Eindrücke vom friedenspolitischen Kongress
Aktueller und dringender hätte der Kongress angesichts der US-Drohungen gegen den Irak kaum sein können. „Nein zum Krieg gegen den Irak“ und „wie ihn noch verhindern?“ waren die Kernthemen, die Referate und Diskussionen bestimmten. Es ging um Analyse und Kritik dessen, was der 11. September und ein Jahr „Krieg gegen den Terror“ weltpolitisch bewirkt haben. Welche Schlussfolgerungen ziehen diejenigen daraus, die fordern, „Krieg ist keine Lösung“ für die drängenden Probleme dieser Welt und die sich für das in Porto Allegre formulierte Ziel: „Eine andere Welt ist möglich“, einsetzen. Und es ging darum, Alternativen aufzuzeigen, Gegenwehr zu mobilisieren.
Aufgerufen zum Kongress hatten die Friedensbewegung Hannovers, unter ihnen der DGB Niedersachsen, ver.di Niedersachsen, die dju sowie weitere Gewerkschaften und gewerkschaftliche Bildungseinrichtungen.
Wie kommt es, dass Kriege als gerecht, humanitär und einzig mögliche Alternative im Bewusstsein vieler Menschen verankert werden können, dass gegen einen eindeutig „bösen Feind“ der „gute Krieg“ befürwortet wird, dass – verstärkt seit dem 11. September – Krieg und die Entsendung zum Beipiel von Bundeswehr-Einheiten in entfernteste Teile der Welt als „normal“ begriffen werden, dass die Parole „Nie wieder Krieg“ längst in Vergessenheit geraten ist? Warum bewegen zwar Naturkatastrophen die Gemüter, nicht aber Armut, Hunger, Unterernährung, Bildungsausschluss, Ressourcenknappheit in den Ländern des Trikonts (der sogenannten Dritten Welt) und schon gar nicht die Frage, was deren Ursachen sind? Warum wird die Treffsicherheit der US-Wunderwaffen im Fernsehen goutiert, nicht aber danach gefragt, was sie am Boden anrichten?
„Wie die Medien (uns) in den Krieg ziehen“ war der programmatische Titel des Referats von Eckart Spoo (dju). In einer zusätzlichen Arbeitsgruppe, moderiert vom dju-Vorsitzenden Manfred Protze, mit Beiträgen des Soziologen Jens Ilse, des Journalisten Thomas Klein und der norwegischen Autorin Asne Seierstad wurden die Mechanismen der Berichterstattung verdeutlicht, die auf die Akzeptanz von Kriegen und Verschleierung ihres brutalen Charakters, auf Desinformation statt Information zielen.
Propagandistische Höchstleistung
Die Meldung, die am Beginn des Zweiten Weltkrieges den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen rechtfertigen sollte: „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“, wurde am 1. September 1939 über 16 Mio. Radios verbreitet. Sie sei ein gelungenes Propaganda-Beispiel, von dem auch spätere Politiker und Medienstrategen gelernt hätten, so Spoo. Die Methode: der Angriffskrieg wird zum Verteidigungskrieg umdefiniert, der im Namen einer „höheren Instanz“, hier der deutschen „Kulturnation“, oder im Namen des Landes, der Religion, Zivilisation, Humanität oder der Menschenrechte gegen den Aggressor zwingend geführt werden muss. Dass es gelang, Millionen Deutsche dahin zu bringen, Krieg und Massenmord gutzuheißen, sei, so Spoo, eine propagandistische Höchstleistung. Die Mechanismen solcher Propaganda gelten heute weiterhin. Im Ergebnis soll die Denkweise: „Natürlich bin ich gegen Gewalt, aber wenn uns Gewalt aufgezwungen wird, müssen wir uns eben verteidigen“, fruchten. US-Präsident Reagan sprach vom „Reich des Bösen“ und meinte die damalige Sowjetunion. Sein Nachfolger Bush jun. formulierte nach dem Scheitern des Kommunismus die aktuelle Variante von der „Achse des Bösen“, die nun im weltweit ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“, den Angriff auf Staaten wie Irak, und – danach – Iran oder Nordkorea rechtfertigen soll.
Brutalität verschleiert
Im Krieg gegen den Irak vor elf Jahren, dem sogenannten Golfkrieg, war es in Deutschland vor allem die „BILD“-Zeitung, deren Schlagzeilen Saddam zum „Teufel“, „neuen Hitler“ oder „Irren“ machten und so den Krieg als moralisch notwendig und Kritik als Parteinahme für Faschismus erscheinen ließen. Ähnliche Beispiele lassen sich für alle späteren militärischen Interventionen (wie Milosevic als „Schlächter“) finden. Sie alle zielen darauf, sich nicht mit den Argumenten der Angegriffenen und der Lage der Opfer des Krieges auseinander zu setzen, sondern den Kriegführenden Unterstützung zu sichern. Zum Repertoire der Propaganda gehören auch solche Fakes, wie die Bilder fröhlicher Palästinenser, die den Einsturz der Zwillingstürme in den Straßen feierten, die Umbenennung von „Freiheitskämpfern“ in „Terroristen“ (zum Beispiel Taliban) und umgekehrt (zum Beispiel UCK), die Schaffung von Feindbildern („arabisch-stämmige Terroristen“) und die Verwendung Bedrohung-suggerierender Metapher wie „Flut“, „Brandherd“ „Fanatismus“. Es wird immer die schlichte Logik von „den Guten“ und „den Bösen“ propagiert.
