Weniger Aufträge und geschrumpfte Honorartöpfe treiben Journalisten an den Rand des Existenzminimums
Die deutschen Medien sind in der Krise. In aller Munde ist das Wort Sparen – missbräuchlich!
Streichen wäre der ehrlichere Begriff. Denn es wird kein Geld in ein Sparschwein gesteckt. Nichts wird zurückgelegt, um es dann eines Tages auch jenen zur Verfügung zu stellen, bei denen es heute abgeknapst wird. Zuerst bei den freien Journalisten, Layouterinnen, Fotografen, Autorinnen, Filmproduzenten … und bei den festangestellten Arbeitnehmern in den Medienbetrieben.
In einem seit Jahren nicht gekannten Ausmaß wurden in den letzten Monaten Honorartöpfe, Pauschalverträge, Redakteursstellen, Regionalbüros, Seitenumfänge, Beilagen gestrichen. Sämtliche große Verlagshäuser sprechen von zehn Prozent „Einsparungen“ und mehr. Managementfehler oder andere mögliche Ursachen wie der Vorwurf, keine Rück(Sparein)lagen für Zeiten vermeintlich leerer Verlagskassen gebildet zu haben, werden vom Tisch gewischt. Parallel dazu gab und gibt es täglich Informationen wie: Holtzbrinck kauft den Berliner Verlag, die WAZ-Gruppe bewirbt sich um Kirch-Anteile am Springerkonzern oder Springer will mit seinem Aktiendeal den Schweizer Verlag Ringier übernehmen. Das Buhlen um TV- und Radiomärkte nimmt Formen an. So ist es sicher richtiger, die gegenwärtige Lage der Medien als – möglicherweise selbstverordnete – Strukturkrise, nicht als Werbe- oder Zeitungskrise schlechthin zu charakterisieren. Vor diesem Hintergrund ist nicht hinnehmbar, dass sich die Arbeitgeber in der gegenwärtigen Redakteurs-Tarifrunde hartnäckig weigern, über Gehaltserhöhungen und angemessene Honorare – letzteres mit Blick auf das neue Urhebervertragsgesetz – zu verhandeln.
Das Heer der Freien wächst
Freie und Pauschalisten bekommen die sogenannte Sparpolitik als erste zu spüren. Ihnen folgen derzeit dicht auf dicht Redakteurinnen und Redakteure. Viele von ihnen werden in absehbarer Zeit das Freienheer vergrößern. Bei Springer und der Ullsteintochter in Berlin sind seit der Zeitungsfusion vor allem der „Berliner Morgenpost“ und der „Welt“ zirka 110 Stellen in den Verlagen und Redaktionen den Bach runter gegangen. Im Berliner Verlag verzeichnet der Betriebsrat seit Sommer vergangenen Jahres 130 Abgänge – Feste und Pauschalisten, gerade werden weitere Kündigungen beim „Berliner Kurier“ ausgesprochen.
Einstellungsstopp wurde beispielsweise bei der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“(WAZ) verhängt. Teilweise auch langfristig: So dürfen bei der „WAZ“ in Essen und ihren 28 Lokalausgaben bis März 2003 keine Redakteure eingestellt werden. Auch freie Volontärsplätze werden nicht neu besetzt.
Über Nacht kein Geld mehr
Noch dramatischer ist die Lage in Bonn und Düsseldorf. Beim „General-Anzeiger“ in der Bundesstadt hat der Betriebsrat 16 betriebsbedingte Kündigungen, darunter fünf Redakteure, auf dem Tisch. Auch die „Rheinische Post“ mit Sitz in der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf schließt betriebsbedingte Kündigungen nicht länger aus. Sage und schreibe 150 von 900 Arbeitsplätzen bei der mit knapp 420 000 Auflage drittgrößten deutschen Abo-Zeitung sollen wegfallen oder outgesourct werden. Der Schwerpunkt liegt bei Anzeigenannahme, Vertrieb und Verwaltung. Redakteure soll es noch nicht treffen, dafür aber Redaktionsangestellte in der Texterfassung.
Den Reigen im Streichkonzert von Freienhonoraren in Größenordnungen eröffnete im September vergangenen Jahres die „Berliner Morgenpost“. Die Lokalanzeiger wurden geschasst und 60 Freie, die vor allem für diese lokalen Beilagen arbeiteten, verloren quasi über Nacht eine ihrer Haupteinnahmequellen. Einher damit gingen Kürzungen der Honorartöpfe im Hause Springer. Zwölf Fotografen mit Pauschalverträgen und zwei schreibende Pauschalistinnen gehörten im August zu den letzten „Gekündigten“ beim „Berliner Kurier“.
