200 Stellen stünden potentiell zur Disposition, kolportierte der Spiegel. Erwogen werde, Teile der Redaktionen von regionalen Bild-Ausgaben in die nicht tarifgebundene B.Z. oder in die gleichfalls tariflose Bild-Digital GmbH auszulagern. Keine ganz unberechtigten Befürchtungen – Mitte 2012 waren schon einmal 47 von 90 Beschäftigten der Zeitschrift Computer Bild gefeuert worden. Grund: Sie hatten sich geweigert, aus dem Mutterkonzern in die nicht tarifgebundene Tochtergesellschaft Computer Bild Digital zu wechseln.
Eingedenk dieser Vorgeschichte schlug ver.di sofort vorsorglich Alarm. „Ohne wirtschaftliche Not“ werde hier ein „gefährlicher und kontraproduktiver Strategiewechsel“ geplant, warnte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Obgleich die Springer-Produkte „hoch profitabel“ seien, sollten „Redaktionen ausgedünnt, die Rendite durch das Setzen auf windige Internetgeschäftsmodelle weiter gesteigert werden, die auf nutzergenerierten Inhalten statt Journalismus basieren“.
Anders als bei Computer Bild beeilten sich die Springer-Verantwortlichen jedoch, die Meldungen über geplante Stellenstreichungen bei Bild zu dementieren. Aus seinem Fortbildungs-Exil im Silicon Valley versicherte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann im Gespräch mit dem Handelsblatt, es sei keinesfalls daran gedacht, Reporterstellen einzusparen, wie es viele US-Zeitungen in der Krise fälschlicherweise gemacht hätten. „Das ist in meinen Augen lebensgefährlich.“ Es gehe vielmehr darum, die „Marke Bild“ umzubauen, „Strukturen anzupassen“, durchaus auch mittels einer Umschichtung redaktioneller Ressourcen von der Printwelt in die digitale Welt. Nötig sei eine Modernisierung der Arbeitsabläufe bis hin zu einer Änderung der klassischen Ressortaufteilung. Die Richtung dieser Veränderungen skizziert Diekmann eher vage: „Zukünftig werden sich Arbeitsabläufe viel mehr um eine Geschichte drehen.“ Auf die Redaktionen dürfte einiges zukommen. Wer entscheidet künftig, welcher Text hinter der Bezahlschranke von Bildplus verschwindet? Dies werde „im Team entschieden“, versichert Bild.de-Chefredakteur Manfred Hart, und hänge natürlich von der Art und Relevanz des recherchierten Materials ab. Vorstandschef Döpfner setzt darüber hinaus auf eine möglicherweise kreativitätsfördernde Wirkung des Modells. Er hofft auf eine „zusätzliche Dynamik“ in den Redaktionen: „Wer wird jetzt noch einen kostenfreien Artikel produzieren wollen? Jeder wird doch hinter dem Plus stehen wollen?“ Folgt auf die Quotenmessung durch ReaderScan nun also ein binnenredaktionelles Rattenrennen um bestmögliche Verkäuflichkeit journalistischer Inhalte?
Geduld, aber nicht zuviel
Vorstandschef Döpfner verwies bei der Präsentation von Bildplus darauf, dass entgegen den Kassandrarufen einiger Medien die Verlagspolitik in jüngerer Zeit einen beträchtlichen Jobzuwachs ermöglicht habe. Tatsächlich waren nach dem letzten Geschäftsbericht 2012 mit 13.651 Mitarbeitern 5,9 Prozent mehr Beschäftigte im Verlag als im Vorjahr. „In Summe gehört Axel Springer weltweit zu den ganz wenigen Medienunternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und nicht abbauen“, sagte Döpfner. Dass in einem lebendigen und dynamischen Unternehmen umgebaut werde, sei die Voraussetzung für die Erfolge der letzten Jahre.
Mit einer schnellen Durchsetzung des neuen Bezahlsystems rechnet Springer offenbar nicht. „Wir sind ja nun noch sehr alleine mit unseren idealistischen Bemühungen, ein funktionierendes Geschäftsmodell für unabhängigen Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt zu etablieren“, sagt Döpfner. Es könne eine Weile – Monate oder Jahre – dauern, bis man möglicherweise zu dem Ergebnis komme, dass es so nicht funktioniere. Dann werde man eben nach Alternativen suchen. Nach wie vor gelte die Maxime: „Die wichtigste Tugend eines Verlegers ist Geduld, der größte Fehler ist zu viel Geduld.“ Döpfner vermied es, klare geschäftliche Zielmarken für Bildplus zu nennen. Man habe keine überzogenen Erwartungen, dass das neue Bezahlmodell sofort ein „Bild-typisches Millionengeschäft“ werde. „Dieses Genie“, das hier einen exakten Businessplan kalkulieren könne, „kriegt sofort einen Job bei Springer“.
Wie konsequent der Verlag seine digitalen Ziele verfolgt, lässt sich an einem weiteren ehrgeizigen Projekt ablesen. Soeben lobte der Springer-Vorstand einen Architekturwettbewerb für ein digitales Medienzentrum aus. Der „Axel Springer Medien Campus“ (Arbeitstitel) soll direkt neben dem alten Verlagsgebäude am ehemaligen Mauerstreifen in Berlin entstehen. Auf dem rund 10.000 Quadratmeter großen „Lindenpark“- Areal sollen vor allem die digitalen Angebote des Unternehmens gebündelt werden. Rund 3.500 Arbeitsplätze sollen in dem Komplex entstehen.
Zwecks Qualifizierung des eigenen Managements baut Springer derweil zügig einen Brückenkopf im Silicon Valley aus. Im Netz kursieren Videos, die Top-Manager wie Döpfner, Diekmann, Peter Würtenberger und Jan Bayer zeigen, wie sie vor Ort cool in Doppelzimmern einfacher Zwei-Sterne-Hotels rumlümmeln, im Nerd-Outfit – Kapuzenpulli – und unrasiert. Nicht ohne praktischen Nutzwert: In diese „Springer-WG“ in Kalifornien soll jetzt regelmäßig Spitzenpersonal des Konzerns im Rahmen von „Visiting Fellowships“ entsendet werden, um sich in Sachen Digitalökonomie weiterzubilden. Mit einiger Selbstironie wird hier an einem hauseigenen Valley-Mythos gewerkelt. „Um das führende digitale Medienunternehmen zu werden, muss man nicht in einer Garage in Kalifornien begonnen haben“, heißt es im Video. „Aber hinfahren kann man ja trotzdem mal.“