Die Kriegsberichterstattung ziele darauf, so Ilse, den brutalen Charakter von Kriegen zu verschleiern. Sie setze auf Desinformation statt Information. So wurde z.B. im Golfkrieg nur den mit dem Pentagon kooperierenden JournalistInnen Zugang zu Informationen gewährt. Wer nicht kooperieren wollte, war auf die Pressekonferenzen der Alliierten und auf das, was CNN ihnen für viel Geld verkaufte, angewiesen. So konnte das Militär seine Wirklichkeitskonstruktion in den Medien durchsetzen. Auch die deutschen Medien hätten, so Spoo, schon seit 1990, „mit wenigen Ausnahmen an der ‚Enttabuisierung des Militärischen‘ – die Bundeskanzler Schröder als Erfolg seiner Regierungstätigkeit rühmt – mitgewirkt. Ähnlich wie die US-amerikanischen haben sie im Krieg gegen den Irak, im Krieg gegen Jugoslawien und im derzeitigen ‚Krieg gegen den Terror‘ die Öffentlichkeit dermaßen gründlich irregeführt, dass die Wahrheit auch nachher schwer durchsickern kann.“
Kritisches Verhalten der Rezipienten fördern
Wie aus dieser Desinformation herauskommen? Sind wir überhaupt in der Lage, uns umfassend zu informieren? Eine schlüssige Antwort wurde (noch) nicht gefunden. Angesichts der zunehmenden Konzentration im Medienbereich sind alternative Medien, Basisradios, Internet, websites und andere aufgerufen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Durch Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und mehr Mitbestimmungsrechte muss der in den Köpfen vieler Journalisten wirkenden Selbstzensur entgegengesteuert werden. Bürgerinnen und Bürger müssen mehr rechtliche Möglichkeiten erhalten, um dem Missbrauch lokaler Medienmonopole Einhalt zu gebieten. Es gelte, das kritische Verhalten der Rezipienten schon in der Schule zu fördern. All diese Forderungen sollten in der Friedensbewegung weiterdiskutiert werden, zum Beipiel in Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Medienorganisationen von ver.di, der dju und der in Hannover leider nicht vertretenen Fachgruppe Rundfunk, Film AV-Medien.
Notwendig wäre auch eine Vertiefung der medienpolitischen Diskussion durch eine stärkere Einbeziehung des politisch-ökonomischen Aspektes, der darauf verweist, dass multinationale Medienkonzerne ebenso Agenten der neoliberalen Globalisierung sind wie andere multinationale Konzerne auch, allerdings versehen mit der Zusatzaufgabe, Hirne und Herzen der Menschen für ihre militärischen und wirtschaftlichen Interessen zuzurichten. Notwendig wäre außerdem eine stärkere Differenzierung. Es gibt nicht „die Medien“, die Kapitalinteressen gleichermaßen verfolgen, sondern – wie in Deutschland – privat-kommerzielle, öffentlich-rechtliche und alternative Basismedien, bei denen die Bevölkerung unterschiedliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte hat, die es auszubauen und zu nutzen gilt. So könnte die Friedensbewegung um eine Vertretung in den Rundfunk- und Medienräten kämpfen. Andere Medien sind möglich, aber das Potenzial zu ihrer Veränderung muss noch ausgeschöpft und erweitert werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Mehrheit der Medien schließt nicht nur die Friedensbewegung aus ihrer Berichterstattung aus, sondern behandeln neben vielen anderen Minderheiten, gesellschaftlichen Gruppen und Themen auch die Hälfte der Menschheit, die Frauen, immer noch weitgehend nachteilig. In den westlichen Ländern wird der Zugang zu den entscheidenden Machtpositionen verweigert und zur Festigung dieses Ausschlusses ein rückwärts gewandtes Frauen- und auch Männerbild überwiegend präsentiert. In den Trikont-Ländern wird die Benachteiligung der Frauen durch die Darstellung als hilflose Opfer, durch Rassismus und Ethnisierung noch multipliziert. Die Diskussion um Globalisierung, Krieg, Terrorismus und neokoloniale Ausbeutung muss – noch stärker als dies auf dem Kongress deutlich wurde – die Situation und Sichtweise von Frauen weltweit berücksichtigen und in die Friedenspolitik einbringen.
Der Weg zur Schaffung einer „anderen Welt“ ist zwar steinig und bedarf vieler Menschen, die ihn gehen, aber dass sie „möglich“ ist, das machte die Konferenz auf beeindruckende Weise deutlich.
Infos: www.friedenskongress-hannover.de (Domain erloschen)
Das „Gewerkschaftliche Netzwerk gegen den Krieg“: Frieden-und-Zukunft@t-online.de