Den Fotografen wurde erklärt, dass man natürlich weiter mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen weiter Aufträge erteilen werde, nur künftig eben ohne Pauschalvertrag. In den Kündigungsanhörungen, die dem Betriebsrat vorliegen, liest sich das jedoch völlig anders. Da heißt es, die Arbeit der Fotografen würde künftig auf die „internen Mitarbeiter“ verteilt. „Aber wer sollen diese denn sein? Etwa die schreibenden Redakteure, die dann auch noch zur Kamera greifen“, fragt der Betriebsrat. Er rät den Betroffenen, sich zu wehren. „Die Fotografen haben gute Chancen, ihre Prozesse zu gewinnen und das kann für den Verlag sogar besonders teuer werden“, so Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch. Nach dem Gesetz seien die Pauschalisten „Scheinselbständige“ und da werde wohl ein ziemlich hoher Betrag an Sozialversicherungsbeiträgen nachzuzahlen sein. Die Situation im Berliner Verlag, ob bei der „Berliner Zeitung“ oder beim „Berliner Kurier“ sei gelinde gesagt „unübersichtlich geworden“. Entlassene Kolleginnen und Kollegen werden durch Praktikanten ersetzt, die dann täglich von den restlichen teilweise völlig überarbeiteten Redakteuren angeleitet werden dürften. „Dass darunter die Qualität der Berichte in den Zeitungen leidet, liegt auf der Hand“, so Renate Gensch.
Gleiches gilt für das Layout etwa im Holtzbrinckschen „Tagesspiegel“. Hier wurden Layouter mit Pauschalvertrag geschasst. Mit der Umstellung auf ein neues Redaktionssystem übernehmen Redakteure jetzt den Part der Zeitungsherstellung selbst.
Der Markt für freie Printjournalisten in Berlin und Umgebung ist aus einem weiteren Grund enger geworden. Überregionale wie die „Süddeutsche Zeitung“ und die „FAZ“ haben ihre Hauptstadtseiten gestrichen, die „Frankfurter Rundschau“ hat ihre Berlin-Berichterstattung eingeschränkt, Berliner Büros von Fachdiensten wie „Horizont“ wurden dicht gemacht.
Gleiches gilt für andere Regionen. So sieht Aufsichtsratschef Alfred Neven DuMont sogar „die publizistische Unabhängigkeit“ in Gefahr, wenn nicht alle Sparmöglichkeiten genützt würden. Er wolle das nicht als „Drohung“ verstanden wissen, aber: „Wir werden aus dieser Krise nur gestärkt hervorgehen, wenn wir einander auch Härten abverlangen“, schrieb der Zeitungsboss Anfang Juli in einem Rundschreiben an die Redaktionen von „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Kölnische Rundschau“, „Express“ und „Mitteldeutsche Zeitung“. Damit sind auch die freien Mitarbeiter gemeint. In den Zentralredaktionen gibt es auf Grund der Sparzwänge für sie schon seit längerem so gut wie keine Aufträge mehr. Aber auch in den Außenredaktionen sieht es für sie jetzt düster aus: Beschäftigung wie in einem 325-Euro-Job heißt die Devise, ohne Sozialleistungen versteht sich. Praktiziert wird diese Einkommensbegrenzung rund um Dortmund bis weit ins Sauerland, in den auch zur WAZ-Gruppe gehörenden Außenredaktionen der „Westfälischen Rundschau“ und der „Westfalen-Post“.
Was heißt das für die tägliche Arbeit? „Für 15 Cent Zeilenhonorar oder fünf Euro für ein einspaltiges Foto finden wir keinen ernsthaft arbeitenden Freien mehr“, berichtete ein altgedienter WAZ-Lokalreporter jüngst bei einem dju-Treffen. „Die würden ja auch draufzahlen, wenn sie zu einem Termin hinfahren. Spesen werden ja nicht erstattet.“ Und mit der Hoffnung auf einen Volontärsplatz irgendwann in der Zukunft könne man wegen des Einstellungsstopps ja auch niemanden mehr ködern.
„Wir könnten jeden Tag einen anderen pensionierten Lehrer beschäftigen“, ergänzt eine Kollegin. Im Klartext heißt das: entweder auf Hobby-Freie zurückgreifen, bei denen auch nicht die geringste Gefahr hauptberuflicher journalistischer Tätigkeit besteht, oder jeden zweiten oder dritten Tag mit einem anderen Freien in der Redaktion zu arbeiten, da ja keiner mehr als 325 Euro im Monat verdienen darf.
Vom Erlös keinen Cent
Auch wenn die 325-Euro-Grenze sich außerhalb der WAZ-Gruppe noch nicht eingebürgert hat: In Nordrhein-Westfalen werden Freie – anders als zum Beispiel in Baden-Württemberg – praktisch nirgendwo nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Freie bezahlt. Und das, obwohl manche Verlage die Freien über den grünen Klee loben: „Die Qualität unserer Zeitung definiert sich auch in den Texten, die freie Mitarbeiter für uns schreiben“, ließ der Chefredakteur der „Aachener Nachrichten“, Wilfried Lindner, seine Freien Mitte Juli wissen – verbunden mit der Klarstellung, dass mit dem üblichen Zeilenhonorar auch alle Rechte für Internet und Werbung abgegolten seien, sowie der „Bitte“, dies doch innerhalb von 14 Tagen schriftlich zu bestätigen. Ähnliche Aufforderungen hatten 19 Fotografen der „Rheinischen Post“ im Frühjahr bereits erbost zurückgewiesen.
Zur skrupellosen Rechteeinverleibung neigt auch der inzwischen an Holtzbrinck verkaufte Berliner Verlag. Er unterlässt es nicht, seine freien Autoren unter Druck zu setzen. Sie sollen ihre sämtlichen Rechte an ihren Texten und Fotos nach einmaliger Honorierung dem Verlag am Berliner Alexanderplatz – „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ – überlassen. Mehrfach erhielten Autoren neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zugesandt. Darin nimmt sich der Verlag das Recht, die journalistischen Produkte im eigenen Verlag – auch mehrfach – zu verwerten und sie außerdem noch an Dritte weiter zu verkaufen. Die Autor/innen erhalten vom Erlös keinen Cent. Der Verlag scheute weder Kosten noch Mühe, an sein Ziel zu gelangen. Beim dritten Mal wurden die AGB«s per Einschreiben mit Rückschein versandt. Das heißt, der Autor muss selbst – „eigenhändig“ – zur Post gehen, in der Regel nicht ahnend, welchen Inhalts das abzuholende Schreiben ist. Zweifach muss unterschrieben werden – auch auf dem Rückschein. Von diesem Moment an ist es gleich, ob die/derjenige den Brief mit der Unterschrift zurücksendet oder nicht. Sobald sie/er einen Beitrag oder ein Foto an den Verlag schickt, treten für sie / ihn diese neuen AGB in Kraft. Buchautor Peter Köpf nennt das in einem Brief an Chefredakteur Uwe Vorkötter schlicht „Nötigung“.
Dem Diktat nicht beugen
Es gilt, nicht zu unterschreiben und den bereits vom Verlag frankierten Rückumschlag für einen „ausdrücklichen Widerspruch“ zu verwenden. Wer keinen Widerspruch einlegt, beugt sich dem Diktat des Verlages. Diese Regelungen widersprechen in eklatanter Weise einer angemessenen Vergütung, wie es das vor wenigen Wochen im Bundestag verabschiedete Urhebervertragsrecht vorsieht. Natürlich muss jeder für sich entscheiden, ob er diesem, seinem Auftraggeber entgegentritt. Erinnert sei jedoch an die erste Welle verschickter AGBs (M 4/2002), nach der mehr als 40 Berliner Freie in einer gemeinsamen Aktion Widerspruch eingelegt hatten. Weitere haben nicht geantwortet. Das erst machte es offenbar aus Sicht des Verlages notwendig, zum postalischen Rückschein zu greifen. „Vielleicht sollten die Freien mal eine Woche einfach nix tun“, meint eine festangestellte Kollegin aus dem Westfälischen, die sich noch dunkel an monatelange Streik-Aktivitäten der Freien in Hessen Ende der 80er Jahre erinnert. Oder bleibt stattdessen da noch der klassische Ausweg in den PR-Bereich? Leider sparen aber die Pressestellen der Unternehmen nicht nur mit Zeitungsanzeigen. Sie geben auch weniger Kundenbroschüren heraus und kürzen bei der internen Kommunikation.
So hat zum Beispiel die Deutsche Telekom im Juli nach dem Abgang des Vorstandsvorsitzenden alle monatlichen Mitarbeiterzeitungen, darunter den konzernweiten „T-Monitor“ mit 210 000 Auflage sowie die Spartenzeitungen für die Bereiche T-Mobile, T-Online und T-Systems mit zusammen über 100 000 Exemplaren auf zweimonatlichen Rhythmus umgestellt. Für mehrere Dutzend freie Mitarbeiter bedeutet das keine oder zumindest weit weniger Aufträge. Vor diesem Hintergrund sind für fast alle Freien sicher auch die Vergütungsforderungen für Foto- und Zeilenhonorare an Tageszeitungen und Zeitschriften, die dju und DJV jetzt auf Grundlage des neuen Urhebervertragsgesetzes erarbeitet haben, noch Zukunftsmusik, aber in jedem Fall beachtenswert. Denn auch nach dem neuen Gesetz haben freie Journalisten jetzt einen „Anspruch auf angemessene Honorierung“ ihrer Arbeit, moralisch gesehen haben sie diesen ohnehin und schon immer.